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Dienstag, 21. Mai 2019

Die Ibiza-Affäre wird Populisten nachhaltig schaden. Eine soziologische Analyse


Österreich droht eine Staatskrise. Ex-FPÖ-Chef und Ex-Vizekanzler Strache, prominenter europäischer Rechtspopulist und -nationalist, wurde vor seinem Eintritt in die Regierung Kurz dabei gezeigt, wie er einer präsumtiven russischen Oligarchennichte bei Wodka-Red-Bull und anderen Freizeitdrogen gegen die korruptive Zusicherung vermeintlicher Parteispenden Staatsaufträge in Aussicht stellte.

Ein veritabler Geheimdienstcoup? Ein Geniestreich des Investigativjournalismus? Man weiß es derzeit nicht und wird es womöglich auch nie erfahren. Was mich umtreibt, ist dieses: Handelt es sich um ein österreichisches Strohfeuer, eine auf die FPÖ zu begrenzende Causa oder wirkt die Strache-Affäre weit über die engen Grenzen der Alpenrepublik hinaus auf das Lager der europäischen Rechtspopulisten? Ich vermute Letzteres und möchte das knapp politisch-soziologisch begründen.

Sogenannte 《westliche》parlamentarische Demokratien sind Mehrparteiensysteme. Ein zentrales Muster konventioneller politischer Partizipation in diesen Systemen besteht darin, innerhalb relativ lang etablierter politischer Parteien einen Prozess der politischen Karrierisierung zu durchlaufen. Selbst sogenannte 《Quereinsteiger》kommen kaum darum herum, zumindest einen gewissen Teil der sprichwörtlichen《Ochsentour》innerhalb der fein austarierten Parteimaschinerien zu durchlaufen.

Die Leitdifferenz 《westlicher》Mehrparteiendemokratien richtet sich an dem Schema Regierung / Opposition aus, was konkret bedeutet, dass prinzipiell jeder politische Akteur innerhalb dieses Rahmens mit jeder konkurrierenden Partei kooperieren können muss, um eine Regierung zu bilden. Populistische Gruppierungen, selbst wenn diese, wie die österreichische FPÖ, schon auf eine jahrzehntelange Geschichte zurückblicken können, ticken da grundsätzlich anders, orientieren sie sich doch an der Leitdifferenz Freund / Feind, die der Staatsrechtler und Nazi-Staatsrat Carl Schmitt in seiner Schrift 《Der Begriff des Politischen》entwickelte.

Man mag von der《bürgerlichen》Mehrparteiendemokratie halten was man will, eines hat sich immer wieder bewahrheitet: die Leitdifferenz Regierung / Opposition hat so etwas wie eine potenziell disziplinierende Wirkung, weil - spieltheoretisch betrachtet - jeder Akteur berücksichtigen sollte, den Speicher an akkumuliertem Vertrauenskapital nicht so weit aufzubrauchen, dass eine - wie politisch unwahrscheinlich dies auch immer sein mag - Zusammenarbeit mit jedem konkurrierenden politischen Akteur möglich bleiben muss.

Anders sieht es bei populistischen Gruppierungen aus, denn es liegt ja gleichsam in ihren jeweiligen politischen Gründungsmythen, sich dem pazifizierendem Schematismus Regierung / Opposition prinzipiell entzogen zu haben. Populisten sehen sich als Repräsentanten 《des Volkes》, also jenes Ausschnitts der jeweiligen Gesamtbevölkerung, der sich mit den populistischen Zielsetzungen identifiziert. Dabei machen sich Populisten systematisch eine Schwäche der Funktionsweise von Mehrparteiensystemen zunutze: Da im Schema Regierung / Opposition jede Partei potenziell regieren können muss, gleichen sich naturgemäß die politischen Programme in wesentlichen Hinsichten wechselseitig einander an. Populisten fällt es daher nicht weiter schwer, hier kartellhaften Elitekonsens zu wittern und dahingehend zu agitieren, dass eben jene herrschenden Parteieliten, ganz gleich, ob diese gerade Regierungsverantwortung tragen oder die Oppositionsbänke drücken, per se den 《Willen des Volkes》missachteten.

Diese agitatorischen Optionen des Populismus bergen indes inhärente Risiken, wie der Fall Strache zeigt. In populistischen Gruppierungen unterscheiden sich Karrierisierungsprozesse gänzlich von denen herkömmlicher Parteien. Der AfD-Fraktionsvorsitzende Gauland führte in einem Interview 2017 aus: 《Wir alle kennen uns nicht, und die AfD ist nun mal ein besonders gäriger Haufen, wie ich das immer nenne, also stark von Graswurzelbewegungen bestimmt und nicht von oben zu führen.》Wenn Bekanntheit nicht vorausgesetzt werden kann, wenn Organisationsstrukturen nicht zuverlässig greifen, wenn statt routinierter politischer Professionalität gärige Überreiztheit und Nervosität vorherrschen, wenn also die Parteimaschinerie kein gut geöltes bürokratisches Organisationsgebilde darstellt, dann fällt es mit populistischem Charisma ausgestatteten Einzelpersonen sehr viel leichter, sich des Apparats zu bedienen und in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken.

Was populistischen Bewegungen regelmäßig abgeht, sind Kontrollmechanismen, die die jeweilige persönliche politische Karrierisierung steuern, kanalisieren und gegebenenfalls zum Abbruch bringen können. Die Veröffentlichung der Ibiza-Videos macht einen Abgrund an politischer Prinzipienlosigkeit und charakterlichen Mängeln des Populisten Strache überdeutlich. Dies wird innerhalb der populistischen Internationale zu gesteigertem wechselseitigen Misstrauen führen. Wem kann noch vertraut werden, wenn es möglich ist, leutselig-alkoholisierte Politiker in inszenierte Settings zu locken? Gibt es womöglich weiteres ähnliches Material in den Archiven von Nachrichtenmagazinen, Zeitungen, Medienanstalten und Geheimdiensten? In welchem Rahmen kann überhaupt noch 《Klartext》gesprochen werden, ohne Gefahr zu laufen, genau dabei dekouvriert zu werden? Populisten werden sich künftig in Acht zu nehmen haben, das wechselseitige Vertrauen wird schwinden, die rabiate Selbstgewissheit öffentlicher Auftritte wird gedämpfter daherkommen. Insoweit ist der Medienskandal Strache ein schleichendes Gift in populistischen Adern.

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