Es ist nicht das erste Mal vorgekommen und wird auch nicht das letzte Mal vorgekommen sein: ein prominenter Akteur aus dem politisch-administrativen System schmückt sich mit akademischen Federn, sprich einem Doktortitel, dessen Zustandekommen der bewussten Täuschung, dem vorsätzlichen Abweichen von verbindlichen wissenschaftlichen Standards geschuldet ist.
Aktuell brisant ist der Fall Franziska Giffey, ehemalige Bezirksbürgermeisterin von Berlin-Neukölln und derzeitig Ministerin für Senioren, Frauen und Jugend im großkoalitionären Kabinett Merkel.
Mir war schon zu einem frühen Zeitpunkt, am Beginn der aufkommenden Plagiat-Verdachtsmomente klar, dass an der Sache etwas dran ist, schließlich hatte sich Peter Grottian, Politologe an der FU Berlin, dahingehend vernehmen lassen, dass Giffey einschlägige Standards nicht eben penibel eingehalten habe. Grottian steht sicherlich was seine gesellschaftlich-politische Positioniering angeht Giffey nicht gerade fern und kann kaum verdächtigt werden, sich etwa aus einem anti-sozialdemokratischen Affekt heraus öffentlich geäußert zu haben.
Wer Universitäten eher fern steht, muss wissen, dass es mindestens zwei Typen von Promotionen gibt - jedenfalls in den Kultur- und Geisteswissenschaften. Der eine Typ betrifft die universitäre Laufbahn und stellt die Voraussetzung dafür dar, auf dem Felde der Wissenschaft zu reüssieren, was, so denn alles wie geplant verläuft, in der Habilitation und der Übernahme eines gut dotierten Lehrstuhls mündet. Dann gibt es Typ 2: Die akademische Promotion dient als Sprungbrett in außerhalb der Universität angesiedelten Bereichen - im Bildungs- und Erziehungswesen, der öffentlichen Verwaltung, der Wirtschaft, den Kirchen, in den zivilgesellschaftlichen NGOs, in der Parteipolitik oder einfach dafür, sich mit einem akademischen Grad als 》Experte《für was auch immer zu schmücken und überlegene Kompetenz zu demonstrieren.
Dr. Franziska Giffey ist ein Paradebeispiel für den zweiten Promotions-Typus. Der Doktorgrad wird seinen Anteil daran gehabt haben, dass Giffeys politische Karrieriesierung sozusagen》wie geschmiert《verlaufen konnte - von der engagierten Lokalpolitikerin zum Shootingstar und Kümmerfrau der Post-Agenda-SPD.
Um Schaden von ihrer Partei abzuwenden, hat Dr. Franziska Giffey jüngst erklärt, nicht für das Amt der SPD-Vorsitzenden zur Verfügung zu stehen. Vom Ministeramt dagegen, so Dr. Giffey, werde sie nur dann zurücktreten, wenn von Seiten der Universität ihr der Doktorgrad aberkannt würde. Es ist wie so oft bisher: Am Ministeramt wird so lange eisern festgehalten bis der akademische Ruf qua Beschluss der mit der Angelegenheit befassten Gremien endgültig den Bach hinuntergegangen ist.
Das alles ist nicht weiter sensationell und fügt sich nahtlos in ein Muster, das in der BRD altbekannt ist. Erstaunt bin ich allerdings darüber, dass sich in den 》Leitmedien《des Landes Stimmen erheben, die gegenüber Frau Dr. Giffey Milde einfordern.
So titelt Katharina Schuler in der Wochenzeitung DIE ZEIT, jedenfalls in den Online-Kanälen der Hamburger Publikation, Folgendes: 》Schade! - Dass Franziska Giffey wegen der Plagiatsvorwürfe nicht für den SPD-Vorsitz kandidiert, ist bedauerlich. Das Land sollte lernen, Politikern Fehler zu verzeihen.《
Auf Schulers Argumentation näher einzugehen, unterfordert mich doch sehr. Nur so viel: Dass ausgerechnet eine ZEIT-Autorin》moralischen Rigorismus《beklagt, entbehrt der Ironie nun gerade nicht, ist es doch das Hamburger Wochenblatt, deren Redakteure sich in den ätherischen Deutungshöhen eines bundesrepublikanischen Leitmediums wähnen und nichts lieber tun, als allwöchentlich den Zeigefinger mahnend und warnend in die Luft zu heben.
Meine Forderung geht in eine völlig andere Richtung. Es ist an der Zeit, dem bürgerlichen Establishment dieser Republik - vom Oberstudienrat bis zum Minister - genauer auf die Finger zu schauen! Konkret: Jede in den vergangenen zehn Jahren abgelieferte Promotion wäre auf Täuschung und Plagiat hin zu überprüfen. Analog zum Umgang mit Steuersündern könnte so verfahren werden, dass freiwillige Eingeständnisse bis zu einem bestimmten Stichtag eine entsprechend diskrete Behandlung des jeweiligen Falles garantierten. Mit öffentlicher Skandalisierung muss dann jener zusätzlich zum allfälligen Karriereende rechnen, der nach dem Stichtag durch die Ermittlungen einer 》akademischen Wahrheitskommission《auffliegt. Wenn DIE ZEIT dann solches Vorgehen naserümpfend als moralisch rigoros bekrittelt, wäre mir das, ehrlich gesagt, ziemlich wumpe, wie man in Berlin zu sagen pflegt.
Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Sie sind herzlich zu Kommentaren aufgefordert und eingeladen!