Aber es existiert daneben eine Herrschaftsform, in der Kritik durchaus autorisiert ist, ja sogar gefordert wird, nur unter der Voraussetzung, dass sie wirkungslos bleibt. Sie wird dadurch eine wesentlich verbale Aktivität und soll Unzufriedenheit absorbieren. Im letzten Drittel des 20. Jahrhunderts, und mehr noch seit etwa einem Jahrzehnt, hat man ein derartiges Regieren aufkommen sehen, das ich »geschäftsführend« nennen möchte. Es beruht auf einer Verallgemeinerung von Managementmethoden, die aus der Wirtschaft kommen und sich nun auch in der Schule, im Gesundheitswesen, in der Kultur breitmachen, ja im gesamten öffentlichen Dienst. Dieses new public management favorisiert die Konkurrenz zwischen verschiedenen Einrichtungen desselben Sektors, außerdem zwischen den Individuen, die in der öffentlichen Sphäre arbeiten. Mag sich diese Art des Regierens auch als demokratiekompatibel präsentieren, tendiert sie dennoch dazu, die Rolle der Kritik einzuschränken und mit ihr die der Politik. Unter ihr ist die Kritik nicht verboten wie unter einem Terror-Regime. Aber sich an freier Rede erfreuend, bleibt die Kritik gleichwohl außerstande, das Format grundlegend zu ändern, in dem die soziale Wirklichkeit konstruiert wird. Alles geschieht so, als habe die Kritik jeden Zugriff auf die Realität verloren. Dieser Modus des Regierens ist nicht konservativ in dem Sinne, dass er jede Veränderung verhindert, ganz im Gegenteil. Aber die Veränderungen, die er herbeiführt, fußen nicht mehr auf einer echten politischen Wahl und sind auch nicht durch Werte gerechtfertigt. Sie werden präsentiert als gleichsam naturgesetzlich, unter Berufung auf die Autorität der Wissenschaften und namentlich der Ökonomie, und ihr Zentralbegriff ist die Notwendigkeit. Unter einem derartigen Regime wird den Akteuren des sozialen Lebens, zumal den bedürftigsten unter ihnen, nicht etwa abverlangt, sich Illusionen hinzugeben, ebenso wenig wie sie die bestehende Ordnung mit Enthusiasmus befürworten müssen. Man verlangt von ihnen lediglich, realistisch zu sein und die »notwendigen Opfer« zu bringen. Und zwar nicht, weil diese an sich gut oder gerecht wären, sondern weil sie unabweislich sind angesichts der Lage, die nun einmal so ist, wie sie ist.
Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.
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