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Samstag, 19. Mai 2012

ZEIT-Interview mit Rüdiger Safranski und Peter Sloterdijk


ZEIT: Man könnte es positiv wenden: Die digitale Reproduzierbarkeit des Kunstwerks sorgt für eine ungeheure Verbreitung von Werken. Nur weil die Finanzierungsfrage nicht geklärt ist, heißt es noch lange nicht, dass der Urheber gering geschätzt wird.
Safranski: Wer von seinem Wort lebt, sieht das anders. Die kostenlose digitale Beweglichkeit der Worte und Werke – gerne. Aber bitte nicht meine. Was wir erleben, ist ein Aufstand der Konsumenten. Die wollen das umsonst haben, fertig. Wir wollen alles, aber dalli. Das ist nicht so kompliziert.
Sloterdijk: Die ganze Diskussion erinnert mich an einen Vorgang in Paris im Jahr 1970. Damals überfiel eine anarcho-maoistische Gruppe den Delikatessenhändler Fauchon und verteilte Gänseleberpastete, Kaviar und Cognac in einem von Afrikanern bevölkerten Arbeiterviertel. Das war ein prophetischer Akt: Er legte das Prinzip Gratis als den utopischen Kern der Umverteilungsgesellschaft offen. Auch das Prinzip Gratis kennt Derivatgeschäfte, und die fangen an mit dem wehrlosesten Gut, mit den Zeichen.
ZEIT: Sie sehen den Beginn einer umfassenden Enteignungswelle?
Safranski: Künstlerische Werke sind heute so etwas wie Schrottpapiere. Völlig entwertet oder in anderen Fällen zum Spekulationswert hochgesteigert. Es gibt, wie wir wissen, kein vernünftiges Verhältnis mehr zwischen Real- und Finanzwirtschaft. Zirkulation rangiert vor Produktion. Dass Werte, die zirkulieren, zuvor irgendwie geschaffen werden müssen, macht man sich kaum mehr klar. Man muss nur zugreifen, es ist doch alles schon da, denkt der Konsument in uns. Der Konsument aber ist bekanntlich, nach Nietzsche, der letzte Mensch. Der Endverbraucher eben.

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