Einleitung
Talcott Parsons und Gerald M. Platt haben in ihrer 1974 veröffentlichten
Studie „The American University“ Struktur, Funktion und Evolution des US-
Universitätssystems einer handlungstheoretischen Analyse unterzogen. Die
Form der modernen Universität erscheint dabei als organisatorische
Auskristallisation eines größeren Handlungs- und Sozialgefüges, welches die
Autoren den „kognitiven Komplex“ nennen. Evolutionär betrachtet ist der
kognitive Komplex das Resultat von Differenzierungs- und
Interpenetrationsprozessen, in die Ressourcen des allgemeinen
Handlungssystems einfließen, sodass diese auf der Ebene des Sozialsystems
institutionalisiert werden können. Die moderne Universität erscheint im
Lichte dieser theoretischen Perspektive als eine Organisationsform, die
Wissen, Rationalität, Forschung und Lehre, die Bereitschaft, kognitiv-
lernbereit zu erwarten, professionelle Kompetenz sowie Intelligenz als eine
generalisierte Ressource des allgemeinen Handlungssystems umfasst.
Ich möchte behaupten, dass das Konzept „Komplex“ dazu taugt, die
inklusionstheoretisch orientierte Theorie der Weltgesellschaft zu bereichern.
Analoge Studien zur „Amerikanischen Universität“ wären denkbar: Spannt
man den handlungstheoretischen Bezugsrahmen so weit auf, wie Parsons dies
in seinem Spätwerk getan hat, ergäben sich m.E. fruchtbare Fragestellungen
und Rekonstruktionen mancher die Soziologie noch immer bestimmender
Debatten, z.B. jene wohl nie enden wollenden Kontroversen um den
„Kapitalismus“ (Harris & Delanty, 2023) oder den „Staat“ (Evans,
Rueschemeyer & Skocpol, Hrsg., 1990). Parsons und Platt selbst deuten den
Weg an: „the university has spearheaded the educational revolution, perhaps
in ways comparable to those in which highly efficient firms spearheaded the
mature phases of the industrial revolution.“ (Parsons & Platt, 1974, S. 6) Auch
der moderne demokratisch verfasste Staat könnte in solcher Weise als
institutionelle „Speerspitze“ eines politisch-administrativen Komplexes
begriffen werden, der in das Fahrwasser der demokratischen
Inklusionsrevolution geraten ist.
Philanthropie als ein evolutionäres Universal
Ganz im Sinne eines solchen inklusionstheoretischen Forschungsprogramms
stelle ich mir die moderne Form der „Stiftung“ als eine organisatorische
Auskristallisierung des philanthropischen Komplexes vor. Damit verbunden ist
die Überzeugung, dass das Stiftungswesen zu einer wichtigen einzelnen Größe
in der Entwicklung der Struktur der modernen Gesellschaft geworden ist. Der
Wert stifterischen Handelns liegt dabei in seiner Freiwilligkeit, weshalb diesem
in der „zivilen Sphäre“ (Alexander, 2006) der modernen Gesellschaft ein hoher
Wert zukommt.
In gesellschaftsvergleichender Perspektive erscheint Philanthropie als ein
„evolutionäres Universal“ (Parsons, 1964). Bereits in der Antike des 5.
Jahrhunderts v.Chr. lassen sich wesentliche Merkmale philanthropischen
Handelns erkennen, die für den philanthropischen Komplex der Moderne
prägend sein werden. Menschenfreundliches Denken und Verhalten stand
bereits in der Zeit von Homer und Hesiod im Spannungsfeld von Inklusion
und Exklusion, weil dieses „sich in der Regel nicht unterschiedslos auf alle
Menschen erstreckt, sondern nur auf bestimmte Gruppen“ (Ritter & Gründer,
Hrsg., 1989, S. 543). Weiterhin ist Philanthropie, ganz gleich wie inklusiv diese
Anwendung findet, stets seit Alters her aufs Engste verknüpft mit den
Strukturen sozialer Ungleichheit: Wer darf sich berechtigt fühlen, sich zu
menschenfreundlichem Handeln herabzulassen? Welche Vorteile, z.B.
hinsichtlich Status und Prestige, bietet sein Engagement dem antiken
Philanthropos?
Philanthropen gehören somit dem buntgemischten Komplex der
„Einflussreichen“ an, denen ein hohes Sozialprestige positiv attribuiert wird.
Die soziale Tatsache Philanthropie, soweit lässt sich bis hierhin feststellen,
muss tief im allgemeinen Handlungssystem verankert sein, um schließlich in
der seit Mitte des 18. Jahrhunderts heraufkommenden modernen Gesellschaft
in einen Komplex zu münden, der durch vielfältige Grenzbeziehungen und
strukturelle Kopplungen mit den verschiedenen sich zunehmend
ausdifferenzierenden und verselbstständigenden Teilsystemen der
Gesellschaft charakterisiert ist. Analog zu „Intelligenz“ als generalisierter
Ressource des kognitiven Komplexes möchte ich in Anlehnung an die
Medientheorie von Talcott Parsons (1975, S. 109) vorschlagen, „Affekt“ als eine
solche Ressource für den philanthropischen Komplex vorzusehen.
Das Erscheinen des philanthropischen Komplexes im Leitmedium
Affekt
Auf den ersten Blick mag der Sozialsystembezug von Affekt etwas befremdlich
erscheinen, wie Parsons selbst feststellt, wenn er auf eine Kontroverse mit
Victor Lidz, Mark Gould und Dean Gerstein verweist, die dafür optiert haben,
das Medium primär auf der Ebene des Persönlichkeitssystems zu verankern.
Parsons widerspricht entschieden und konzeptualisiert Affekt als „generalized medium most definitely concerned with the mobilization and control of the
factors of solidarity in Durkheim's sense.“ Darin eingeschlossen sind einmal
die kathektischen Verpflichtungen, die Personen eingehen, um an solidarisch-
kommunikativen Vereinigungen und Organisationen teilzunehmen. Im
Weiteren fließen Werte und Standards ein, die sich aus moralischen Quellen
speisen. Schließlich sind individuelle und kollektive Akteure gehalten,
rationale Gründe für ihren jeweiligen „Affekthaushalt“ angeben zu können,
denn schließlich gilt es, diese Ressource zwischen möglicherweise
konkurrierenden Verpflichtungen der zivilen Sphäre gegenüber zu allozieren.
Darüber hinaus stellt sich ein noch weiteres Problem der Affektzuteilung,
wenn Mehrfachmitgliedschaften und Rollenperformanzen innerhalb der
verschiedenen Vereinigungen und Organisationen der Funktionssysteme wie
Politik, Recht, Wirtschaft, Wissenschaft, Familie, Kunst, Sport usw. zu
berücksichtigen sind.
Von einer vollständigen Ausdifferenzierung und Autonomie dieser Palette von
Funktionssystemen der Gesellschaft kann dann gesprochen werden, wenn,
wie Rudolf Stichweh (2009, S. 29) feststellt, „die kommunikative
Berücksichtigung von Personen … als Mitgliedschaft nach dem Beispiel von
‚citizenship' oder von Organisationszugehörigkeit“, gewährleistet ist. Der
philanthropische Komplex der modernen Gesellschaft hat solche
Inklusionsprozesse zur Voraussetzung, genauso wie dieser selbst, z.B. über
die Organisationsform der philanthropischen Stiftung, Inklusionen zu
vermitteln und voranzutreiben imstande ist.
Entwicklungslinien organisierter Philanthropie
In den stratifikatorisch differenzierten Gesellschaften des christlich-
lateinischen Mittelalters deckt sich bereits im 5. Jahrhundert „die Bedeutung
des ursprünglich antik-heidnischen Begriffs Philanthropie weitgehend mit der
Bedeutung des christlichen agape-Begriffs.“ (Ritter & Gründer, Hrsg., 1989,
S. 547) In einer komparativen Perspektive nimmt nun die Religion, wie
Stichweh (2021, S. 20) völlig zu Recht hervorhebt, die Rolle eines Vorreiters in
der Geschichte der Inklusionsrevolutionen ein. Für philanthropisches
Engagement gab es keine wirkliche Alternative als sich in den Inklusionssog
der „Christianitas“ einzufügen, was sich besonders daran zeigte, wie das
Phänomen der Armut betrachtet wurde. Im Anschluss an Kate Crassons
(2010) konstatiert Stichweh: „Therefore, it became very important for rich
people to give a significant portion of their property to institutions that helped
the poor and indigent.“
Evelyn Moser (2020, S. 308-313) arbeitet in ihrer explorativen Skizze zu
philanthropischen Inklusionen heraus, dass die soziale Form der Stiftung
bereits im christlichen Mittelalter einen gewichtigen Anschub erhielt und sich
damit Inklusions- und Rollenstrukturen etablieren konnten, „die ihre Spuren
bis hin zu heutigen Formen organisierter Philanthropie hinterlassen haben.“
(Moser, 2020, S. 309) Der Historiker Michael Borgolte (Hrsg., 2014, 2016,
2017) hat ein international vergleichendes Forschungsprogramm zum
Stiftungswesen in mittelalterlichen Gesellschaften angestoßen und für das lateinische Christentum ein spezifisches Einflusshandeln im Kontext der
Religion herausgearbeitet. Diese erscheint als dasjenige Teilsystem der
stratifizierten Gesellschaft, welches die größtmöglichen Inklusionschancen
offerierte und mit der transzendenten Seelenheilslehre ein Konzept anbot, dem
„zufolge sich das individuelle postmortale Seelenheil im Jenseits durch
gezielte Handlungen und Gebete im Diesseits positiv beeinflussen ließe.“
(Moser, 2020, S. 309) Ausgehend von diesem jenseitigen Metazweck
mittelalterlicher Stiftungen konnte philanthropisches Handeln entlang des
mittelalterlichen Armutsverständnisses konkrete Gestalt annehmen. Die
Inklusionsverhältnisse dieser Gesellschaftsform sowohl folgend als auch
stabilisierend, bildete sich in Form eines Gabentauschs eine ins
Transzendente gehobene Einflussbeziehung zwischen dem Stifter und Gott
heraus: „Gott – oder Christus – wurde also als Empfänger der Gaben
angesehen und schuldete dafür dem Spender sein Gedenken.“ (Borgolte,
2014a, S. 20) Wiewohl Stiftungen und deren klerikale Destinatäre mit ihren
Leistungsrollen wichtige Akteure waren, generierten diese nur selten neue
Strukturen, sondern halfen im Rahmen ihres nur minimalen
Handlungsspielraums vielmehr die bestehende Ordnung und damit die
Inklusionsverhältnisse der stratifizierten Gesellschaft zu stabilisieren.
Im 18. Jahrhundert, genauer seit etwa 1750, gerieten die Strukturen der
stratifikatorisch differenzierten Gesellschaft ins Wanken, was darin seinen
Ausdruck fand, dass die entstehenden Funktionssysteme begannen, immer
mehr Gesellschaftsmitglieder zu inkludieren. (Stichweh, 2021, S. 19) Auch der
philanthropische Komplex gewann seit der zweiten Hälfte des 18.
Jahrhunderts eine deutliche Erweiterung seiner gesellschaftlichen Reichweite
als ihm die pädagogische Reformbewegung des Philanthropismus neue
programmatische Impulse verlieh. (Ritter & Gründer, Hrsg., 1989, S. 548) In
der beginnenden Moderne begannen vor allem drei große
Inklusionsrevolutionen Raum zu greifen: die industrielle Revolution, die
demokratische Revolution und die Bildungsrevolution. (Parsons & Platt, 1974,
S. 1; Parsons, 1971) Am Beispiel der sich verändernden Rolle des Armen lässt
sich der Übergang von der stratifikatorisch differenzierten hin zur funktional
differenzierten Gesellschaft gut veranschaulichen. Mit den Programmen der
Sozialdisziplinierung wurden Bedürftigkeiten überprüft, kategorisiert und
hierarchisiert und entsprechend entstanden mit den Institutionen von
Polizeiordnungen, Erziehung, ständischer Gesittung und vieler anderer mehr
(Stichweh, 2009, S. 29) in direkter Korrelation „Gemeinwohlstiftungen und
Policey-Stiftungen“, die komplementär zur Verwaltung der Städte
Wohltätigkeitsmaßnahmen für Bettler unterstützten. Die Religion ist nicht
länger das funktionale Leitsystem, welches philanthropischem Engagement
Orientierung und Legitimation gibt: „Armut galt nicht länger als ein
gottgewollter Zustand, sondern als ein Problem für die öffentliche Ordnung,
das sich zunächst vor allem in den Städten zeigte und auf Bearbeitung und
im Idealfall auf Abschaffung drängte.“ (Moser, 2020, S. 314; Luhmann, 1997,
S. 623)
Die Umweltverhältnisse, denen sich der philanthropische Komplex sich in der
Moderne gegenübersieht und in die er sich in komplexen Interpenetrationen
und strukturellen Kopplungen einfügt, haben sich gegenüber der leitsystemischen Orientierung an der Religion in stratifizierten Gesellschaften
radikal gewandelt. Philanthropisches Engagement und seine
Organisationsform Stiftung sieht sich vor evolutionär neuen
Herausforderungen gestellt: soll Einfluss auf den verschiedenen Ebenen der
Gesellschaft in einer Bandbreite erfolgen, die den gesatzten stifterischen
Entscheidungsprämissen entspricht, bedarf es z.B. der Orientierung an der
Gemeinwohl-Kontingenzformel (Luhmann 2002, S. 120) der Politik,
ökonomischer Finanzialisierung, Rechtsfähigkeit, der Kooperation mit
anderen Akteuren einer immer selbstbewussteren Zivilgesellschaft,
tragfähiger interner administrativ-organisatorischer Strukturen sowie generell
der Herstellung einer stabilen Legitimationsbasis gegenüber den diversen
Umwelten der Gesellschaft. (Goeke & Moser, 2021) Tatsächlich kann davon
gesprochen werden, dass der philanthropische Komplex, der sich allein in der
Bundesrepublik Deutschland segmentär in über 20.000 Stiftungen
ausdifferenziert hat, nicht nur ökonomisch immer besser ausgestattet,
sondern im Hinblick seines Einflusses auf die zivile Sphäre der modernen
Gesellschaft mit der Organisationsform Stiftung immer ambitioniertere
Zielsetzungen verfolgt.
Theoriebautechnische Optionen
An dieser Stelle erscheint mir eine theoretisch-begriffliche Klarstellung
erforderlich. M.E. hat sich Talcott Parsons keinen Gefallen getan, das
integrative Subsystem des sozialen Systems als „societal community“ zu
bezeichnen. Soziologen mit einem Hang zu Paradoxien mögen an dieser
Bezeichnung Gefallen finden. Weit gewinnbringender dürfte demgegenüber
das Forschungsprogramm der Systemtheorie Niklas Luhmanns sein, der klar
konturierte Einzelstudien zu den Funktionssystemen Wirtschaft, Politik,
Recht, Intimbeziehungen, Erziehung, Kunst, Wissenschaft und Religion
verfasst hat. (Neben vielen ausführlichen Einzelstudien ist der knappe
Überblick in Luhmann, 1986, instruktiv.) Dennoch: die zentrale
Problemstellung des von Parsons grundgelegten Forschungsprogramms nach
den Bedingungen der Möglichkeit des Zustandekommens sozialer Ordnung
(Parsons, 1937) blieb auch nach Luhmann eine Herausforderung an die
soziologische Theoriebildung. Rudolf Stichweh hat beginnend mit Studien zu
Differenzierung und Verselbstständigung und sodann mit breit angelegten
Analysen zu Sozialstruktur und sozialer Ungleichheit unter den
Leitparadigmata Inklusion und Exklusion das Luhmannsche
Forschungsprogramm anschlussfähig auch an Theorieströmungen gemacht,
die die Genese einer Weltgesellschaft nicht notwendigerweise nur
systemtheoretisch begründen. Mit Stichweh lässt sich die Grundfragestellung
von Talcott Parsons genauer wie folgt formulieren: Wie lässt sich die
Sozialdimension der Kommunikation unter den paradigmatischen Figuren der
Mitgliedschaft, der Solidarität und der massenweisen Disziplinierung mit der
Leitunterscheidung von Inklusion und Exklusion ausformulieren?
Tatsächlich wäre hier der Ort für das im AGIL-Schema mit „I“ designierte und im nordöstlichen Quadranten des Schemas verortete Teilsystem des sozialen
Systems. Parsons löste das Problem damit, dass er die Tönniesschen
Mustervariablen „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ zur „societal community“
amalgamiert. Allein, kann eine „gesellschaftliche Gemeinschaft“ ein
Teilsystem der Gesellschaft (sic!) analog zu etwa Wirtschaft und Politik sein?
Wohl kaum! Ich möchte deshalb anregen, in das inklusionstheoretische
Forschungsprogramm den Ansatz von Jeffrey C. Alexander (2006) der „zivilen
Sphäre“ einzubeziehen. Inklusion bedeutet in der Moderne die
Basisinstitution des Individuums in sowohl seiner Einheit als auch in seiner
Mikrodiversität in den verschiedenen funktionalen Teilsystemen der
Gesellschaft zur Geltung zu bringen. (Stichweh & Ahlers, 2021, S. 209-210)
Alexander (2006, S. 33) zeigt das Problem auf, mit dem Inklusionen in der
Moderne stets konfrontiert sind: „When the domination of one sphere over
another, or the monopolization of resources by elites within the individual
spheres themselves, has been forcefully blocked, it has been by bringing to
bear the cultural codes and regulative institutions of the civil sphere.“
Der philanthropische Komplex ist mit der zivilen Sphäre verwoben.
Individuelle Akteure (z.B. Intellektuelle, Meinungsführer aus sozialen
Bewegungen usw.) und Organisationen (z.B. philanthropische Stiftungen,
NGO usw.) machen ihren Einfluss z.B. auf die öffentliche Meinung,
Wirtschaftsunternehmen und politische Parteien geltend, indem sie sich der
kulturellen Codes, Motive und Beziehungsmuster (Alexander, 2006, S. 57-58)
der zivilen Sphäre bedienen. Jeffrey C. Alexander hebt hervor, dass jedwede
fruchtbare Analyse sozialer Spaltung und Konfliktlinien, von Inklusionen und
Exklusionen einen Bezug zur zivilen symbolischen Sphäre herstellen muss:
„we must recognize and focus on the distinctive symbolic codes that are
critically important in constituting the very sense of society for those who are
within and without it.“ (Alexander, 2006, S. 54) Eine hinreichend komplex und
differenziert angelegte Theorie der Organisationsform Stiftung als Impulsgeber
einer „transformativen Philanthropie“ ist gut beraten, „the issue of legitimacy
and the challenge to generate and maintain legitimacy“ (Goeke & Moser, 2021,
S. 20), in den Kontext eines philanthropischen Komplexes zu rücken, der
sowohl mit der zivilen Sphäre der Gesellschaft als auch ihren
Funktionssystemen in Grenz- und Interpenetrationsbeziehungen steht.
Keinesfalls darf eine Analyse des philanthropischen Komplexes und die ihn
beinhaltenden Stiftungsorganisationen einer transformativen Philanthropie
hinter den von Talcott Parsons fundierten theoretischen Bezugsrahmen
zurückbleiben: „The main guiding line of the analysis is the concept that a
complex social system consists of a network of interdependent and
interpenetrating subsystems, each of which, seen at the appropriate level of
reference, is a social system in its own right, subject to all the functional
exigencies of any such system relative to its instutionalized culture and
situation and possessing all the essential structural components, organized
on the appropriate levels of differentiation and specification.“ (Parsons, 1961,
S. 44)
Befreit man die soziologische Theoriebildung von mancherlei Rigiditäten des
AGIL-Schematismus erscheint mir das Konzept der zivilen Sphäre sehr geeignet dazu, die Theorie der weltgesellschaftlichen Inklusionen und
Exklusionen zu bereichern.
Einflusshandeln als Rollenkategorie
Allgemein betrachtet unterscheidet Rudolf Stichweh (2009, S. 32) im
Wesentlichen zwei Rollenkategorien des „institutionalisierten
Individualismus“ (Parsons, 1970, S. 67) in der weltgesellschaftlichen Moderne:
Leistungsrollen und Publikumsrollen. Stellt man die Analyse transformativer
Philanthropie in den Kontext dieses theoretischen Bezugsrahmens, dann ließe
sich eine weitere bedeutsame Rollenkategorie hinzufügen, die das Handeln
von Akteuren der zivilen Sphäre in besonderer Weise charakterisiert, dem
„Einflusshandeln“ nämlich. So treten z.B. Stiftungen als Akteure der zivilen
Sphäre in Erscheinung: „They do, in fact, make commitments of the
association's name beyond the level of explicit authorization … In so doing,
they add to the net amount of influence circulating in the system and have an
effect on the distribution of commitments in the society in the direction of
promoting the ‚causes' they hold to be desirable.“ (Parsons, 1963, S. 62) In
ihrer organisationstheoretisch angelegten Untersuchung der transformativen
Philanthropie heben Pascal Goeke & Evelyn Moser (2021, S. 20) hervor, dass
Stiftungen, wollen sie gesellschaftlich wirksam sein, einen Standpunkt z.B. in
Fragen des Gemeinwohls konstruieren müssen, um darüber dann Legitimität
gegenüber ihren gesellschaftlichen Umwelten adäquat begründen zu können.
Tatsächlich liegt hierin auch die Achillesferse des Handelns organisierter
Akteure des Typs Stiftungen: auf der einen Seite üben diese Einfluss aus
sowohl in der zivilen Sphäre als auch auf die Elitekommunikationen und
Programmgestaltungen in den diversen Funktionssystemen der Gesellschaft.
Zugleich befinden sich Stiftungen als Träger transformativer Agenden selbst
im Fadenkreuz der zivilen Sphäre: sie haben sich selbst zu legitimieren,
sowohl hinsichtlich der Herkunft ihrer Finanzausstattung als auch
hinsichtlich ihrer Zielsetzungen in Politik, Wirtschaft, Kunst, Bildung,
Wissenschaft usw. Der philanthropische Komplex wird in seinen
gesellschaftlichen Grenzbeziehungen und Einflussversuchen durch Träger
von gesellschaftlichen Leistungs- und Publikumsrollen beobachtet und
hinterfragt.
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Studies & Theory of Society, Volume 5], Bielefeld: transcript Verlag, S. 209-240
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