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Donnerstag, 13. September 2012

David Graeber: Über die Erfindung des Geldes

 Was AnthropologInnen stattdessen tatsächlich dort beobachtet haben, wo Geld nicht im Umlauf war, war nicht ein System expliziten Leihens und Verleihens, sondern ein breites System an nicht-spezifizierten Krediten und Schulden. Wenn ein Nachbar etwas von deinem Eigentum haben möchte, reichte es in den meisten solcher Gesellschaften aus, es zu loben („Was für ein großartiges Schwein!“); die Reaktion bestand dann darin, dass es sofort abgegeben und zugleich darauf insistiert wurde, dass es sich um ein Geschenk handele und der Geber auf keinen Fall jemals etwas als Gegenleistung hätte haben wollen. Tatsächlich schuldete der Empfänger ihm nun einen Gefallen. Nun konnte er den Gefallen abwarten, da es ja ganz angenehm ist, jemanden dir gegenüber in der Pflicht zu wissen, oder er konnte etwas ausdrücklich Nicht-Materielles einfordern („Weißt du, mein Sohn ist in Deine Tochter verliebt...“). Er konnte auch ein anderes Schwein oder etwas verlangen, was er für ungefähr gleich viel wert hielt. Aber es ist kaum vorstellbar, wie all das zu einem System führen soll, in dem es möglich ist, anteilige Werte gegeneinander abzuwägen. Selbst wenn, was manchmal vorkommt, die Partei, die den Gefallen schuldet, dich mit einem unerwünschten Geschenk bedrängt und man dies als unangemessen empfindet – ein paar Küken zum Beispiel –, wird man ihn als Geizhals verspotten, aber es ist unwahrscheinlich, dass man es für notwendig hält, mit einer mathematischen Formel anzurücken, nur um zu bemessen, für wie geizig man ihn hält. Demzufolge findet man, wie Chris Gregory herausgestellt hat, in so genannten ‚Schenkökonomien’ eine ausgedehnte Rangfolge verschiedener Arten von Gütern – Kanus sind in etwa gleich viel wert wie vererbte Halsketten, beide sind mehr wert als Schweine und Walzähne, die wiederum mehr wert sind als Hühner etc. –, aber was man nicht findet, ist ein System, mit dem man bemessen könnte, wie viele Schweine ein Kanu wert sind.

Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.

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