Dass inzwischen das Wirken der
Bertelsmann Stiftung auf eine kritische Öffentlichkeit stößt,
finde ich sehr erfreulich, zeigt dies doch, dass in dieser Republik
Beobachtungen jenseits des Mainstream angestellt werden.
Ich selbst habe mich seit Jahren
politisch-wissenschaftlich mit der Bertelsmann Stiftung beschäftigt
und rechne mir zu, einen Beitrag zur notwendigen Aufklärungsarbeit
geleistet zu haben. Dabei hat sich für mich in letzter Zeit -
angeregt nicht zuletzt durch Fragen, die mich entweder per Mail
erreicht haben oder die mir im Rahmen von Veranstaltungen gestellt
wurden - eine einfache, aber um so grundlegendere Frage
herauskristallisiert: Wie funktioniert eigentlich das „System
Bertelsmann“? Und: Wie kann diese Funktionsweise in einer möglichst
einfachen, verständlichen Form und Sprache vermittelt werden?
Tatsächlich kommt es im Kontext politisch-wissenschaftlicher
Aufklärung darauf an, einen zugegebenermaßen komplizierten
Sachzusammenhang so zu vereinfachen, dass er begriffen werden kann.
Es gilt also zu vereinfachen, ohne dabei Falsches zu formulieren.
Dieser kleine Beitrag möchte diese
Vereinfachung leisten. Ich verstehe diesen Text als einen offenen
Kontext, der von anderen verändert oder erweitert werden mag. Dazu
fordere ich ausdrücklich auf. Vielleicht findet sich ja eine
Illustratorin / ein Illustrator, die / der die Sachverhalte grafisch
veranschaulichen mag …
I
Fangen wir also mit der Bertelsmann AG
an. Bei Wikipedia heißt es knapp: „Die Bertelsmann SE & Co.
KGaA mit Hauptsitz in Gütersloh ist ein internationaler
Medienkonzern. Gemessen am Gesamtumsatz ist Bertelsmann eines der
größten Medienunternehmen weltweit und wurde vom Institut für
Medien- und Kommunikationspolitik (IfM) im internationalen Ranking
für 2013 auf Platz 8 geführt.“ Ich möchte präzisieren: „Die
Bertelsmann SE & Co. KGaA mit Hauptsitz in Gütersloh ist ein
internationaler Medien- und Informationsdienstleistungskonzern.“
Beginnen wir mit den Medien:
- Über 250 Millionen Menschen hören, schauen, konsumieren täglich Sendungen der RTL Group.
- Wikipedia: „In Deutschland ist Gruner + Jahr außerdem am Dresdner Druck- und Verlagshaus (u.a. Sächsische Zeitung (60%)), an der Motor Presse Stuttgart (u.a. Auto, Motor und Sport (56,5%)), an der Financial Times Deutschland (100%), am Spiegel Verlag (25,5%), an xx-well.com (100%), chefkoch.de (100%), Ligatus GmbH (100%) und an der Henri-Nannen-Schule (95%) beteiligt.“
Was folgt daraus? Der
Bertelsmann-Konzern stellt für andere Konzerne eine wirkmächtige
Werbe- und Marketingplattform zur Verfügung. Wer in der BRD ein
Produkt an die Frau / den Mann oder das Kind bringen will, kommt an
den Medienplattformen und -portalen des Hauses Bertelsmann nicht
vorbei. Der Medienmulti Bertelsmann ist also auf das Innigste mit der
globalen Konzernwirtschaft verbunden. Bertelsmann lebt von anderen
Konzernen; die Konzerne wiederum nutzen seine Medienangebote zur
Steigerung ihrer Wertschöpfung.
Bis hier hin mag man sagen: So what? Wo
ist das Problem? Ist es nicht völlig normal, dass andere Konzerne
Bertelsmann-Plattformen für ihre Produktwerbung nutzen?
II
Bertelsmann ist als arvato AG auch
Informationsdienstleister. Was macht Arvato? Ich greife aus dem
Wikipedia-Artikel zwei Bereiche heraus:
- „Finance mit Dienstleistungen eines effizienten Risiko- und Forderungsmanagement ist ein weiterer Leistungsbaustein bei arvato. Dieser beinhaltet Risikoprüfung, Rechnungsstellung und -abwicklung, Forderungsabsicherung und Vorfinanzierung bis hin zur Buchung der Zahlung oder der weiteren Betreibung einer Forderung. Die kaufmännische Kundenbetreuung betreibt arvato für die Branchen Versandhandel, E-Commerce, Kreditwirtschaft, Versicherungen, Energie, Verkehr, IT und Telekommunikation, Gesundheit und öffentliche Hand. Des Weiteren betreibt arvato mit dem Tochterunternehmen informa Insurance Risk and Fraud Prevention GmbH mit Sitz in Baden-Baden die Warn- und Hinweisdatenbank Uniwagnis für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft. Bei der Datenbank handelt es sich um eine "schwarze Liste" von Versicherungsnehmern, die beispielsweise drei Sachschäden innerhalb von zwei Jahren oder den Totalschaden eines Fahrzeugs melden.“
- „IT-Dienstleistungen von arvato beinhalten die Planung, Entwicklung, Implementierung und den Betrieb und die Betreuung von Standard-Software und branchenspezifischen und individuell entwickelten IT-Systemen, die Geschäftsprozesse miteinander vernetzen und die Steuerung von Abläufen verbessern. Unter anderem ist die Unternehmenseinheit arvato Systems in diesem Bereich tätig. Der IT-Systemintegrator bietet neben der Implementierung von Standard-Software individuell entwickelte Lösungen an. Den Schwerpunkt setzt arvato Systems dabei auf die Branchen Handel, Logistik und Transport, Manufacturing, Medien sowie Versorgung und Verwaltung. Zusätzlich werden auch Rechenzentrumsdienstleistungen, sogenannte „Infrastructure Services“, angeboten.“
Was folgt daraus? Bertelsmann bietet
also nicht nur Medienplattformen an, das Unternehmen sammelt über
die Tochter Arvato Konsumentendaten. Von Bonuspunkt- und
Rabattsystemen über Inkassodienstleistungen bis hin zu IT-Lösungen
für öffentliche Verwaltungen: Arvato bietet die gleichsam
schlüsselfertigen Lösungen an.
Bis hier hin mag man sagen: So what? Wo
ist das Problem? Ist es nicht völlig normal, dass andere Konzerne
und öffentliche Verwaltungen sich vom Informationsdienstleister
Bertelsmann Lösungen für ihre Probleme erhoffen?
III
Ich komme nun auf die Bertelsmann
Stiftung zu sprechen und möchte eine Person zitieren, der man wohl
kaum unterstellen kann, „linke Verschwörungstheorien“ zu
verbreiten oder schwulstigen Ideologien anzuhängen. Josef Kraus ist
Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL) und hat im Dezember
2012 auf der Homepage der Standesorganisation einen bemerkenswerten
Beitrag abgeliefert: „Über den Wert von Bertelsmann-,Studien'“.
Dort heißt es:
„Die Bertelsmann
Stiftung verfügt über enorme Ressourcen. 1977 gegründet, hält sie
mittelbar rund 77 Prozent der Aktien der Bertelsmann SE & Co.
KGaA. Das erlaubt ihr nicht nur die Beschäftigung von über 300
Mitarbeitern, sondern größte mediale Verbreitung über die in ihrer
Hand befindlichen Sender und Printmedien. Weil die
Bertelsmann-Familie Mohn rund drei Viertel der Bertelsmann-Aktien auf
die Stiftung übertragen hat, sparte sie obendrein vermutlich gut
zwei Milliarden Erbschafts- und Schenkungssteuer. Die Bertelsmann
Stiftung mit ihrem Jahresetat von rund 60 Millionen Euro und mit
einem Gesamtvolumen aller ihrer Projekte seit 1977 in der Höhe von
rund 800 Millionen Euro arbeitet so gesehen also de facto mit
öffentlichem Geld, ohne dafür gegenüber einer Exekutive oder
Judikative Rechenschaft ablegen zu müssen … Geadelt wird die
Bertelsmann Stiftung bei ihren Auftritten und Kongressen von
ehemaligen Bundespräsidenten sowie von amtierenden Regierungschefs
und Ministern.“
Jetzt sagt mir mein
Verstand: Moment einmal, da stimmt doch etwas nicht. Eine Stiftung
hält den größten Teil der Anteile an einem Konzern, der weltweit
zu den Global Playern in Sachen Medien und
Informationsdienstleistungen zählt. Warum dieses?
Vor einigen Jahren
(28.10.2009) habe ich in einem Beitrag für die NachDenkSeiten dies
hier geschrieben:
„Und hier kommt die
Stiftung ins Spiel. Mit ihr, einer Art gemeinnützig gestellten
Forschungs- und Entwicklungsabteilung, gelingt dem Konzern das
Kunststück, im Sinne einer der Zivilgesellschaft gegenüber als
verantwortungsbewusster, dem Gemeinwohl verpflichteter Eigentümer zu
erscheinen, der ohne Beanstandungen „regelmäßig vom Finanzamt
geprüft“ wird, von der AG unabhängig und parteipolitisch
neutral sei. (Neue Westfälische vom 6. Januar 2009) Dass es der
Bertelsmann Stiftung gelingt, gleichsam als idealer Gesamtdemokrat zu
erscheinen, gehört zu den Eigenheiten eines politischen Regimes, in
dem es einer Konzernstiftung gelungen ist, das „Politische“
betriebswissenschaftlich zu neutralisieren und damit in einer
perfiden Uminterpretation der Artikel 14 und 15 GG („Eigentum
verpflichtet“ und die Möglichkeit zur Überführung in
„Gemeineigentum“) im Gewand der Stiftung als Sachwalter des
„Demokratischen“ schlechthin zu erscheinen und als
Dienstleister an der stiftungsseitig inszenierten
Vertriebswirtschaftlichung poltisch-staatlicher Prozesse – an
Private Public Partnerships und New Public Management – kräftig zu
verdienen.“
I – III – Fassen wir
zusammen
Bertelsmann ist ein
mächtiger, milliardenschwerer Konzern, der anderen Playern der
Kapitalseite seine Medienplattformen offeriert und diesen zugleich zu
Lösungen bei der Abwicklung informationstechnologisch basierter
Dienstleistungen und Kundenkontakte verhilft. Haupteigentümerin der
AG ist die öffentlich subventionierte Bertelsmann Stiftung. Die
Bertelsmann Stiftung ist für die AG das, was einem Chemiekonzern
beispielsweise eine Forschungs- und Entwicklungsabteilung ist. Dem
Gütersloher Medien- und Dienstleistungskonzern dient sie vor allem
dazu, Gegenwartstrends zu erspüren und auf der Grundlage
wissenschaftlicher Expertisen mittel- und langfristig selbst
gesellschaftlich-politische Entwicklungen mitzubestimmen.
Ich hoffe verständlich
gemacht zu haben, warum die kritische Begleitung der Aktivitäten der
Bertelsmann Stiftung ein demokratisches Gebot darstellt. Wenn die
Stiftung in ihren Expertisen etwa die Privatisierung öffentlichen
Eigentums (im Bildungswesen etwa) fordert, arbeitet sie dem Konzern
unmittelbar zu, denn dieser ist über seine Medien- und
Informationsdienstleistungssparten daran interessiert, seine
Wertschöpfungsketten überall dorthin auszudehnen, wo sich Profite
erzielen lassen. Viele Bürger beschleicht das Gefühl, demokratisch
entmündigt zu sein. Viele Bürger sind deshalb beunruhigt und
wütend. Konzerne wie Bertelsmann spinnen, von den Mainstream-Medien
weitgehend unbeachtet, in Netzwerken der Macht und des Einflusses an
einer „Post-Demokratie“, in der die Bürger nichts, die
Konsumenten dagegen alles sind.
Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.
Herzlichen Dank für diese Zusammenfassung, sehr lesenswert!
AntwortenLöschenMich erinnert das an die Werbekampagnen in den 60-igern auf unserem Schulhof, einer Schule im Kreis Gütersloh. Der Rektor war entsetzt über das Auftreten eines privatwirtschaftlichen Unternehmens und nicht zuletzt über das kapitalistische Vorgehen des Gütersloher Konzerns. Letztendlich hat er den Vertriebsmann aus dem Hause Bertelsmann des Schulhofes verwiesen. Allerdings hatten wir Schüler schon den Lockvogel, eine drehbare Weltkarte in der Hand und konnten diese sicher mit nach Hause nehmen. Das es wenige Wochen später zu einem Besuch eines Vertriebsmitarbeiter aus dem Hause Bertelsmann in meinem Elternhaus kam, wird seine Ursachen gehabt haben. Allerding kann ich mich an das Ausfüllen einer Karte heute nicht mehr erinnern. Es würde aber sonst die Frage bleiben, woher man denn die Adresse gehabt hätte.
AntwortenLöschenIch habe es meiner Mutter zu verdanken, damals nicht ein Abo, eine Mitgliedschaft im Club oder ähnliches eingegangen zu sein. Wenn ich sauber zurückrechne, muß dies unter der damaligen Leitung von Reinhard Mohn geschehen sein. Unternehmersich äußerst erfolgreich. Allerdings moralisch völlig verwerflich, da ich damals sicher nicht älter als 13 Jahre war. Ich bin ganz ehrlich, die drehbare weltkarte hat noch heute eine Faszination für mich und gestaltet mein gutes Erninenrungsvermögen, bis dahin, dass ich nicht verstehen wollte, warum meine Mutter einer Mitgliedschaft im Haus Bertelsmann nicht zugestimmt hat.
Und heute glotzen die Menschen pausenlos RTL und lassen sich einfach mal so manipulieren.
Da schämt man sich geradezu, in Gütersloh geboren zu sein.
Ein waschechter Gütersloher aus Gütsel