Freitag, 13. April 2012

Steffen Roski - Sieben Thesen Bertelsmann betreffend


    Sieben Thesen Bertelsmann betreffend

  1. Es ist ein ermutigendes Signal für KritikerInnen des Neoliberalismus, dass die sogenannten "Reformen" einen kollektiven interdisziplinären Zugang zum Thema "Bertelsmannisierung" nicht haben verhindern können. Multidimensionalität in Theorie und Analyse verbunden mit einer Vielfältigkeit kritisch-emanzipatorischer Perspektiven jenseits des normalwissenschaftlichen Mainstream befruchten die politische Praxis. BertelsmannkritikerInnen üben sich nicht in wertneutraler Enthaltsamkeit, sondern wissen, dass Bertelsmann mit wissenschaftlichen Methoden zu analysieren stets bedeutet praktisch, d.h. unmittelbar gesellschaftsverändernd zu wirken!
  2. Bertelsmann ist ein ernstzunehmender und finanzstarker Akteur der Kapitalseite, der in der Lage ist, Prozesse des innergesellschaftlichen brain drain in Gang zu setzen, d.h. Personen aus ihren akademisch-intellektuellen und politisch-administrativen Zirkeln hinaus- und sie in seine komplexen Machtnetzwerke hineinzuführen. Bertelsmann ist auf das Reflexionspotenzial williger Intellektueller angewiesen, um die Konzernstrategien und operativen Zielsetzungen zu planen, zu legitimieren und publikumswirksam zu kommunizieren.
  3. Strategien gegen die neoliberale Mission des Bertelsmann-Konzerns können nur auf der Grundlage klarer Analyse wirksam sein. Dabei kann diese sich unterschiedlicher Theorieoptionen bedienen: marxistische politische Ökonomie, Regulationstheorie, Elitetheorie und Power-Structure-Research, linker Funktionalismus, Organisationstheorie und weitere mehr. Sie dienen dazu, den Nebel um das international operierende Gütersloher Medien- und Dienstleistungsimperium zu lichten, damit gegensystemische Vernetzungen ihre volle Wirksamkeit zu entfalten vermögen.
  4. Die schrittweise Erosion des politischen Raumes durch Benchmarking, durch Steuerung mit ökonomischen Kennziffern und Indikatoren sowie durch management by competition liegt im ureigensten Interesse des Gütersloher Dienstleistungs- und Medienkonzerns, der entsprechende Planungs- und Evaluationsinstrumentarien beispielsweise für die Kommunalpolitik und die Kommunalverwaltung sowie für die Bereiche Gesundheit und Bildung (Schulen und Hochschulen) anbietet. Die dem Konzernverbund angegliederten Medien (z.B. die Fernsehsender der RTL-Gruppe und die Zeitungen und Zeitschriften bei Gruner und Jahr) stellen dabei eine dem Kult des Produktivismus und Individualismus huldigende öffentliche Meinung her, die gebannt aufs nächste Ranking schielt.
  5. In einer postindustriellen, postfordistischen, tertiären, wissensbasierten Gesellschaft nimmt Bertelsmann als Medien- und Dienstleistungskonzern eine Schlüsselstellung ein. Mit der Bertelsmann Stiftung, dem Centrum für Hochschulentwicklung, einer Corporate University und dem Think Tank CAP verfügt Bertelsmann über Agenten, die gesellschaftliche Entwicklungen nicht nur passiv beobachten, sondern die bereits seit über einem Jahrzehnt durch aktives strategisches Handeln (vom klassischen Lobbying bis zum subtilen Knüpfen feinmaschiger Machtnetzwerke) an der Konstruktion eines neuen gesellschaftlichen Entwicklungsmodells beteiligt sind.
  6. Bertelsmann braucht den Staat. Dieser schafft einmal die für das Wirken der Bertelsmann Stiftung günstigen rechtlichen Rahmenbedingungen. Zum anderen gibt es für den Dienstleistungsmoloch Arvato, eine 100%ige Tochter des Bertelsmann Konzerns, keinen besseren Vertragspartner. Arvato verspricht der öffentlichen Hand, ob es sich um kommunale Selbstverwaltung, Krankenhäuser oder aber um Universitäten und Schulen handelt, durch die Bereitstellung ökonomischer Kennziffern und damit durch die Abstraktion von inhaltlichen Kriterien "überall zugleich das Wunder vollbringen zu können, eine Kostensenkung mit einer Qualitätssteigerung zu verbinden." (Dazu Michael Felder: "Verwaltungsmodernisierung, die Transformation von Staatlichkeit und die neue Sozialdemokratie", in: UTOPIE kreativ 121/122 (2000), S. 1090-1102; Zitat S. 1095) Bertelsmann hat somit ein hohes Interesse daran, den Zentralwiderspruch des Neoliberalismus, nämlich die nur negative Bestimmung der Rolle des Staates angesichts seiner auch weiterhin bestehenden Bedeutung für ökonomische Prozesse, im Sinne des Konzerns produktiv aufzulösen.
  7. Ein wichtiges Postulat der kritischen Bertelsmann-Analyse lautet: Neoliberalismus und Neonationalismus schließen sich nicht aus, sie bedingen einander. Es besteht kein Widerspruch zwischen der Kampagne "Du bist Deutschland", der zunehmenden Steuerung öffentlicher Bereiche über ökonomische Indikatoren und der Inszenierung eines möglichst allumfassenden Wettbewerbs. Zum einen muss der von Seiten des Kapitals in den Dienst genommene "Regulierungsstaat" höchst sensibel gegenüber kapitalismuskritischen Analysen sein. Neonationalistische Kampagnen eignen sich dazu, KritikerInnen zu stigmatisieren, indem ein gesellschaftsweites Meinungsklima erzeugt wird, dass diese letztlich zu Staatsfeinden stempelt. Zum anderen besteht die Strategie des Bertelsmannkonzerns darin, mit Angeboten zur Privatisierung und Deregulierung, mit Dienstleistungen also, die Reproduktion seiner Existenzbedingungen zu sichern. Die von Privatisierung und Deregulierung Betroffenen stehen unter permanentem Sparzwang, der die klassische Vorstellung von Solidarität zur Disposition stellt, "indem eine produktivistische Rekonstruktion von Gerechtigkeit angestrebt wird." (Felder, a.a.O., S. 1094) Dies wird zu Krisen führen, die politisch und ideologisch im Kontext des Nationalstaats aufgefangen werden müssen. Der Neonationalismus dient hier als Ausgleichsmechanismus. Es ist nicht das erste Mal, dass das Kapital in Deutschland mit dem Feuer spielt.

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