Dienstag, 30. April 2019

《Lass es dir schmecken!》 - Zum Tod von Volker Schmidt


Volker Schmidt wird auf Hamburgs Straßen, insbesondere in St. Georg rund um den Hansaplatz unvergessen bleiben.

Meine erste Begegnung mit Volker fand dort statt, wo er sich stets in seinem Element gefühlt hat: in der Küche des B20 in der Brennerstraße. Damals im Jahr 2013 fanden im Untergeschoss des einstmaligen Autohauses Teile der Gruppe Lampedusa in Hamburg ein zeitweiliges Obdach. Jeden Tag kochte Volker für die Refugees, war eine Bezugsperson für viele Menschen, die sich am Tresen versammelten. Wurde aufgetischt, brummte Volker: 《Lass es dir schmecken!》 und fasste sich dabei ans Herz.

Vielleicht ist es hilfreich, will man Volkers humanistische Motivation verstehen, etwas aus seinem Leben zu wissen. Volker war ein Kind der DDR, will sagen: ihn prägte ein Zwiespalt. Da war auf der einen Seite eine Gesinnung, die in einem humanen Sinne wirklich sozialistisch war, ein Impuls, für seine Mitmenschen da sein zu wollen - und zwar mit Tatkraft. Dann waren da allerdings die negativen Erfahrungen in einem sozialistischen Staat, der seine autoritären Züge allzu oft zum Vorschein brachte. Daraus erwuchs sein anti-autoritäres Selbstverständnis, seine Querköpfigkeit, eine gewisse mecklenburgische Kantigkeit auch. Beide Seiten der DDR-Sozialisierung prägten denn auch seine Persönlichkeit.

Das soziale Projekt B20 war 2014 beendet, den Behörden war die Beherbergung der Refugees längst ein Dorn im Auge, ein Verein zur Zwischennutzung der Immobilie gründete sich, Volkers Tätigkeit als Koch war nicht weiter erwünscht.

Nun war es nicht Volker Schmidts Art, sich zur Untätigkeit verdammen zu lassen. Seine Idee: wenn denn die Suppenausgabe im B20 stationär nicht mehr möglich sein sollte, musste es eben mobil gehen. Ausgerechnet eine knallrot lackierte Gulaschkanone aus den Beständen der ehemaligen NVA, wo Volker einst seinen Wehrdienst bei der Volksmarine absolvierte, hatte er aufgegabelt. Eine schöne ironische Volte und zugleich eine wahrhaft sinnvolle Konversion eines Rüstungsguts!

Natürlich: die mobile Suppenküche gab es nicht umsonst und hier mussten Finanzmittel mobilisiert werden. Der Stadtteilbeirat St. Georg stellte schließlich die notwendigen Mittel zur Verfügung. Leider fand sich trotz vielerlei Bemühungen keine Küchenräumlichkeit, in der die Speisen hätten zubereitet werden können. Somit diente Volkers kleine eigene Küche in seiner Wohnung zur Vorbereitung und zum Kochen.

Schließlich konnte es losgehen mit《Hamburg is(s)t gut!》. Täglich erschien Volker mit der roten Suppenküche am Kreuzweg vis-à-vis zum Steindamm. Und zwar bei Wind und Wetter! Und immer wieder brummte Volker herzlich, nachdem die Kelle in die Suppenschüssel geleert wurde: 《Lass es dir schmecken!》

Doch blieb der Suppenausschank am Kreuzweg Episode. Immobilienbesitzer, Behörden und manche anderen, die sozialem Engagement Steine in den Weg zu legen pflegen, sorgten auf die ihr eigene Weise dafür, dass die rote Suppenküche nunmehr an der Peripherie des Hansaplatzes an der Ellmenreichstraße unweit des Schauspielhaus-Seiteneingangs verlegt werden musste. Verdrießen sollte dies den Seebären jedoch keineswegs und so ließ er sich auch dort im sonoren Brummton vernehmen: 《Lass es dir schmecken!》

Danach ging es mit dem Projekt weiter, später auch ohne die rote Suppenküche. Ein Kessel, in einem Einkaufswagen befördert, diente fortan als Ausgabestation. Aber dies ist dann nicht mehr eine Geschichte, die ich in der Lage bin zu erzählen. Denken kann ich mir allerdings sehr lebhaft, wie Volker Schmidt den Hungrigen nach Ausgabe der warmen Mahlzeit zubrummte: 《Lass es dir schmecken!》









Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.

Dienstag, 16. April 2019

Notre Dame - ein Kommentar

Kathedralenbrände sind in ihrer jeweiligen Gegenwart spektakuläre Ereignisse, in die die Zeitgenossen vielerlei hineinzulesen pflegen: Die Katastrophe als Zeichen für alles Mögliche. Historisch betrachtet gehören solcherlei Havarien zur Biografie berühmter Gebäude. Ein Brand stellt dann eine Art Zäsur dar, die sich in die Struktur des in Frage stehenden Gebäudes im Wortsinn 《eingebrannt》 hat. Insofern relativiert sich das Spektakel. Wie viele Monumentalbauwerke gibt es auf diesem Planeten, die nicht schon mindestens einen Großbrand haben überstehen müssen? Nicht eben viele, denke ich. Was mich eigentlich aufregt ist dieses: Unternehmenskonsortien haben 700 Millionen Euro für die allfällige Rekonstruktion der Notre Dame zur Verfügung gestellt. Frage: Wäre es nicht angebracht, Eigentümer dieser Größenordnung in Gemeinwohlhaftung zu nehmen? Wer freiwillig in der Lage ist, Summen dieser Größenordnung für die Rekonstruktion von Sakralgebäuden zu mobilisieren, der sollte regelmäßig herangezogen werden, für die weltlich-irdischen Bedürfnisse armer Menschen entsprechende Ressourcen zu akkumulieren.

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