Im Folgenden findet sich eine Kurzfassung meines Beitrags "Konzern - Macht - Politik - Wissen. Sozialwissenschaften als Hilfskräfte in Bertelsmanns ,Reformwerkstatt'", der erstmalig 2007 in dem von Torsten Bultmann und Jens Wernicke herausgegebenen Sammelband "Netzwerk der Macht - Bertelsmann. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh" (Marburg: BdWi-Verlag) erschienen ist. Angesichts der vom Bertelsmann-Autor Thilo Sarrazin erzielten Erfolge am Buchmarkt, muss festgestellt werden, dass der weltweit achtgrößte Medienkonzern über seine Stiftung, der ja die AG zu großen Teilen (76,9%) gehört, schon längst das gesellschaftlich-politische Terrain bereitet hat, das der ehemalige Bundesbankvorstand mit seinen rassistischen und populistischen Ansichten nunmehr personal besetzt.
Auf
gesicherter Faktenbasis Orientierungen vermitteln – dies ist die
erklärte Absicht
des
von Werner Weidenfeld und Karl-Rudolf Korte herausgegebenen
Deutschland-
Trendbuchs,
das im Jahre 2001 im Verlag Leske & Budrich, zu diesem
Zeitpunkt
dem
Hause Bertelsmann zugehörig, erschienen ist. Alle
Seitenangaben im laufenden Text beziehen sich auf diese Publikation.
Die Bertelsmann Stiftung setzt einen Trend: Neonationalismus
Generell
werden von den Herausgebern zwei »Entwicklungsrichtungen«
ausgemacht:
solche,
die »politisch-steuernd gestaltbar«, andere, wie »im
Kultursektor«,die »durch Eigendynamik« gekennzeichnet sind.(7) Zum
einen also die berühmte »Reformwerkstatt« (12), in deren Hallen
(Parlamente, Ministerien, Beraterzirkel usw.) Bertelsmann
(Stiftung, CAP, CHE et al.) unlegitimiert die Rolle des Meisters
spielt, zum anderen die amorphe Sphäre der Kultur, deren Erzeugnisse
in die Wertschöpfung des Medienkonzerns einfließen. Klarer kann das
strategische Operationsfeld des Gütersloher Imperiums nicht umrissen
werden. Entsprechend findet man im Deutschland-Trendbuch, ohne
dass dies einen Widerspruch darstellte, sowohl die neoliberale
Reformrhetorik als auch die blumige Sprachwelt nationalistischer
Kultur- und Sinnvermittlung vor.
Betrachten
wir zunächst den Überbau, so ist z. B. die Rede von
»Selbstbeschreibung«; »Ausbildung einer historischen
Fundamentierung einer gesamtdeutschen Identität«; »nationales
Interesse«; »Erfahrungswelten«; »historische Neuorientierung«.
(29–54) Diese nur dem Beitrag von Weidenfeld entnommenen
Stichwörter machen deutlich, wie der diskursive Rahmen abgesteckt
ist, innerhalb dessen über Geschichte, Kultur und Nationales geredet
wird. Rüsen/Jaeger bringen das Thema auf den Punkt: »Wie
kann aus der Erfahrung des Dritten Reiches und seiner Verbrechen ein
zukunftsfähiges Konzept der Selbstverortung konstruiert werden?«
(408) Nun ist – für sich genommen – an den
geschichtsmethodologisch ausgerichteten Reflexionen von Rüsen/Jaeger
manches Bedenkenswerte und Interessante, doch muss dieser (wie
andere Beiträge auch) im Gesamtzusammenhang des
Deutschland-Trendbuchs gelesen werden. Erst die Lektüre
vonWeidenfeld, Weigl/Colschen undMaull stellt diesen her.
Gegenwärtiger Nazismus und Rassismus wird verharmlost
Verfolgt
man gegenwärtige Kampagnen wie »Du bist Deutschland«, fällt es
einem nicht eben schwer zu identifizieren, wer hier die ideologische
Software beigesteuert hat, wenn im Deutschland-Trendbuch
»Aktionskorridore deutscher Politik für künftige Eingriffe in
den Prozess der historischen Selbstverortung« (77) identifiziert
werden. Zwei Handlungsfelder zur Schaffung einer »gesamtdeutschen
Identität« (46) ergeben sich: »Deutsche Leitkultur « (76) und das
»neue außenpolitische Selbstbewusstsein Deutschlands«. (34) Hier
gibt es viel zu tun: »Die Aufgabe der historischen Führungsleistung
wie sie die politischen Eliten selbst für sich deklarieren, blieb in
den 90-er Jahren mehr Anspruch als Realität.« (48) Angesichts
dieses beklagten Mangels an Führung und nationalem Selbstbewusstsein
sind kritische Bestandsaufnahmen des gegenwärtig in Deutschland
grassierenden Fremdenhasses und Antisemitismus natürlich nicht
erwünscht. Das Goldrähmchen-Geschichtsbild des CAP duldet
keinerlei Eintrübung. Zwar wird »die Etablierung einer
neonazistischen und gewaltbereiten Szene« erwähnt, aber es handele
sich dabei eher um ein »mediale[s]« Konstrukt (69). Vester weist in
einer historischen Betrachtung darauf hin, »wie weit damals
[gemeint:Wahlen zum Deutschen Reichstag 1930; SR] die
autoritärenMentalitäten verbreitet waren, auch bei den
kleinbürgerlich-autoritären Teilen der Angestellten und Arbeiter,
die durch die Deklassierungsprozesse in der Wirtschaftskrise
orientierungslos geworden waren.« (139–140) Und heute?
Festzustellen sei gegenwärtig allenfalls ein
»Radikalisierungspotenzial bei ostdeutschen Jugendlichen«. (69)
Soweit, so verharmlosend.
Die Stiftung – keine NGO, sondern eine Regierungsorganisation
Der
einzige des Autorenteams, der hier – in einer freilich
schockierenden Offenheit – klar analysiert, ist Turek, wie unten zu
zeigen sein wird. Einigkeit besteht bei den AutorInnen des
Deutschland-Trendbuchs darin, dass ein ungetrübtes gesamtdeutsches
Selbstbewusstsein im Trend liegt! Oder, mit anderen Worten: »eine
neue positiv gedeutete historische Tradition Gesamtdeutschlands«
(79), die es geschichtspolitisch zu begründen und durchzusetzen
gilt. Die Bertelsmann-Doktrin, nämlich die Verklammerung nationalen
Selbstbewusstseins und neoliberaler Regime, kommt im
Deutschland-Trendbuch am klarsten in den Beiträgen von Weidenfeld
und Turek zum Ausdruck. Sind die geschichtspolitischen Forderungen
von ersterem bereits oben erörtert worden, ist an dieser Stelle ein
genauerer Blick auf den Beitrag Technologiegesellschaft von Jürgen
Turek, M.A., Geschäftsführer am Centrum für angewandte
Politikforschung der Ludwig-Maximilians-Universität München und
dort Leiter der Forschungsgruppe Zukunftsfragen, geboten. Ich lasse
ihn ausführlich zu Wort kommen. Turek umreißt die
Zielsetzungen des Gütersloher Konzerns glasklar, wenn er
»gesellschaftliche Verantwortung und politisches Handeln in
Deutschland in den kommenden 15 bis 20 Jahren« wie folgt beschreibt:
»Die
Phänomene und Synergien von moderner Globalität, technologischem
und sozialem Wandel werden auf alle sozialen Teilsysteme in
Deutschland – auf Wirtschaft, Politik, Militär, Recht, Erziehung,
Wissenschaft, Kunst, Religion und Medizin – in […] umwälzender
Weise ausstrahlen.« (213) Global agierende Unternehmen wie
Bertelsmann »werden zu Kompetenzzentren im Prozess
desWandels. Durch die Übernahme sozialer Verantwortung über
gesellschaftlich ausgerichtete Public Relations oder eine geschickte
Instrumentalisierung
von Stiftungen definieren sie gleichermaßen politische Positionen
und bestimmen die Themen der internationalen Politik zunehmend mit.«
(218) Weidenfelds Lamento über die mangelnde »historische
Führungsleistung « (s. o.) der herrschenden Elite wird von seinem
Adlatus Turek knallhart auf das politische Tagesgeschäft hin
operationalisiert. Geht es um »Zukunftshandeln «werdenUnternehmen
wie Bertelsmann »selbst eine aktive Rolle anstreben und nicht
nur handeln, wenn sie gebetene Gäste der Politik sind. Daran werden
sich Politiker und Beamte zu gewöhnen haben«. (241)
Konkurrieren um die Stärksten der Welt
Ein
zentrales Thema Tureks ist das Verhältnis von Nationalkultur
und Biopolitik festgemacht an der Zuwanderungspolitik. Da heißt es
in schonungsloser Offenheit:
In diesem Kontext halten nach der Umfrage des Bundesverbandes deutscher Banken im Jahr 2000 zwei Drittel der deutschen Bevölkerung die Gefahr religiöser Konflikte in Deutschland für ›sehr groß‹ oder ›groß‹. In der deutschen Gesellschaft können Verflechtung und Einwanderung insbesondere in kleinbürgerlichenMilieus vermehrt zu Fremdenhass und Ausländerfeindlichkeit führen. Globalisierung erscheint vielen als Nullsummenspiel, in dem die Gewinne anderer zwangsläufig gewachsene Besitzstände angreifen. Die Perspektive gravierender Diskontinuitäten in der eigenen Biografie erzeugt Unsicherheit und Zukunftsangst. Auf der Suche nach der eigenen Identität, im Bemühen um eigenen Schutz und bei der Verteidigung des eigenen Terrains kann das Fremde deshalb als bedrohlich empfunden werden.Migration von Menschen in Not beansprucht staatliche Mittel und kann Konflikte bis zum Ausbruch tätlicher Gewalt entfachen. (215–216)
Michael
Hardt und Antonio Negri zufolge, die sich dabei auf
Analysen Michel Foucaults stützen, äußert sich Rassismus im
Empire nicht mehr biologistisch; der soziale Darwinismus hat
sich ein neues Kampffeld gesucht: die Kultur, sprich: die kulturelle
Zuschreibung von Leistungsfähigkeit! Bei Turek liest sich das
dann so:
So benötigt Deutschland nach Schätzungen der UNO bis 2050 ca. 25 MillionenEinwanderer, um das Verhältnis von Erwerbstätigen und Nicht-Erwerbstätigen stabil zu halten […] [Deutschland und die übrigen Industrieländer] werden deshalb versuchen, ihre eigenen gesellschaftlichen Belange durch den Zuzug von solchen Menschen zu stabilisieren, die als ›genug‹ qualifiziert und ›systemstabilisierend‹ angesehen werden […] So ergibt sich die Notwendigkeit, Armuts- und Umweltflüchtlinge oder Asylbewerber abzuweisen – gleichzeitig aber um die Besten und die Stärksten in der Welt zu konkurrieren. (227–228)
»Die
Besten und die Stärksten in derWelt« – Humankapital für die
Informationswirtschaft
der
new economy! Turek stellt in seltener Klarheit heraus,
was für Bertelsmann auf dem Spiele steht, welche Strategie
der Konzern verfolgt. Um den anfangs entwickelten Faden wieder
aufzunehmen: Gesamtdeutsche Identität schaffen (nationalistische
Geschichtspolitik) – Eigenverantwortung und Engagement fördern
(»Reformwerkstatt«) – Mitregieren (Gesellschaftssteuerung
jenseits demokratischer Legitimation) – »Motor einer neuen
Ökonomie« (222) sein (»effektive Beherrschung globaler
Sachverhalte«, 18) – vier Dimensionen imperialer
Organisationskultur also. Turek schreibt sich geradezu
euphorisierend in einen Mohn-Rausch:
Technologisch repräsentiert sie [die Informationswirtschaft; SR] einen Schub, mit der die informationstechnische Industrie zur Schlüsselbranche wird. Konzepte, Informationsinhalte und Bewertungsleistungen für die nationalen wie internationalen Güter-, Finanz- und Dienstleistungsmärkte, Beratungsdienstleistungen für Unternehmensorganisationen, Angebote für lebenslanges Lernen sowie die Stärkung individueller wie sozialer Kompetenz rücken in den Mittelpunkt. Neben die Welt der ›stofflichen‹ Waren tritt die der digitalen Produkte und Dienstleistungen. Ihre mikroökonomische Dimension liegt in der wachsenden Bedeutung eines neuen Unternehmenstypus und neuer Bewertungskriterien für diese Unternehmen auf den Kapitalmärkten. Die Digitalisierung der Information treibt dabei die Integration ehemals getrennter Branchen an: Die Wertschöpfungsstränge von Telekommunikation, Medien und Informationstechnologien wachsen in komplexen Ketten zusammen; die Grenzen zwischen Medienunternehmen als Informationsanbieter sowie Telekommunikation- und Internet-Unternehmen als technische Dienstleister verschwimmen. Große Telekommunikations- oder Medienkonzerne wie der Gütersloher Medienkonzern Bertelsmann haben Internet- Dienstleistungsunternehmen gegründet, gekauft oder sie kooperieren mit Online-Diensten, über deren Angebote täglich mehr Menschen in das Internet gehen. Auf makroökonomischer Ebene repräsentiert die Informationswirtschaft eine neuartige wirtschaftliche Konstellation, in der Dank höherer Produktivitätszuwachsraten höhere Raten inflationsfreien Wachstums aufgrund höherer Preis- undMarkttransparenz möglich sind. Metaökonomisch betont die neue Ökonomie schließlich die zunehmende Bedeutung von Information als Input, Output und Strukturprinzip der Wirtschaft, die Intensivierung marktwirtschaftlicher Beziehungen und die Tertiärisierung der Wirtschaft.(223)
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