Sonntag, 2. Dezember 2018

Steffen Roski: Gelbe Westen - ein Kommentar


Symbol des Protests in Frankreich: die Gelbe Weste
Wie sehr sich doch die Zeiten geändert haben! Sozialproteste in Frankreich, Proteste gegen Prekarisierung, gegen eine neoliberale Politik des Privatisierens und Sparens auf Kosten der Bevölkerungsmehrheit, Proteste auch und vor allem gegen eine Politik, die vor dem Hintergrund von Komplexität und Globalisierung den Menschen zu suggerieren versucht, ihre Rezepte seien schlechterdings alternativlos, der Wähler habe kommentarlos zu schlucken, sprich: zu zahlen. Konkreter Anlass der Proteste: eine Energiewende à la francaise. Die stärkere Besteuerung von Treibstoffen trifft natürlich jene überaus hart, die ohnehin kaum wissen, wie sie über den Monat kommen sollen. Auch die Sozialproteste sind á la francaise: es brennt, der zivile Ungehorsam zeigt sich u.a. dort, wo die Kluft am deutlichsten hervortritt: an den zentralen Plätzen und in den Prachtboulevards der Hauptstadt Paris.

Wie sehr sich doch die Zeiten geändert haben! Sozialproteste in Frankreich hätten vor nicht allzu ferner Vergangenheit die politische Linke hierzulande elektrisiert. Nicht in dem trivialen Sinn, die französischen Aktionsformen umstandslos auf die BRD zu übertragen, denn so einfach würde dies nicht funktionieren. Wohl aber hätte die Linke in ihren Strukturen politischer Bildungsarbeit versucht, Interessierte und Aktivisten über die französischen Vorgänge zu informieren, um dann Schlussfolgerungen für die politische Praxis in der BRD zu ziehen. Ich sehe davon allerdings nichts. Im Gegenteil. Mir scheint die Linke im populistischen Dilemma wie erstarrt und aktionsunfähig geworden zu sein. Erinnern gelbe Westen nicht an verwirrte neurechte Reichs- und Wutbürger? Liefe man Gefahr, mit Protesten gegen die neoliberale Politik in der BRD, für die letztendlich Angela Merkel die Regierungsverantwortung nicht erst seit gestern trägt, in gefährlicher Weise in die Nähe jener zu rücken, die mancherorts lauthals 《Merkel muss weg!》 skandieren? Und noch etwas weiter gedacht: Verlöre die Linke den Anschluss an das urbane hipstereske Milieu der Ökologisten, deren gut verdienende Vertreter sich am grün-kapitalistischen Moral-Ablasshandel beteiligen, der darin besteht, für ökologisch Einwandfreies gern mehr Geld zu bezahlen?

Ja, die Zeiten haben sich in der Tat geändert! Die Linke hat sich längst von der Konfrontation mit den wahren sozialen Problemen in der BRD verabschiedet. Die Ironie dabei: Die Linke begründet ihren Abschied damit, nicht rechts erscheinen zu wollen - und überlässt damit eben jenen Kräften das Feld, denen sie doch eigentlich keinen Raum geben sollte.



Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.