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Samstag, 9. Juni 2012

Die Radioretter: Gegen Kulturverlust und Kommerz beim WDR

Sehr geehrte Unterzeichnerinnen und Unterzeichner unseres „Offenen Briefs“, wie Sie wahrscheinlich schon wissen, hat der Rundfunkrat des WDR am 30. Mai für die von der WDR-Geschäftsleitung vorgelegten „Reformpläne“ gestimmt. Bei nur drei Gegenstimmen und zwei Enthaltungen haben sich Intendanz und Hörfunkdirektion mit ihrem an Unternehmensberatergrundsätzen orientierten Kurs durchgesetzt: Das Kulturprogramm von WDR 3 wird ohne Rücksicht auf Verluste weiter abgebaut. Die vielfach begründete Empfehlung, zunächst Raum zu geben für eine gründliche Debatte über ein künftiges Kulturradio, um erst danach über mögliche Veränderungen auf WDR 3 zu beschließen, wurde ignoriert; das von Redakteuren, „Radiorettern“ und Kulturschaffenden gewünschte Moratorium von der Mehrheit der Gremienmitglieder nicht einmal erwogen. So verschwindet das Politische tagsüber aus WDR 3 und schrumpft – sieht man von den Nachrichten ab – auf eine Viertelstunde pro Tag. Das Feuilleton „Resonanzen“ soll in Wiederholungen ersticken, anspruchsvolles Feature wird weiter gestrichen und die Programmgruppe „Musik“ zerschlagen. Die Inhalte und Formen, die Kraft und die Aufgaben eines Kulturradios werden Schritt für Schritt auf die schiere Abbildung von Ereignissen reduziert, die Kompetenz und die Entscheidungsmöglichkeiten von Fach- und verantwortlichen Redakteuren werden noch stärker eingeschränkt. Und die Musik in diesem von Musik geprägten Programm wird deutlich geschwächt. Vor all dem haben wir in den vergangenen Monaten gewarnt. Wir haben zudem große Anstrengungen unternommen, anderen Entwicklungen Raum zu verschaffen. Wir haben sorgfältig argumentiert und die Reform-Floskeln detailliert in die bevorstehende Wirklichkeit übersetzt. Wir haben Hunderte von Fragen gestellt, wir haben Alternativen entwickelt und zu Diskussionen geladen. Und wir haben große öffentliche Zustimmung erfahren. Das alles war – bezogen auf die konkreten Abbaupläne für WDR 3 – vergeblich. Für uns, die „Radioretter“, ist dies Anlass, eine Zwischenbilanz zu ziehen. Gewiss: wir haben Fehler gemacht. Wir wollten nicht daran glauben, dass WDR-Leitung und Rundfunkrat ihre Politik gegen den massiven Protest einer breiten Öffentlichkeit würden durchsetzen wollen. Stillschweigend vertrauten wir darauf, dass begründete Einwände und gute Argumente eine offene Diskussion und Veränderungen nach sich ziehen würden. Wir hielten es nicht für möglich, dass die Mehrheit der Gremienmitglieder kein Interesse daran haben könnte, sich in die Materie einzuarbeiten und sich genügend fundiertes Wissen über Programmabläufe und Inhalte anzueignen, um die Behauptungen der WDR-Geschäftsleitung und ihre rhetorischen Taschenspielertricks aus eigener Kraft überprüfen und entlarven zu können. Ebenfalls hielten wir es nicht für möglich, dass sich Gremien wie der Rundfunkrat, die eine gesellschaftliche Kontrolle ausüben sollen, ihrer Verantwortung derart willfährig entziehen würden. In gewisser Hinsicht waren wir also naiv. Ihre qualifizierten Unterschriften unter unseren Offenen Brief wurden als Internet-Klicks, die Forderungen nach einem anspruchsvollen Kulturradio als elitär oder gestrig, die vielfältigen Plädoyers für ein Moratorium als unerlaubte Einmischung denunziert. Statt öffentliche Auseinandersetzungen um die Zukunft und die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu führen, wurde hinter verschlossenen Türen nach Marketingformulierungen gesucht, mit denen den Hörerinnen und Hörern der Programmabbau als Programmverbesserung verkauft werden sollte. Der Konflikt um den WDR hat Strukturen offengelegt, die den gesellschaftlichen Zustand im Ganzen spiegeln. Die Apparate entziehen sich sprunghaft jeder öffentlichen Kontrolle. Und folgen einer in sich kreisenden Logik angeblich alternativloser Sachzwänge. Begründeter Kritik, Protesten und abweichenden Überlegungen gegenüber zeigen sie sich immun. Sie weichen der Debatte aus oder machen sie auf administrativem Weg zunichte. Dies veranlasst die „Radioretter“ aber nicht, ihre Arbeit einzustellen. Im Gegenteil. Unser Kampf gegen den Ausverkauf des öffentlich-rechtlichen Programmauftrages und eines unabhängigen Journalismus ist nötiger denn je. Wir werden die Dinge im WDR aufmerksam verfolgen, wir werden wie bisher in geeigneter Form intervenieren, wir werden Verflachungen und Demokratiedefizite beim Namen nennen und ihnen mit Alternativen begegnen. Und wir beabsichtigen, sie als Teil einer Entwicklung zu behandeln, von der die ARD insgesamt betroffen ist. Unter anderem beabsichtigen wir, in regelmäßiger Folge eine Rundschrift herauszugeben, die den medien- und kulturpolitischen Kurs des WDR und anderer ARD-Anstalten einer eingehenden Analyse und der Kritik unterzieht. Wir werden zu Konferenzen einladen, um rundfunk- und programmpolitische Alternativen zu entwickeln und öffentlich zu machen. Nicht zuletzt werden wir kritische Redakteure und Autoren in ihrem Widerstand gegen Entwicklungen unterstützen, die dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk zusehends die Legitimationsgrundlage entziehen. Um diese erweiterte Arbeit finanzieren zu können, werden wir uns organisatorisch eine neue Form geben und in Kürze den Verein „Die Radioretter“ gründen. Diesem Verein beizutreten laden wir Sie ein – nähere Informationen folgen. Der Konflikt um WDR 3 war bloße Momentaufnahme eines Prozesses, der andauert. Er verlangt nach gesellschaftlichem Widerstand. Deshalb hoffen wir auch auf Ihre aktive Unterstützung. Mit freundlichen Grüßen Initiative für Kultur im Rundfunk – „Die Radioretter“

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