Montag, 23. März 2020

Forderung nach Soforthilfe in der Corona-Krise: Eine Online-Petition von unten

Am vergangen Sonntag, dem 15. März 2020, startete auf change.org die Online-Petition         》100€ Bevorratungszuschuss für Hartz-IV-Bezieher! Jetzt!《
Bis jetzt haben über 500 Menschen unterschrieben. Mancher wird vielleicht sagen, dies sei ja in einer Woche keine allzu große Zahl. Ich würde entgegnen: Freilich, 50.000 Unterschriften würden dem Anliegen natürlich bedeutend mehr Nachdruck verleihen, klar. Ich finde jedoch diese ersten 500 Unterschriften in der ersten Woche recht erstaunlich. Im Folgenden möchte ich dies begründen.
Die Petition geht nicht von einer politischen Partei, einem Verband, einer Interessengruppe aus, sie entstammt keinem Netzwerk, sondern kommt von unten, wird von Einzelnen getragen!
Soziologisch betrachtet gibt es in der Corona-Krise mindestens drei Logiken kollektiven Handelns. 
Erstens sind die Konzerne, Banken und größeren Unternehmen zu nennen, die im neoliberalen post-fordistischen Akkumulationsregime in zweierlei Hinsicht äußerst durchsetzungsstark sind: sie treffen auf weitgehend geschwächte Gewerkschaften, was ihnen seit Jahrzehnten erlaubt hat, das Tarifvertragssystem zu ihren Gunsten zu transformieren. Stichwörter: Dumpinglöhne, Verlagerung von Produktionskapazitäten dorthin, wo sich noch günstigere Lohnniveaus bieten, Verdichtung von Arbeit, Outsourcing usw. Und sie treffen auf den neoliberalen Staat, der Unternehmens- und Vermögenssteuern immer mehr gesenkt hat.
Der Staat tritt als Garant auf: im Extremfall wird sogar zur Ultima Ratio der Verstaatlichung gegriffen, zumindest aber ein billionenschweres 》Rettungsprogramm《 aufgelegt.
Die zweite Logik kollektiven Handelns: Gewerkschaften und Verbände, die für ihre Mitglieder sozialverträgliche Krisenregelungen aushandeln und mit der produktivistischen Sozialdemokratie einen, wenn auch schwachen, Bündnispartner haben. Das Ergebnis sind z.B. Regelungen zum Kurzarbeitergeld.
Es gibt jedoch darunter die dritte Logik kollektiven Handelns. Hartz-IV-Empfänger, Grundsicherungs-Bezieher, erkrankte Menschen, Armutsrentner, Obdach- und Wohnungslose. Gern wird diese Gruppe als        》sozial schwach《 abgestempelt, was beleidigend ist, denn diese Menschen sind vor allem eines: von Armut betroffen. Sozial schwach ist diese Menge Depravierter allerdings in einer Hinsicht: sie verfügen über keine Logik kollektiven Handelns und treten als Ansammlung isolierter Einzelner auf. 
Die Gruppe der Hartz-IV-Bezieher wird vor dem Hintergrund der für immer mehr Menschen prekär werdenden wirtschaftlichen Existenzgrundlage zunehmend größer werden. Die Verunsicherung wächst allgemein. Was noch vor Tagen völlig selbstverständlich gewesen war, gerät ins Wanken, scheinbar sicher geglaubten Existenzen wird der Boden unter den Füßen gerissen!
In der Corona-Krise wird dieses sehr deutlich: die Bazooka fürs Großkapital, Steuerstundungen und Kredithilfen für den Mittelstand, Lohnfortzahlungen für Arbeitnehmer dieser Unternehmen, jetzt auch, immerhin, Mietgarantien und unbürokratischer Zugang zu Leistungen der Agentur für Arbeit und der Jobcenter. 
Die sich außerhalb des produktivistischen Ideals befindliche dritte Gruppe, die Armen nämlich, werden nicht einmal erwähnt. Ihre Not, die darin besteht, mehr schlecht als recht über den jeweiligen Monat zu kommen, findet keinerlei Berücksichtigung. Im Gegensatz zum Großkapital, dem Mittelstand, den gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern gebricht es ihnen nämlich an kollektiven Handlungsoptionen.
Es wird höchste Zeit, dass jene sozial Geächteten und Exkludierten eine Logik kollektiven Handelns entwickeln, so schwer dies unter den aktuellen Bedingungen auch sein mag!

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