Ein
von mir 2008 verfasster Text, der sich mit einem Segment der
vielfältigen Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung befasst, nämlich
in diesem Fall dem Feld der "politischen Personalentwicklung".
Grundlage meiner Auseinandersetzung bildet folgende Schrift der
Bertelsmann Stiftung:
Andreas Osner (Hrsg.): „Personalentwicklung in der Politik. Kommunale Mandatsträger qualifizieren – politischen Nachwuchs fördern“, Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung 2006 (2. Auflage) (mit Beiträgen von Ellen Ehring, Christa Frenzel, Kai Gehring, Carsten Große Starmann, Klaus-Viktor Kleerbaum, Dr. Winfried Kösters, Achim Moeller, Dr. Andreas Osner, Dr. Ingrid Rieken, Hannah Schmidt-Kuner, Hermann Strahl, Ute von Wrangell, Björn Warmer)
Kommunalpolitik und Personalentwicklung – nun ja, sicherlich ein Thema, an dem sich manche/r politisch Aktive/r täglich die Zähne ausbeißt. Deshalb ist hier guter Rat sicher begrüßenswert. Aber warum erteilt ihn die Bertelsmann Stiftung? Das ist die für mich interessante Fragestellung! (Seitenangaben aus besagter Schrift füge ich in Klammern bei.)
Personalprobleme weiß Bertelsmann zu lösen
Osner
(7) paraphrasiert in seinem Vorwort plakativ Brecht: „Stell dir
vor, es ist Demokratie ... und keiner geht hin.“ Angesichts
globaler Verhältnisse und komplexer Entscheidungslagen konstatiert
er bei den politischen Parteien „Personalprobleme“ (ebd.). Zum
Glück gibt es den „POLIS-Arbeitskreis“ (8), ein von Prof. Dr.
Marga Pröhl initiiertes Projekt der Bertelsmann-Stiftung, das im
Sinne „neutrale(r) Beratung“ (9) „über die üblichen
parteipolitischen Gräben hinweg an Konzepten zur Modernisierung der
ehrenamtlichen Arbeit“ (8) arbeitet. Genauer geht es den
POLIS-InitiatorInnen um „eine neue Form der Professionalisierung in
der Kommunalpolitik.“ (15) Es geht – wie immer bei Bertelsmann
und der Bertelsmann Stiftung, in deren Programmen sich
global-neoliberale (Bertelsmann als Konzern) mit
staatstragend-nationalen Zielsetzungen (Bertelsmann Stiftung)
fugenlos verbinden – ums Ganze: „Deutschland braucht eine
Aufwertung der ehrenamtlichen Kommunalpolitik.“ (37) Ohne das
mildtätige Wirken der Bertelsmann Stiftung wäre also „das
politische Ehrenamt“ (15) in unserem Lande rettungslos verloren!
Stärkung der lokalen Demokratie?
Die
Strategie (28) des oben erwähnten POLIS-Projekts erweckt einen
benevolenten Anschein. Als Ziel wird die „Stärkung der lokalen
Demokratie“ angegeben. Verschiedene „Handlungsansätze“ bilden
die Grundlage der Zielerreichung und sollen insgesamt zu einer
„Veränderung der politischen Kultur“ beitragen. Dazu zählen (1)
die „Verbesserung der Qualifikation von MandatsträgerInnen“, (2)
die „Steigerung der Attraktivität des ehrenamtlichen Mandats“
und (3) der Ansatz, „Politische Steuerung effektiver (zu) machen.“
Osners
und seiner Co-Autoren Focus richtet sich auf Optimierungen in der
Handlungsdimension. In bewährter Bertelsmann-Manier wird der
Werkzeugkasten einschlägiger BWL-Lehren geöffnet. „Qualifizierung
und Personalentwicklung (human ressource management) sind
unabdingbare Überlebensstrategien. Eine kooperative
Unternehmenskultur sowie die Bereitschaft zur Veränderung und zu
permanentem Lernen sind notwendige Grundlagen dafür.“ (14) Oder,
griffiger gewendet: „Organisationsentwicklung erreicht man über
Teamentwicklung; diese braucht Personalentwicklung.“ (85)
Um
dies den KommunalpolitikerInnen „vor Ort“ schmackhaft zu machen,
stellen Osner et al. klar, dass eine „schlichte Übertragung“
dieser betriebswirtschaftlichen bzw. organisationswissenschaftlichen
Offenbarungen auf die Politik „nicht sinnvoll“ erscheint. Statt
eines „technokratischen Ansatz(es)“ befördere die Bertelsmann
Stiftung – wie sollte es auch anders sein – nichts weniger als
„einen Kulturwandel“. (14-15) Viel Wortgeklingel um eine
organisationssoziologische Binsenweisheit: Natürlich lassen sich
Instrumente aus BWL-Lehrbüchern nirgendwo „schlicht“ übertragen,
finden sich aber, in diesem Fall, entsprechend schlichte
kommunalpolitische Gemüter, die sich die Bertelsmannschen Weisheiten
zu eigen machen, dann lassen sich diese eben auch in die Politik
„übertragen“.
Technokratie à la Bertelsmann auch auf kommunaler Ebene
Worum
geht es den Strategen des POLIS-Projekts? Ich komme noch einmal auf
das Vorwort Osners zurück. Dort beschreibt er folgendes Szenario:
„Kommunen sind immer schwieriger zu regieren. Seitdem die
Globalisierung nahezu jede Gemeinde zum globalen Dorf gemacht hat,
ist die Komplexität, das heißt der inhaltliche Anspruch politischer
Entscheidungen, deutlich gestiegen.“ (7) Entsprechend komme es
darauf an, durch eine „Kultur der Qualifizierung“ (17) „das
Überleben der Politik in einer komplexen Demokratie“ zu
ermöglichen. Man lasse sich dies auf der Zunge zergehen.
Globalisierte Verhältnisse werden mit dem Etikett der „Komplexität“
versehen und damit ins Reich des Unveränderbaren, durch politisches
Handeln nicht Gestaltbaren gerückt. Dieses Reich ist keine
„Demokratie“ mehr, sondern eine „komplexe Demokratie“, in ihm
kann Politik nur „überleben“, wenn sie sich an diese Welt- und
Gesellschaftsverhältnisse anpasst, ihren Imperativen Folge leistet.
Ein Medienimperium wie Bertelsmann hat kein Interesse daran, dass
globalisierte Verhältnisse politisch infrage gestellt werden, denn
dies könnte den eigenen Aktionskorridor einengen. Es hat aber
deshalb ein um so höheres Interesse daran, das, was wir „Politik“
zu nennen gewohnt sind, gerade um des Politischen zu amputieren.
Übrig
bleibt dann nur noch eine „Politik“ als technokratisches Gerippe,
das, vollständig entideologisiert, nach den Kalkülen
betriebswirtschaftlicher Rationalität operiert.
So
stellt sich Bertelsmann die schöne neue Politikwelt vor:
PolitikerInnen als „orts- und zeitunabhängig(e)“ informierte
Rund- und Spitzköpfe, die „Konzepte kommunizieren“, „Systeme
der Beschlusskontrolle“ implementieren, „produktorientiertes
Finanzcontrolling“ realisieren, sich an „outputorientierten
Kernkennzahlen“ orientieren und „ein strategisches,
wirkungsorientiertes Berichtswesen mit Lebensqualitätsindikatoren
und Strukturdaten der Kommune (Trendanalysen)“ praktizieren. (73)
Und wer könnte diesen Anforderungen eher gerecht werden als
„Führungskräfte, die qua Beruf über wertvolle Erfahrungen
verfügen“ (33)? Doch, so geht Osners Lamento, sind diese „immer
seltener in der Kommunalpolitik anzutreffen. Die so genannten Eliten,
die gerade in der Politik dringend gebraucht werden, machen einen
immer geringeren Anteil aus.“ (ebd.)
Die Stiftung hilft beim Knüpfen der Elitenetzwerke
Einmal
abgesehen davon, dass in der Diktion Osners (und der Bertelsmann
Stiftung, so muss stets hinzugefügt werden) der Elitebegriff
auftaucht, wird dieser darüber hinaus auf den Personenkreis der
ökonomisch Erfolg-Reichen verengt. Sie sind es denn auch, um deren
Rekrutierung die Parteien „vor Ort“ bemüht sein sollen. Dabei
wäre ihnen die Bertelsmann Stiftung sicher behilflich, „vor dem
Hintergrund der zeitarmen ‚Eliten‘“, „ein differenziertes
Engagement zu ermöglichen und flexible Regelungen bei der Einbindung
von Kompetenz in die politische Arbeit der Fraktion zu fördern.“
(34) „Personalentwicklung“ (PE) erscheint den POLIS-Autoren als
Schlüsselbegriff, der „nach Wirtschaft und öffentlicher
Verwaltung nun auch die Parteien und Fraktionen erreicht (hat).“
(81) Politische Parteien stehen, so suggerieren es uns Osner et al.
in dringlichem Alarmton, angesichts von „Globalisierung und
Professionalisierung der Verwaltungen“ massiv unter Druck: „Rats-
und Kreistagsarbeit muss wirksamer und zukunftsfähiger werden ...
Ehrenamtlich zu arbeiten bedeutet nicht, unprofessionell zu sein.“
(69)
In
Kapitel 4.10 „Verbindungen schaffen, Austausch ermöglichen:
Netzwerkarbeit“ (121-128) der o.a. Schrift, das von Ellen Ehring,
Andreas Osner und Björn Warmer beigesteuert wurde, wird den von der
Bertelsmann Stiftung alarmierten PolitikerInnen „vor Ort“
aufgezeigt, wie sie in einen Austausch mit dieser unentbehrlichen,
dem Gemeinwohl dienenden Institution bürgerlichen Rechts treten
können, damit ihnen wirkungsvoll geholfen werden kann.
Schlüsselkonzept ist das des „Netzwerks“ und wird von Kai
Gehring, MdB und „jüngstes Mitglied im Landesvorstand von Bündnis
90/Die Grünen NRW“ (155), in seiner unveröffentlichten Studie
„Nachwuchsförderung politischer Parteien – innerparteiliche
Strategien zur Qualifizierung und Entwicklung junger Professionals“,
Bochum 2002, S. 59, wie folgt definiert: „Netzwerke sind
karrierefördernde Kontaktbörsen und Unterstützungsgruppen, die von
einer gegenseitigen Kooperation und einem regelmäßigen
Informations- und Erfahrungsaustausch der Mitglieder leben. Sie
bieten ihren Mitgliedern Gelegenheitsstrukturen für informelle
Elitenkontakte. Durch das Prinzip der Reziprozität ist eine
Win-Win-Situation gegeben, die Vorteile für alle schafft. Das
beinhaltet auch, gelegentlich anderen zu helfen, ohne davon direkt
persönlich zu profitieren. Gebildet werden Netzwerke, um in einem
lose gekoppelten und hierarchieübergreifenden Personenkreis
Informationen zu sammeln, Macht auszuüben, Sichtweisen weiterzugeben
und Konsens zu erzielen.“ (125)
Die Stiftung betreibt politische Landschaftspflege für den Konzern
Genau
das tut die Bertelsmann Stiftung: Anderen helfen, ohne davon direkt
persönlich zu profitieren. Denn tatsächlich profitiert – „in
the long run“, um Lord Keynes zu zitieren – nicht sie, sondern
der Gütersloher Medienkonzern, dem sie ja dient, von ihrem Wirken im
Vorfeld seiner langfristig angelegten Strategien und
Geschäftsinteressen. Es nimmt daher kein Wunder, dass hinter solch
unverfänglichen Internet-Links wie
www.wegweiser-buergergesellschaft.de, www.mitarbeit.de oder
www.b-b-e.de (Bundesnetzwerk bürgerschaftliches Engangement) wie sie
von Osner et al. den hifesuchenden KommunalpolitikerInnen angeboten
werden, die Bertelsmann Stiftung als Mittelgeber und
Gründungsmitglied steht. Ja, es gibt im Netzwerk eine
„Win-Win-Situation“, allerdings wäre es interessant, mehr zu
erfahren über die Höhe der jeweiligen Gewinnausschüttung.
Natürlich ist dies nur rhetorisch gefragt, denn die Antwort steht
fest: Wer zieht wohl größeren Mehrwert aus dem Netzwerk – Schmidt
und Schmidtchen aus der CDU/SPD/Grünen-Fraktion in Neudorf, die,
nunmehr bekehrt aus Trainee-Programmen für „junge High Potentials“
(62) in ihre Gemeinde zurückkehren und „Good-practice-Projekte“
(65) zur „Effektivierung der Rats- und Fraktionsarbeit“ (68)
realisieren, oder das Gütersloher Medienimperium? Immerhin ist es
auch Osner an einer Stelle etwas mulmig geworden, wenn er, bezogen
auf die Netzwerkbildung, ausführt, „(d)ass in bestimmten Fällen
Grenzen zur Protektion überschritten wurden und werden, ist sehr
kritisch zu sehen, aber ein gesondertes Problem, das hier nicht
behandelt werden kann.“ (126) Schade, denn dies könnte eine
Richtung angeben, wie das Handeln der Bertelsmann Stiftung zu
beleuchten wäre. Ein anderer Strang der Untersuchung
Bertelsmannschen Handelns wäre die Lobbyismus-Forschung. Drei
Bereiche wären zu studieren: Einmal das klassische Lobbying, wenn
entweder von Angesicht zu Angesicht (in der Vorhalle des Parlaments)
oder weniger direkt (durch das Telefon) Einfluss auf
InteressenvertreterInnen ausgeübt wird. Dann neure Formen des
Lobbying, wenn, wie im ARD-Magazin „Monitor“ am 21. Dezember 2006
berichtet, VertreterInnen von Unternehmen Stellen in Ministerien
besetzen oder, wie der in Bertelsmanns Diensten stehende
Europaabgeordnete Elmar Brok, sich ParlamentarierInnen auf der
Gehaltsliste von Unternehmen befinden und somit an der
Gesetzesvorbereitung und -beratung im Sinne des Konzerns oder
Unternehmens mitwirken. Schließlich als elaborierteste Form das
„Networking“, das strategisch auf langfristige Organisations- und
Personalentwicklung in politischen Parteien abzielt. Letztere Form
des Lobbying wird ausschließlich von global operierenden Konzernen
betrieben, die ein hohes Interesse an gesellschaftlicher Qieszenz und
generell an einem Umfeld haben, das sie im Sinne ihrer Interessen
operieren lässt. Für Bertelsmann sind vor allem die Kernbereiche
Wissen, Bildung (Schule und Hochschule) und Gesundheit, aber auch
Außen- und Militärpolitik von strategischer Bedeutsamkeit, wie in
immer zahlreicheren Studien nachzulesen ist. Die Bertelsmann Stiftung
betreibt im Vorfeld mit ihren gesellschaftlich-politischen Netzwerken
(„Zivilgesellschaft“) die für den Konzern so wichtige
„Landschaftspflege“. Ich möchte mich vor Altmeister Brecht
verbeugen, wohl wissend, ihn einmal mehr im Grabe rotieren zu sehen.
„Stell dir vor, es ist „Demokratie“ ... und die Bertelsmann
Stiftung war schon da ...“
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