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Dienstag, 14. Mai 2013

Steffen Roski: Wie Bertelsmann funktioniert


Dass inzwischen das Wirken der Bertelsmann Stiftung auf eine kritische Öffentlichkeit stößt, finde ich sehr erfreulich, zeigt dies doch, dass in dieser Republik Beobachtungen jenseits des Mainstream angestellt werden.

Ich selbst habe mich seit Jahren politisch-wissenschaftlich mit der Bertelsmann Stiftung beschäftigt und rechne mir zu, einen Beitrag zur notwendigen Aufklärungsarbeit geleistet zu haben. Dabei hat sich für mich in letzter Zeit - angeregt nicht zuletzt durch Fragen, die mich entweder per Mail erreicht haben oder die mir im Rahmen von Veranstaltungen gestellt wurden - eine einfache, aber um so grundlegendere Frage herauskristallisiert: Wie funktioniert eigentlich das „System Bertelsmann“? Und: Wie kann diese Funktionsweise in einer möglichst einfachen, verständlichen Form und Sprache vermittelt werden? Tatsächlich kommt es im Kontext politisch-wissenschaftlicher Aufklärung darauf an, einen zugegebenermaßen komplizierten Sachzusammenhang so zu vereinfachen, dass er begriffen werden kann. Es gilt also zu vereinfachen, ohne dabei Falsches zu formulieren.

Dieser kleine Beitrag möchte diese Vereinfachung leisten. Ich verstehe diesen Text als einen offenen Kontext, der von anderen verändert oder erweitert werden mag. Dazu fordere ich ausdrücklich auf. Vielleicht findet sich ja eine Illustratorin / ein Illustrator, die / der die Sachverhalte grafisch veranschaulichen mag …

I

Fangen wir also mit der Bertelsmann AG an. Bei Wikipedia heißt es knapp: „Die Bertelsmann SE & Co. KGaA mit Hauptsitz in Gütersloh ist ein internationaler Medienkonzern. Gemessen am Gesamtumsatz ist Bertelsmann eines der größten Medienunternehmen weltweit und wurde vom Institut für Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) im internationalen Ranking für 2013 auf Platz 8 geführt.“ Ich möchte präzisieren: „Die Bertelsmann SE & Co. KGaA mit Hauptsitz in Gütersloh ist ein internationaler Medien- und Informationsdienstleistungskonzern.“ Beginnen wir mit den Medien:

  • Über 250 Millionen Menschen hören, schauen, konsumieren täglich Sendungen der RTL Group.
  • Wikipedia: „In Deutschland ist Gruner + Jahr außerdem am Dresdner Druck- und Verlagshaus (u.a. Sächsische Zeitung (60%)), an der Motor Presse Stuttgart (u.a. Auto, Motor und Sport (56,5%)), an der Financial Times Deutschland (100%), am Spiegel Verlag (25,5%), an xx-well.com (100%), chefkoch.de (100%), Ligatus GmbH (100%) und an der Henri-Nannen-Schule (95%) beteiligt.“
  • Wikipedia: „Im Oktober 2012 wurde bekannt, dass Penguin Books, ein Verlag im Besitz von Pearson PLC, und Random House unter dem Namen Penguin Random House zum weltgrößten Publikumsverlag fusionieren werden. Bertelsmann wird 53 Prozent und Pearson 47 Prozent der Anteile am neuen Verlag halten.“

Was folgt daraus? Der Bertelsmann-Konzern stellt für andere Konzerne eine wirkmächtige Werbe- und Marketingplattform zur Verfügung. Wer in der BRD ein Produkt an die Frau / den Mann oder das Kind bringen will, kommt an den Medienplattformen und -portalen des Hauses Bertelsmann nicht vorbei. Der Medienmulti Bertelsmann ist also auf das Innigste mit der globalen Konzernwirtschaft verbunden. Bertelsmann lebt von anderen Konzernen; die Konzerne wiederum nutzen seine Medienangebote zur Steigerung ihrer Wertschöpfung.

Bis hier hin mag man sagen: So what? Wo ist das Problem? Ist es nicht völlig normal, dass andere Konzerne Bertelsmann-Plattformen für ihre Produktwerbung nutzen?

II

Bertelsmann ist als arvato AG auch Informationsdienstleister. Was macht Arvato? Ich greife aus dem Wikipedia-Artikel zwei Bereiche heraus:

  • „Finance mit Dienstleistungen eines effizienten Risiko- und Forderungsmanagement ist ein weiterer Leistungsbaustein bei arvato. Dieser beinhaltet Risikoprüfung, Rechnungsstellung und -abwicklung, Forderungsabsicherung und Vorfinanzierung bis hin zur Buchung der Zahlung oder der weiteren Betreibung einer Forderung. Die kaufmännische Kundenbetreuung betreibt arvato für die Branchen Versandhandel, E-Commerce, Kreditwirtschaft, Versicherungen, Energie, Verkehr, IT und Telekommunikation, Gesundheit und öffentliche Hand. Des Weiteren betreibt arvato mit dem Tochterunternehmen informa Insurance Risk and Fraud Prevention GmbH mit Sitz in Baden-Baden die Warn- und Hinweisdatenbank Uniwagnis für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Bei der Datenbank handelt es sich um eine "schwarze Liste" von Versicherungsnehmern, die beispielsweise drei Sachschäden innerhalb von zwei Jahren oder den Totalschaden eines Fahrzeugs melden.“
  • „IT-Dienstleistungen von arvato beinhalten die Planung, Entwicklung, Implementierung und den Betrieb und die Betreuung von Standard-Software und branchenspezifischen und individuell entwickelten IT-Systemen, die Geschäftsprozesse miteinander vernetzen und die Steuerung von Abläufen verbessern. Unter anderem ist die Unternehmenseinheit arvato Systems in diesem Bereich tätig. Der IT-Systemintegrator bietet neben der Implementierung von Standard-Software individuell entwickelte Lösungen an. Den Schwerpunkt setzt arvato Systems dabei auf die Branchen Handel, Logistik und Transport, Manufacturing, Medien sowie Versorgung und Verwaltung. Zusätzlich werden auch Rechenzentrumsdienstleistungen, sogenannte „Infrastructure Services“, angeboten.“

Was folgt daraus? Bertelsmann bietet also nicht nur Medienplattformen an, das Unternehmen sammelt über die Tochter Arvato Konsumentendaten. Von Bonuspunkt- und Rabattsystemen über Inkassodienstleistungen bis hin zu IT-Lösungen für öffentliche Verwaltungen: Arvato bietet die gleichsam schlüsselfertigen Lösungen an.

Bis hier hin mag man sagen: So what? Wo ist das Problem? Ist es nicht völlig normal, dass andere Konzerne und öffentliche Verwaltungen sich vom Informationsdienstleister Bertelsmann Lösungen für ihre Probleme erhoffen?

III

Ich komme nun auf die Bertelsmann Stiftung zu sprechen und möchte eine Person zitieren, der man wohl kaum unterstellen kann, „linke Verschwörungstheorien“ zu verbreiten oder schwulstigen Ideologien anzuhängen. Josef Kraus ist Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL) und hat im Dezember 2012 auf der Homepage der Standesorganisation einen bemerkenswerten Beitrag abgeliefert: „Über den Wert von Bertelsmann-,Studien'“. Dort heißt es:

Die Bertelsmann Stiftung verfügt über enorme Ressourcen. 1977 gegründet, hält sie mittelbar rund 77 Prozent der Aktien der Bertelsmann SE & Co. KGaA. Das erlaubt ihr nicht nur die Beschäftigung von über 300 Mitarbeitern, sondern größte mediale Verbreitung über die in ihrer Hand befindlichen Sender und Printmedien. Weil die Bertelsmann-Familie Mohn rund drei Viertel der Bertelsmann-Aktien auf die Stiftung übertragen hat, sparte sie obendrein vermutlich gut zwei Milliarden Erbschafts- und Schenkungssteuer. Die Bertelsmann Stiftung mit ihrem Jahresetat von rund 60 Millionen Euro und mit einem Gesamtvolumen aller ihrer Projekte seit 1977 in der Höhe von rund 800 Millionen Euro arbeitet so gesehen also de facto mit öffentlichem Geld, ohne dafür gegenüber einer Exekutive oder Judikative Rechenschaft ablegen zu müssen … Geadelt wird die Bertelsmann Stiftung bei ihren Auftritten und Kongressen von ehemaligen Bundespräsidenten sowie von amtierenden Regierungschefs und Ministern.“

Jetzt sagt mir mein Verstand: Moment einmal, da stimmt doch etwas nicht. Eine Stiftung hält den größten Teil der Anteile an einem Konzern, der weltweit zu den Global Playern in Sachen Medien und Informationsdienstleistungen zählt. Warum dieses?

Vor einigen Jahren (28.10.2009) habe ich in einem Beitrag für die NachDenkSeiten dies hier geschrieben:

Und hier kommt die Stiftung ins Spiel. Mit ihr, einer Art gemeinnützig gestellten Forschungs- und Entwicklungsabteilung, gelingt dem Konzern das Kunststück, im Sinne einer der Zivilgesellschaft gegenüber als verantwortungsbewusster, dem Gemeinwohl verpflichteter Eigentümer zu erscheinen, der ohne Beanstandungen „regelmäßig vom Finanzamt geprüft“ wird, von der AG unabhängig und parteipolitisch neutral sei. (Neue Westfälische vom 6. Januar 2009) Dass es der Bertelsmann Stiftung gelingt, gleichsam als idealer Gesamtdemokrat zu erscheinen, gehört zu den Eigenheiten eines politischen Regimes, in dem es einer Konzernstiftung gelungen ist, das „Politische“ betriebswissenschaftlich zu neutralisieren und damit in einer perfiden Uminterpretation der Artikel 14 und 15 GG („Eigentum verpflichtet“ und die Möglichkeit zur Überführung in „Gemeineigentum“) im Gewand der Stiftung als Sachwalter des „Demokratischen“ schlechthin zu erscheinen und als Dienstleister an der stiftungsseitig inszenierten Vertriebswirtschaftlichung poltisch-staatlicher Prozesse – an Private Public Partnerships und New Public Management – kräftig zu verdienen.“

I – III – Fassen wir zusammen

Bertelsmann ist ein mächtiger, milliardenschwerer Konzern, der anderen Playern der Kapitalseite seine Medienplattformen offeriert und diesen zugleich zu Lösungen bei der Abwicklung informationstechnologisch basierter Dienstleistungen und Kundenkontakte verhilft. Haupteigentümerin der AG ist die öffentlich subventionierte Bertelsmann Stiftung. Die Bertelsmann Stiftung ist für die AG das, was einem Chemiekonzern beispielsweise eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung ist. Dem Gütersloher Medien- und Dienstleistungskonzern dient sie vor allem dazu, Gegenwartstrends zu erspüren und auf der Grundlage wissenschaftlicher Expertisen mittel- und langfristig selbst gesellschaftlich-politische Entwicklungen mitzubestimmen.

Ich hoffe verständlich gemacht zu haben, warum die kritische Begleitung der Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung ein demokratisches Gebot darstellt. Wenn die Stiftung in ihren Expertisen etwa die Privatisierung öffentlichen Eigentums (im Bildungswesen etwa) fordert, arbeitet sie dem Konzern unmittelbar zu, denn dieser ist über seine Medien- und Informationsdienstleistungssparten daran interessiert, seine Wertschöpfungsketten überall dorthin auszudehnen, wo sich Profite erzielen lassen. Viele Bürger beschleicht das Gefühl, demokratisch entmündigt zu sein. Viele Bürger sind deshalb beunruhigt und wütend. Konzerne wie Bertelsmann spinnen, von den Mainstream-Medien weitgehend unbeachtet, in Netzwerken der Macht und des Einflusses an einer „Post-Demokratie“, in der die Bürger nichts, die Konsumenten dagegen alles sind.

 


Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.

2 Kommentare:

  1. Herzlichen Dank für diese Zusammenfassung, sehr lesenswert!

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  2. Mich erinnert das an die Werbekampagnen in den 60-igern auf unserem Schulhof, einer Schule im Kreis Gütersloh. Der Rektor war entsetzt über das Auftreten eines privatwirtschaftlichen Unternehmens und nicht zuletzt über das kapitalistische Vorgehen des Gütersloher Konzerns. Letztendlich hat er den Vertriebsmann aus dem Hause Bertelsmann des Schulhofes verwiesen. Allerdings hatten wir Schüler schon den Lockvogel, eine drehbare Weltkarte in der Hand und konnten diese sicher mit nach Hause nehmen. Das es wenige Wochen später zu einem Besuch eines Vertriebsmitarbeiter aus dem Hause Bertelsmann in meinem Elternhaus kam, wird seine Ursachen gehabt haben. Allerding kann ich mich an das Ausfüllen einer Karte heute nicht mehr erinnern. Es würde aber sonst die Frage bleiben, woher man denn die Adresse gehabt hätte.
    Ich habe es meiner Mutter zu verdanken, damals nicht ein Abo, eine Mitgliedschaft im Club oder ähnliches eingegangen zu sein. Wenn ich sauber zurückrechne, muß dies unter der damaligen Leitung von Reinhard Mohn geschehen sein. Unternehmersich äußerst erfolgreich. Allerdings moralisch völlig verwerflich, da ich damals sicher nicht älter als 13 Jahre war. Ich bin ganz ehrlich, die drehbare weltkarte hat noch heute eine Faszination für mich und gestaltet mein gutes Erninenrungsvermögen, bis dahin, dass ich nicht verstehen wollte, warum meine Mutter einer Mitgliedschaft im Haus Bertelsmann nicht zugestimmt hat.

    Und heute glotzen die Menschen pausenlos RTL und lassen sich einfach mal so manipulieren.

    Da schämt man sich geradezu, in Gütersloh geboren zu sein.

    Ein waschechter Gütersloher aus Gütsel


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