Sonntag, 2. Dezember 2018

Steffen Roski: Gelbe Westen - ein Kommentar


Symbol des Protests in Frankreich: die Gelbe Weste
Wie sehr sich doch die Zeiten geändert haben! Sozialproteste in Frankreich, Proteste gegen Prekarisierung, gegen eine neoliberale Politik des Privatisierens und Sparens auf Kosten der Bevölkerungsmehrheit, Proteste auch und vor allem gegen eine Politik, die vor dem Hintergrund von Komplexität und Globalisierung den Menschen zu suggerieren versucht, ihre Rezepte seien schlechterdings alternativlos, der Wähler habe kommentarlos zu schlucken, sprich: zu zahlen. Konkreter Anlass der Proteste: eine Energiewende à la francaise. Die stärkere Besteuerung von Treibstoffen trifft natürlich jene überaus hart, die ohnehin kaum wissen, wie sie über den Monat kommen sollen. Auch die Sozialproteste sind á la francaise: es brennt, der zivile Ungehorsam zeigt sich u.a. dort, wo die Kluft am deutlichsten hervortritt: an den zentralen Plätzen und in den Prachtboulevards der Hauptstadt Paris.

Wie sehr sich doch die Zeiten geändert haben! Sozialproteste in Frankreich hätten vor nicht allzu ferner Vergangenheit die politische Linke hierzulande elektrisiert. Nicht in dem trivialen Sinn, die französischen Aktionsformen umstandslos auf die BRD zu übertragen, denn so einfach würde dies nicht funktionieren. Wohl aber hätte die Linke in ihren Strukturen politischer Bildungsarbeit versucht, Interessierte und Aktivisten über die französischen Vorgänge zu informieren, um dann Schlussfolgerungen für die politische Praxis in der BRD zu ziehen. Ich sehe davon allerdings nichts. Im Gegenteil. Mir scheint die Linke im populistischen Dilemma wie erstarrt und aktionsunfähig geworden zu sein. Erinnern gelbe Westen nicht an verwirrte neurechte Reichs- und Wutbürger? Liefe man Gefahr, mit Protesten gegen die neoliberale Politik in der BRD, für die letztendlich Angela Merkel die Regierungsverantwortung nicht erst seit gestern trägt, in gefährlicher Weise in die Nähe jener zu rücken, die mancherorts lauthals 《Merkel muss weg!》 skandieren? Und noch etwas weiter gedacht: Verlöre die Linke den Anschluss an das urbane hipstereske Milieu der Ökologisten, deren gut verdienende Vertreter sich am grün-kapitalistischen Moral-Ablasshandel beteiligen, der darin besteht, für ökologisch Einwandfreies gern mehr Geld zu bezahlen?

Ja, die Zeiten haben sich in der Tat geändert! Die Linke hat sich längst von der Konfrontation mit den wahren sozialen Problemen in der BRD verabschiedet. Die Ironie dabei: Die Linke begründet ihren Abschied damit, nicht rechts erscheinen zu wollen - und überlässt damit eben jenen Kräften das Feld, denen sie doch eigentlich keinen Raum geben sollte.



Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.

Sonntag, 28. Oktober 2018

Plakatkunst im Rahmen des Anfachen Award in der Hamburger Zentralbibliothek

Im Kontext des Anfachen Award sind in der Hamburger Zentralbibliothek am Hühnerposten (Bücherhallen Hamburg) Plakate ausgestellt, die auf je unterschiedliche Art und Weise und in verschiedener Perspektive um das Thema Toleranz kreisen. Plakate werden vor allem als Werbemittel eingesetzt und prägen auf ihre Weise urbane Situationen. Im Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe, sinnfälligerweise in der Nachbarschaft der Zentralbibliothek gelegen, wird des Öfteren der Grenzbereich von werberischer Gestaltung und Kunst ausgelotet. Manche der in der Zentralbibliothek präsentierten Plakate hätten m.E. durchaus auch im MfKG präsentiert werden können.

Die Plakate des Anfachen Award regen zur Diskussion und zum Nachdenken an. Mal mit eindeutiger Botschaft, mal mit einem gewissen Hintersinn, mal mit gestalterischem Witz: sie sind weithin sichtbar, gelegentlich auch provokativ und sind ein Medium des gesellschaftlich-politisch-ästhetischen Diskurses.

Ich habe einige der ausgestellten Exponate fotografiert, woraus sich eine lichttechnische Limitation ergibt: manches Plakat, welches ich gern im Folgenden gezeigt hätte, ist so stark ausgeleuchtet, dass seine getreue Reproduktion nicht eigentlich möglich ist. Deshalb die Beschränkung auf sieben der ausgestellten Plakate, die allerdings durchaus einen guten Eindruck in die Qualität der Arbeiten geben.

Für weitere Informationen mag man sich wenden an: ANFACHEN AWARD / Frappant e.V., Zeiseweg 9, 22765 Hamburg.









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Samstag, 4. August 2018

Eine Denkfabrik im Deutschlandfunk

Der Deutschlandfunk ruft Hörer dazu auf, sich bis zum 15. August 2018 an der <Denkfabrik> zu beteiligen.

Mit folgendem Schreiben an den DLF habe ich genau dies getan und möchte es als Blog-Eintrag dem interessierten Leser zur Kenntnis geben:

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich lebe in Hamburg, genauer im Stadtbezirk Altona und dort im Stadtteil Osdorf am Osdorfer Born, ein reinenes Wohnquartier, das vor 50 Jahren hochgezogen worden ist. <Getto>, von <sozial schwachen> Menschen bewohnt, so dürfte es jenen allzu leicht über die Lippen kommen, die es aus den trendigen Szene- und Designervierteln zufällig einmal nach Osdorf verschlägt. Mein Eindruck ist, dass sich städtische Politik, genauer: vor allem die politischen Parteien von links bis rechts aus Wohnquartieren wie dem Osdorfer Born fast vollständig zurückgezogen hat. Besonders schmerzt es mich, dass auch Parteien des linken politischen Spektrums im Alltagsleben des Stadtteils kaum mehr sichtbar sind. So residiert etwa die Partei DIE LINKE im Stadtbezirk Altona im edelhippen Ottensen, eine Dependance im abgehängten Osdorf dagegen: Fehlanzeige. Meine Befürchtung ist, dass dieser Rückzug des Politischen jenen Menschenfischern in die Hände spielt, die raunend von <Altparteien>, dem <System>, der <Lügenpresse> usw. schwadronieren. 

Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn der Deutschlandfunk diesen augenfälligen Rückzug des demokratisch Politischen aus bestimmten Wohnquartieren, Stadtteilen oder Ortschaften einmal zum Thema einer Sendung machen könnte.

Mit besten Grüßen,


Steffen Roski


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Samstag, 9. Juni 2018

64 Prozent - oder: Was läuft falsch in der Partei DIE LINKE?

Mit 64 Prozent der Delegiertenstimmen ist sie im Amt der Parteivorsitzenden bestätigt worden: Katja Kipping, Liebling der metropolitanen hipsteresken Soja-Latte-Linken.
Wenn es eines Beleges bedurfte für die Spaltung innerhalb dieser Partei, die auch Ausdruck des gesamtgesellschaftlichen Gespaltenseins ist, dann ist dieses Wahlergebnis ein klares Zeichen.
In diesem Marx-Jahr 2018 wird desöfteren das kommunistische Manifest zitiert. Dabei muss den Partei-Linken gelegentlich der korrekte Titel des programmatischen Texts in Erinnerung gerufen werden: <Manifest der kommunistischen Partei>. Bereits in der Titelgebung wird deutlich: es geht hier um nichts weniger als die Organisationsfrage.
Und diese Frage zu stellen, bedeutet konkret zu werden. Ich selbst lebe in Hamburg, im Stadtbezirk Altona und dort im Stadtteil Osdorf. Wo befindet sich die nächstgelegene Geschäftsstelle der Partei DIE LINKE? Im durch und durch gentrifizierten Designer-Quartier Ottensen.
Was wurde auf dem letzten Plakat der Partei DIE LINKE, welches mir in meinem Stadtteil begnetete, beworben? Eine Veranstaltung zum Thema Sexismus in der Werbung, die in ebenjenen Ottensener Räumen stattfand.
Was das alles mit Kipping und dem Wahlergebnis zu tun hat? Auf den ersten Blick wenig. Schaut man genauer, dann schon mehr.
Die Partei DIE LINKE hat vielerorts die Bedürfnisse jener aus den Augen verloren, die am Rande der sich weltoffen gerierenden Premium-Meritokratie in elenden Wohnsiedlungen am Hartz-IV-Tropf hängend vor sich hinvegetieren müssen. Ja, über diese <Abgehängten> wird in der selbstgerechten Prosecco- und Bussi-Gesellschaft der wohlmeinenden <Linken> gern als <sozial Schwache>  geredet, die von linkem Internationalismus und internationaler Solidarität nichts verstünden.
Kurzum, die Partei DIE LINKE hat die von Marx und Engels aufgeworfene Organisationsfrage noch nicht einmal wahrgenommen. Ansonsten wäre sie ja massiv mit Vor-Ort-Büros und stadtteilbezogenen Initiativen dort vertreten, wo die sozialen Probleme im Regime kapitalistischer Akkumulation tatsächlich pressieren.
Im Wahlergebnis für Katja Kipping drückt sich das Elend der Partei DIE LINKE zählbar aus: Es reicht eben nicht, für die ex-grüne Edelklientel in gentrifizierten Hipster-Communities wählbar zu sein. - Höchste Zeit also für eine linke Sammlungsbewegung.

Donnerstag, 26. April 2018

Ein Musikpreis und seine Schallreflexionen. Bei BMG (Bertelsmann) hat's Bang gemacht

Der Musikpreis Echo ist seit heute Geschichte. Die Zahl derer, die dies bedauern, dürfte recht überschaubar sein.

In diesem Blog-Beitrag möchte ich chronologisch meine Kommentierung des Skandals um Farid Bang und Kollegah sowie ihrem Musikverleger BMG (Bertelsmann) so wiedergeben, wie sich diese unter meinem Account @sroski auf Twitter bis heute (25. April 2018) dargestellt hat.

Neben diesen Hauptdarstellern tauchen eine Reihe von Nebenakteuren auf: so z.B. der ZDF-Royalist und hipsteresk-pseudo-kritische Spaßvogel Jan Böhmermann, der sich nur allzu gerne als kumpelhafter Homie von Antisemiten und Schlägertypen à la Kollegah geriert. Fehlen darf natürlich nicht der allfällige CSU-Kommentar eines Alexander Dobrindt, der in der Manier eines einfallslosen konservativen Politikers das tut, was er bloß kann: nach dem (Polizei-)Staat und Gesetzen zu rufen anstatt das Problem an der Wurzel zu packen. Dies würde nämlich bedeuten, die Geschäftspraktiken und das Geschäftsmodell eines der weltweit größten Medien- und Dienstleistungskonzerne zu untersuchen: Bertelsmann.

Ich möchte die Angelegenheit so pointierten: Ja, den Echo, den gibt es nicht mehr - Bertelsmann allerdings wird ohne Skrupel weiter seine Geschäfte machen - mit Dummheit, Hass, Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, mit RTL, Sarrazin, Hartz-IV-Sozialpornografie, mit Gangsta-Rap, Inkasso-Diensten, Digitalbildung und und und.

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Mittwoch, 18. April 2018

Zarter Schmelz für Spießer. Frederico Albanese und sein Ensemble in der Elbphilharmonie am 17. April 2018

Einmal schön seicht, bitte.

Dass Hamburg eine sozial gespaltene Stadt ist, manifestiert an kaum einem Ort deutlicher als in der Elbphilharmonie. Das Milliardengrab der Stadtbourgeoisie ist ein Ort der Exklusion. Der systematische Ausschluss derer, die nicht dazugehören sollen, wird hier von einem Publikumsgemisch aus Bewohnern von Designer-Wohnquartieren wie Eppendorf, Blankenese und Ottensen sowie den allfälligen Touristengruppen tagtäglich in Form eines menschenverachtenden Zynismus zelebriert. So war mir der Zugang zu einem Konzertticket erst zwei Jahre nach Eröffnung der von den Hamburgern in seltener Einfalt sogenannten ElPhi möglich.

Und tatsächlich war mir die auf dem Programm des Abends stehende Musik gar nicht wichtig. Um es klar zu sagen: Wegen Frederico Albanese und seinem Ensemble wäre ich in keinen Konzertsaal dieser Welt gegangen, vielmehr war es mir wichtiger, einmal die viel gerühmte Akustik der milliardenschweren Weihestätte des Hamburger Musiklebens aus eigener Wahrnehmung zu erkunden.

Immerhin hat Frederico Albanese erreicht, diesen Blog-Beitrag dann doch der dargebotenen Musik zu widmen, stellte doch das Klanggesäusel des Italieners ein veritables Ärgernis dar. Auf einen Nenner gebracht möchte ich die öligen Ergüsse Albaneses und seines Ensembles so beschreiben: ein mäßig talentierter Komponist repetitiert pianistisch synthetisch-ambiente Figuren, über die vier Streicher karamelisierten Schmelz gießen. An jeder Supermarktkasse gibt es diese zuckersüßen Kügelchen zu kaufen - Giotto heißen diese und Frederico Albanese wäre der ideale Marketingkomponist dieser italienischen Süßware. Ihm würde sogar das Kunststück gelingen, Giotto-Kugeln in Milch schwimmen zu lassen, er besitzt die dazu notwendige kompositorische Oberflächlichkeit.

Der geneigte Leser mag zu der Ansicht gelangen, ich hätte etwas gegen zeitgenössische italienische Komponisten. Dem ist mitnichten so, schätze ich doch etwa Luciano Berio, Luigi Nono und Giacinto Scelsi sehr. Künstlerischen Persönlichkeiten dieses Kalibers ist eines stets glasklar: Wenn ein sich vorwiegend aus den bürgerlichen Schichten rekrutierendes Konzertpublikum den Saal mit zufriedenen Minen verlässt und sich gleichsam vor Glückseligkeit bepisst, dann hat die Musik versagt, der Komponist die Realität antagonistischer gesellschaftlicher Widersprüche klanglich zugekleistert und ist folglich seinem künstlerischen Auftrag in keiner Weise gerecht geworden. Albanese hat noch nicht einmal im Ansatz begriffen, dass Minimalistik in der Musik sich eben nicht in der endlos-schwülstigen Wiederholung des immer gleichen Klangmaterials erschöpfen darf, sondern vielmehr - man denke an Philip Glass, John Cage und Morton Feldman - in der mikroskopischen Variation von Mustern besteht, die sich in der zeitlichen Dauer des musikalischen Prozesses einem schließlich radikalen Wandel unterziehen.

Das Schnöselpublikum des Elphi-Milliardengrabs wird am Ende der Darbietung von Frederico Albanese und Ensemble erleichtert konstatiert haben, dass hier nicht gebohrt wurde, sondern im Gegenteil vielmehr süßlich-klebrige musikalische Giotto-Kügelchen in die Ränge geworfen wurden. Man könnte den Eindruck gewinnen, die Programmgestaltung der Elbphilharmonie obliegt nicht den rigiden Gesichtspunkten künstlerischer Expertise, sondern den merkantilen Interessen einer Stadtgesellschaft, die verlogene Harmonie einer kritisch-wahrhaftigen Kunst den Vorzug einräumt. Schande über die Häupter solcher Künstler, die sich und die Kunst verleugnen, bloß konfektionierte Massenware abliefern. Frederico Albanese gehört zweifellos in diese zwielichtige Gesellschaft.




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Sonntag, 25. März 2018

Über den Alltagsgebrauch des Worts Rassismus

Als Soziologe freut es mich sehr, wenn Fachkollegen sich zu Themen vernehmen lassen, die einen alltagsweltlichen Bezug haben. Gleichzeitig betrübt mich, dass dies allzu oft in einem Duktus der akademischen Unverständlichkeit geschieht. Soziologen berauben sich damit der Chance, die Stimme der wissenschaftlichen Vernunft wahrnehmbar zu machen - gerade auch für Menschen, deren Gewohnheit nicht darin besteht, Diskurse zu analysieren und die Legitimität von Narrativen zu beurteilen. Dabei ist die Stimme der Soziologie gerade in unseren Zeiten der neuen Irrationalität, von Hatespeech und der  argumentativen Verkümmerung wichtig wie selten zuvor.
Der Begriff Rassismus ist in aller Munde. Und natürlich sind die fachsoziologischen Veröffentlichungen zum Thema Legion. Dabei wird jedoch vernachlässigt, die Erkenntnisse der Disziplin so zu trivialisieren und aufzubereiten, dass ein breiteres Publikum von ihnen profitieren könnte. Wenn etwa einschlägige Fachpublikationen von Begriffen wie Critical Whiteness, Cultural Models, Ethnisierung, Postkolonialismus usw. nur so strotzen, darf sich die Disziplin nicht darüber wundern, wenn an sie der Vorwurf adressiert wird, nur noch selbstreferenziell um abstrakte Konstrukte zu kreisen. Dann verdammt sich die Soziologie selbst, die ja, Luhmann folgend, Wissenschaft von der Gesellschaft in der Gesellschaft sein sollte, zur gesellschaftlich-politischen Bedeutungslosigkeit und gibt das leicht lächerliche Bild einer Gemeinschaft von Leuten, die sich in esoterischem Wortgeklingel üben. 
Eine typische Argumentationsfigur der sogenannten Neuen Rechten oder <Identitären> erlaubt es mir, das Thema bei den Hörnern zu packen. Sie funktioniert etwa so: Wenn, so wird argumentiert, sogenannte <Gutmenschen> Vertretern der Neuen Rechten oder den <Identitären> Rassismus unterstellen, dann bedienten sich eben jene <Gutmenschen> genau des Konzepts, das sie ja eigentlich verurteilen würden. Kurz gesagt, ließe sich diese rechte Argumentationsfigur so zuspitzen: Wer von Rassismus spricht, ist selber ein Rassist.
Was auf den ersten Blick als ein bestechendes Argument erscheint, erweist sich bei genauerer Betrachtung als billiger Trick eines sophistischen Straßenzauberers. Wenn wir über ein Phänomen sprechen, Bewertungen vornehmen, dann bleibt uns nichts anderes übrig, als diesem Phänomen einen Namen zu geben, es zu bezeichnen. Und wenn wir es dann aussprechen, um die Einstellungen des Gegenübers zu kennzeichnen oder gar zu kritisieren, dann läuft man eben leicht Gefahr, dass der Kritisierte einem die Bezeichnung als Return wie in einem Tennisspiel wieder um die Ohren haut.
Interessant an diesem Return ist ja zunächst einmal, dass auch der neurechte Gegenspieler zumindest so tun muss, als sei Rassismus etwas Negatives, ansonsten vergäbe dieser sich ja der Möglichkeit der Diskreditierung des <gutmenschlichen> Gegenübers. Dann ist an dem Konzept etwas Weiteres wichtig und interessant. Rassismus ist ein prozessualer Begriff, will sagen: der glasklare Rassist und der ebenso reine Antirassist bilden Endpunkte auf dem Kontinuum des Rassismuskonzepts. Daraus folgt etwas sehr Wesentliches. Insbesondere derjenige, der seinem Gegenüber den Vorwurf des Rassismus macht, muss stets jeweils den eigenen Standpunkt, die jeweils eigene Haltung in dieser Frage kritisch mitreflektieren. Denn rassistische Vorurteile fallen ja nicht einfach vom Himmel, sondern werden anerzogen, über sozialisatorische Instanzen (Peer Groups, Vereine, Bildungseinrichtungen etc.) gelernt und über Verbreitungsmedien alten und multimedialen neuen Typs vermittelt. Somit kann die neurechte, <identitäre> Argumentatuonsfigur sogar produktiv fruchtbar gemacht werden. Der Imperativ lautete dann: Der, der du mich einen Rassisten nennst, überprüfe dich zunächst einmal selbst, ob du dich stets vorurteilsfrei durch die Welt bewegst. Und sofern dieser Imperativ dann auch von dem neurechten oder <identitären> Gegenüber beherzigt würde, wäre für die Überwindung rassistischer Stereotype viel gewonnen. Dass hier allerdings Zweifel anzumelden sind, steht auf einem anderen Blatt.
Viel interessanter als Neurechte oder <Identitäre> zu überzeugen, erscheint es mir allerdings, den Imperativ, den ich aus der Kritik ihrer Argumentationsstruktur abgeleitet habe, im Alltagszusammenhang zu verwenden. Einmal ganz konkret auch auf mich selbst bezogen: Bin ich wirklich immer vorurteilsfrei? - Besser noch: Ich weiß ganz genau, nie zu 100 Prozent vorurteilsbefreit sein zu können. Bin ich mir aber darüber im Klaren, funktioniert mein kritischer Verstand, erkenne ich Vorurteile als solche, wenn sie sich doch einmal wieder Bahn brechen oder gar Bahn gebrochen haben?
Und dies lenkt dann abschließend meinen soziologischen Blick auf jene von den Neuen Rechten und <Identitären> gern als <Gutmenschen> Verspotteten. Und hier bleibt mir nur kritisch zu sagen: Ja, auch jene, die lautstark ihren Mund aufreißen und für sich Antirassismus reklamieren, sollten den Imperativ beherzigen. Nichts anderes besagt ja der Ansatz des Critical Whiteness. Konkret einige Beispiele:  Die weiße, privilegierte Feministin aus der Kreativwirtschaft sollte beim Thema Antirassismus kleinlauter sein, wenn sie sich ihre Designer-Wohnung von einer gering entlohnten Putze reinigen lässt. Oder: Der in der Flüchtlingshilfe engagierte Alt-Studienrat, der noch mal in der Deutsch-Gruppe den obermackernden Lehrer heraushängen lässt und freimütig Lob nach dem Motto <Du sprichst aber schon ganz toll Deutsch> verteilt, sollte in einer stillen Stunde mal darüber nachdenken, dass Diskriminierung positiv viel subtiler funktioniert als andersherum.
Insofern kann die Auseinandersetzung mit Neuen Rechten oder <Identitären> am Ende dazu beitragen, den je eigenen Balken im Auge zu erkennen.

Montag, 29. Januar 2018

Und das Arschloch ist: Maxim Biller.

Hamburg ist eine angemaßte Weltstadt und als solche leistet sich das Elbnest eine Reihe von beschaulich-bürgerlichen Presseerzeugnissen, die vorwiegend im Wochenrhythmus erscheinen. Geistig besonders Derangierte wie Oberstudienräte, Werber und allerlei Hipster-Gesocks aus der sogenannten Kreativwirtschaft halten Donnerstag für Donnerstag das wohl minderwertigste Spießbürger-Weekly stolz posierend vor ihre Wasserköpfe: DIE ZEIT.
Widerlinge wie Giovanni di Lorenzo, Josef Joffe und Iris Radisch adressieren ihre Sinnbotschaften an Ihresgleichen. Das DIE ZEIT-Feuilleton ist dermaßen verkommen, dass sich dort allerhand schwachsinniges Gesindel breit machen darf, ja, es soll dort Redakteurinnen geben, die voll tough auf feministisch machen, jedoch kein Problem damit haben, jeden sexistischen Twist eines Bremer Crétins namens Böhmermann unter lautem Jauchzen als Ausdruck edelster pseudo-kritischer Ironie zu adeln. Aber wehe, es wird diesen Hochglanz-ZEIT-Schlampen mal ganz real mit verbaler Schlüpfrigkeit begegnet - dann ruft man halt laut nach der Polizei.
Kein Wunder für mich, dass in diesem verkommensten Feuilleton der BRD dem Maxim"-analen-Oberarschloch" Biller eine halbe Seite spendiert wird. Das TV-gestählte Enfant terrible des heruntergekommenen Literaturbetriebs dieses unseres Landes passt olfaktorisch bestens in die vollgefurzte Filterblase des Hamburger Wochenblatts. Seine Frage nämlich, wer denn hier das Arschloch sei, betrachte ich mal bereits jetzt als hinlänglich beantwortet.
Dass DIE ZEIT ihre Filterblase mit dieser Biller-Polemik bespaßt, hat einen simplen Grund: Die glatt gegelten Edelstilisten blasen zum letzten Gefecht, wissen sie doch, dass ihre selbst angemaßte Deutungshoheit in den ätherischen Sphären des Leitmediums in Zeiten der Social Media längst sturmreif geschossen worden ist. Das Arschloch Biller schreibt:
<Und jetzt sage ich Ihnen, was mir zurzeit unglaublich auf die Nerven geht: dass Leute wie Sie immer öfter so tun, als hätten die Hass- und Hetz-Atmosphäre im Internet und die radikale, aggressive, sorgfältig komponierte Polemik irgendetwas miteinander zu tun ... Ja, Sie wollen eben nicht, dass man Ihnen mit scharfen Worten erklärt, wie verrottet inzwischen Ihre neu-alte deutsche Gegenwart ist ... (D)er Internet-Hass und der Hass eines bösartigen, wahrheitsliebenden, stringent argumentierenden und maßlos schimpfenden Publizisten haben absolut nichts miteinander zu tun ... Oder glauben Sie wirklich, dass Männer und Frauen wie Spinoza, Karl Popper oder Hannah Arendt mit 280 Zeichen, ein paar Flashmob-Posts und Facebook-Rants besonders weit gekommen wären?>
Och, Billerchen. Hast jetzt aber fein Mimimi gemacht. Dafür lädt dich Onkel di Lerenzo auch auf eine Pizza ein. Jetzt hat das kleine Arschloch so viele Worte gebraucht, so viele Autoritäten missbraucht, um den bescheuerten ZEIT-Lesern diese Botschaft zu vermitteln: Hass, Polemik und einfach mal Pöbeln sind nicht dasselbe.
Fazit: DIE ZEIT muss ganz schön am Arsch sein, wenn ein Arschloch wie Maxim Biller bemüht wird, um nur die Illusion von Deutungshoheit aufrecht zu erhalten.