Dienstag, 22. Mai 2012

Steffen Roski: Netzwerk der Macht in Aktion. Oder: Um was sich die Bertelsmann Stiftung nicht alles kümmert


Ein von mir 2008 verfasster Text, der sich mit einem Segment der vielfältigen Aktivitäten der Bertelsmann Stiftung befasst, nämlich in diesem Fall dem Feld der "politischen Personalentwicklung". Grundlage meiner Auseinandersetzung bildet folgende Schrift der Bertelsmann Stiftung:


Andreas Osner (Hrsg.): „Personalentwicklung in der Politik. Kommunale Mandatsträger qualifizieren – politischen Nachwuchs fördern“, Gütersloh: Verlag Bertelsmann Stiftung 2006 (2. Auflage) (mit Beiträgen von Ellen Ehring, Christa Frenzel, Kai Gehring, Carsten Große Starmann, Klaus-Viktor Kleerbaum, Dr. Winfried Kösters, Achim Moeller, Dr. Andreas Osner, Dr. Ingrid Rieken, Hannah Schmidt-Kuner, Hermann Strahl, Ute von Wrangell, Björn Warmer)




Kommunalpolitik und Personalentwicklung – nun ja, sicherlich ein Thema, an dem sich manche/r politisch Aktive/r täglich die Zähne ausbeißt. Deshalb ist hier guter Rat sicher begrüßenswert. Aber warum erteilt ihn die Bertelsmann Stiftung? Das ist die für mich interessante Fragestellung! (Seitenangaben aus besagter Schrift füge ich in Klammern bei.)


Personalprobleme weiß Bertelsmann zu lösen


Osner (7) paraphrasiert in seinem Vorwort plakativ Brecht: „Stell dir vor, es ist Demokratie ... und keiner geht hin.“ Angesichts globaler Verhältnisse und komplexer Entscheidungslagen konstatiert er bei den politischen Parteien „Personalprobleme“ (ebd.). Zum Glück gibt es den „POLIS-Arbeitskreis“ (8), ein von Prof. Dr. Marga Pröhl initiiertes Projekt der Bertelsmann-Stiftung, das im Sinne „neutrale(r) Beratung“ (9) „über die üblichen parteipolitischen Gräben hinweg an Konzepten zur Modernisierung der ehrenamtlichen Arbeit“ (8) arbeitet. Genauer geht es den POLIS-InitiatorInnen um „eine neue Form der Professionalisierung in der Kommunalpolitik.“ (15) Es geht – wie immer bei Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung, in deren Programmen sich global-neoliberale (Bertelsmann als Konzern) mit staatstragend-nationalen Zielsetzungen (Bertelsmann Stiftung) fugenlos verbinden – ums Ganze: „Deutschland braucht eine Aufwertung der ehrenamtlichen Kommunalpolitik.“ (37) Ohne das mildtätige Wirken der Bertelsmann Stiftung wäre also „das politische Ehrenamt“ (15) in unserem Lande rettungslos verloren!

Stärkung der lokalen Demokratie?


Die Strategie (28) des oben erwähnten POLIS-Projekts erweckt einen benevolenten Anschein. Als Ziel wird die „Stärkung der lokalen Demokratie“ angegeben. Verschiedene „Handlungsansätze“ bilden die Grundlage der Zielerreichung und sollen insgesamt zu einer „Veränderung der politischen Kultur“ beitragen. Dazu zählen (1) die „Verbesserung der Qualifikation von MandatsträgerInnen“, (2) die „Steigerung der Attraktivität des ehrenamtlichen Mandats“ und (3) der Ansatz, „Politische Steuerung effektiver (zu) machen.“

Osners und seiner Co-Autoren Focus richtet sich auf Optimierungen in der Handlungsdimension. In bewährter Bertelsmann-Manier wird der Werkzeugkasten einschlägiger BWL-Lehren geöffnet. „Qualifizierung und Personalentwicklung (human ressource management) sind unabdingbare Überlebensstrategien. Eine kooperative Unternehmenskultur sowie die Bereitschaft zur Veränderung und zu permanentem Lernen sind notwendige Grundlagen dafür.“ (14) Oder, griffiger gewendet: „Organisationsentwicklung erreicht man über Teamentwicklung; diese braucht Personalentwicklung.“ (85)

Um dies den KommunalpolitikerInnen „vor Ort“ schmackhaft zu machen, stellen Osner et al. klar, dass eine „schlichte Übertragung“ dieser betriebswirtschaftlichen bzw. organisationswissenschaftlichen Offenbarungen auf die Politik „nicht sinnvoll“ erscheint. Statt eines „technokratischen Ansatz(es)“ befördere die Bertelsmann Stiftung – wie sollte es auch anders sein – nichts weniger als „einen Kulturwandel“. (14-15) Viel Wortgeklingel um eine organisationssoziologische Binsenweisheit: Natürlich lassen sich Instrumente aus BWL-Lehrbüchern nirgendwo „schlicht“ übertragen, finden sich aber, in diesem Fall, entsprechend schlichte kommunalpolitische Gemüter, die sich die Bertelsmannschen Weisheiten zu eigen machen, dann lassen sich diese eben auch in die Politik „übertragen“.

Technokratie à la Bertelsmann auch auf kommunaler Ebene


Worum geht es den Strategen des POLIS-Projekts? Ich komme noch einmal auf das Vorwort Osners zurück. Dort beschreibt er folgendes Szenario: „Kommunen sind immer schwieriger zu regieren. Seitdem die Globalisierung nahezu jede Gemeinde zum globalen Dorf gemacht hat, ist die Komplexität, das heißt der inhaltliche Anspruch politischer Entscheidungen, deutlich gestiegen.“ (7) Entsprechend komme es darauf an, durch eine „Kultur der Qualifizierung“ (17) „das Überleben der Politik in einer komplexen Demokratie“ zu ermöglichen. Man lasse sich dies auf der Zunge zergehen. Globalisierte Verhältnisse werden mit dem Etikett der „Komplexität“ versehen und damit ins Reich des Unveränderbaren, durch politisches Handeln nicht Gestaltbaren gerückt. Dieses Reich ist keine „Demokratie“ mehr, sondern eine „komplexe Demokratie“, in ihm kann Politik nur „überleben“, wenn sie sich an diese Welt- und Gesellschaftsverhältnisse anpasst, ihren Imperativen Folge leistet. Ein Medienimperium wie Bertelsmann hat kein Interesse daran, dass globalisierte Verhältnisse politisch infrage gestellt werden, denn dies könnte den eigenen Aktionskorridor einengen. Es hat aber deshalb ein um so höheres Interesse daran, das, was wir „Politik“ zu nennen gewohnt sind, gerade um des Politischen zu amputieren.

Übrig bleibt dann nur noch eine „Politik“ als technokratisches Gerippe, das, vollständig entideologisiert, nach den Kalkülen betriebswirtschaftlicher Rationalität operiert.
So stellt sich Bertelsmann die schöne neue Politikwelt vor: PolitikerInnen als „orts- und zeitunabhängig(e)“ informierte Rund- und Spitzköpfe, die „Konzepte kommunizieren“, „Systeme der Beschlusskontrolle“ implementieren, „produktorientiertes Finanzcontrolling“ realisieren, sich an „outputorientierten Kernkennzahlen“ orientieren und „ein strategisches, wirkungsorientiertes Berichtswesen mit Lebensqualitätsindikatoren und Strukturdaten der Kommune (Trendanalysen)“ praktizieren. (73) Und wer könnte diesen Anforderungen eher gerecht werden als „Führungskräfte, die qua Beruf über wertvolle Erfahrungen verfügen“ (33)? Doch, so geht Osners Lamento, sind diese „immer seltener in der Kommunalpolitik anzutreffen. Die so genannten Eliten, die gerade in der Politik dringend gebraucht werden, machen einen immer geringeren Anteil aus.“ (ebd.)

Die Stiftung hilft beim Knüpfen der Elitenetzwerke


Einmal abgesehen davon, dass in der Diktion Osners (und der Bertelsmann Stiftung, so muss stets hinzugefügt werden) der Elitebegriff auftaucht, wird dieser darüber hinaus auf den Personenkreis der ökonomisch Erfolg-Reichen verengt. Sie sind es denn auch, um deren Rekrutierung die Parteien „vor Ort“ bemüht sein sollen. Dabei wäre ihnen die Bertelsmann Stiftung sicher behilflich, „vor dem Hintergrund der zeitarmen ‚Eliten‘“, „ein differenziertes Engagement zu ermöglichen und flexible Regelungen bei der Einbindung von Kompetenz in die politische Arbeit der Fraktion zu fördern.“ (34) „Personalentwicklung“ (PE) erscheint den POLIS-Autoren als Schlüsselbegriff, der „nach Wirtschaft und öffentlicher Verwaltung nun auch die Parteien und Fraktionen erreicht (hat).“ (81) Politische Parteien stehen, so suggerieren es uns Osner et al. in dringlichem Alarmton, angesichts von „Globalisierung und Professionalisierung der Verwaltungen“ massiv unter Druck: „Rats- und Kreistagsarbeit muss wirksamer und zukunftsfähiger werden ... Ehrenamtlich zu arbeiten bedeutet nicht, unprofessionell zu sein.“ (69)
In Kapitel 4.10 „Verbindungen schaffen, Austausch ermöglichen: Netzwerkarbeit“ (121-128) der o.a. Schrift, das von Ellen Ehring, Andreas Osner und Björn Warmer beigesteuert wurde, wird den von der Bertelsmann Stiftung alarmierten PolitikerInnen „vor Ort“ aufgezeigt, wie sie in einen Austausch mit dieser unentbehrlichen, dem Gemeinwohl dienenden Institution bürgerlichen Rechts treten können, damit ihnen wirkungsvoll geholfen werden kann. Schlüsselkonzept ist das des „Netzwerks“ und wird von Kai Gehring, MdB und „jüngstes Mitglied im Landesvorstand von Bündnis 90/Die Grünen NRW“ (155), in seiner unveröffentlichten Studie „Nachwuchsförderung politischer Parteien – innerparteiliche Strategien zur Qualifizierung und Entwicklung junger Professionals“, Bochum 2002, S. 59, wie folgt definiert: „Netzwerke sind karrierefördernde Kontaktbörsen und Unterstützungsgruppen, die von einer gegenseitigen Kooperation und einem regelmäßigen Informations- und Erfahrungsaustausch der Mitglieder leben. Sie bieten ihren Mitgliedern Gelegenheitsstrukturen für informelle Elitenkontakte. Durch das Prinzip der Reziprozität ist eine Win-Win-Situation gegeben, die Vorteile für alle schafft. Das beinhaltet auch, gelegentlich anderen zu helfen, ohne davon direkt persönlich zu profitieren. Gebildet werden Netzwerke, um in einem lose gekoppelten und hierarchieübergreifenden Personenkreis Informationen zu sammeln, Macht auszuüben, Sichtweisen weiterzugeben und Konsens zu erzielen.“ (125)

Die Stiftung betreibt politische Landschaftspflege für den Konzern


Genau das tut die Bertelsmann Stiftung: Anderen helfen, ohne davon direkt persönlich zu profitieren. Denn tatsächlich profitiert – „in the long run“, um Lord Keynes zu zitieren – nicht sie, sondern der Gütersloher Medienkonzern, dem sie ja dient, von ihrem Wirken im Vorfeld seiner langfristig angelegten Strategien und Geschäftsinteressen. Es nimmt daher kein Wunder, dass hinter solch unverfänglichen Internet-Links wie www.wegweiser-buergergesellschaft.de, www.mitarbeit.de oder www.b-b-e.de (Bundesnetzwerk bürgerschaftliches Engangement) wie sie von Osner et al. den hifesuchenden KommunalpolitikerInnen angeboten werden, die Bertelsmann Stiftung als Mittelgeber und Gründungsmitglied steht. Ja, es gibt im Netzwerk eine „Win-Win-Situation“, allerdings wäre es interessant, mehr zu erfahren über die Höhe der jeweiligen Gewinnausschüttung. Natürlich ist dies nur rhetorisch gefragt, denn die Antwort steht fest: Wer zieht wohl größeren Mehrwert aus dem Netzwerk – Schmidt und Schmidtchen aus der CDU/SPD/Grünen-Fraktion in Neudorf, die, nunmehr bekehrt aus Trainee-Programmen für „junge High Potentials“ (62) in ihre Gemeinde zurückkehren und „Good-practice-Projekte“ (65) zur „Effektivierung der Rats- und Fraktionsarbeit“ (68) realisieren, oder das Gütersloher Medienimperium? Immerhin ist es auch Osner an einer Stelle etwas mulmig geworden, wenn er, bezogen auf die Netzwerkbildung, ausführt, „(d)ass in bestimmten Fällen Grenzen zur Protektion überschritten wurden und werden, ist sehr kritisch zu sehen, aber ein gesondertes Problem, das hier nicht behandelt werden kann.“ (126) Schade, denn dies könnte eine Richtung angeben, wie das Handeln der Bertelsmann Stiftung zu beleuchten wäre. Ein anderer Strang der Untersuchung Bertelsmannschen Handelns wäre die Lobbyismus-Forschung. Drei Bereiche wären zu studieren: Einmal das klassische Lobbying, wenn entweder von Angesicht zu Angesicht (in der Vorhalle des Parlaments) oder weniger direkt (durch das Telefon) Einfluss auf InteressenvertreterInnen ausgeübt wird. Dann neure Formen des Lobbying, wenn, wie im ARD-Magazin „Monitor“ am 21. Dezember 2006 berichtet, VertreterInnen von Unternehmen Stellen in Ministerien besetzen oder, wie der in Bertelsmanns Diensten stehende Europaabgeordnete Elmar Brok, sich ParlamentarierInnen auf der Gehaltsliste von Unternehmen befinden und somit an der Gesetzesvorbereitung und -beratung im Sinne des Konzerns oder Unternehmens mitwirken. Schließlich als elaborierteste Form das „Networking“, das strategisch auf langfristige Organisations- und Personalentwicklung in politischen Parteien abzielt. Letztere Form des Lobbying wird ausschließlich von global operierenden Konzernen betrieben, die ein hohes Interesse an gesellschaftlicher Qieszenz und generell an einem Umfeld haben, das sie im Sinne ihrer Interessen operieren lässt. Für Bertelsmann sind vor allem die Kernbereiche Wissen, Bildung (Schule und Hochschule) und Gesundheit, aber auch Außen- und Militärpolitik von strategischer Bedeutsamkeit, wie in immer zahlreicheren Studien nachzulesen ist. Die Bertelsmann Stiftung betreibt im Vorfeld mit ihren gesellschaftlich-politischen Netzwerken („Zivilgesellschaft“) die für den Konzern so wichtige „Landschaftspflege“. Ich möchte mich vor Altmeister Brecht verbeugen, wohl wissend, ihn einmal mehr im Grabe rotieren zu sehen. „Stell dir vor, es ist „Demokratie“ ... und die Bertelsmann Stiftung war schon da ...“


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