"Aber es ist in den Geisteswissenschaften nichts mehr von den alten agonalen Leidenschaften und Affekten zu spüren. Kaum ein Professor oder eine Professorin glaubt noch daran, dass von der eigenen Tätigkeit ein Fünkchen auf das Heil der Welt überspringen könnte; allenfalls auf das Heil der Drittmittelquoten, wo die Entscheidung von 'bewilligt' und 'nicht bewilligt' die Unterscheidung von 'wahr' und 'falsch' abgelöst hat. Nur wenn man glaubt, dass der Geist als laues Lüftchen weht, dann tragen die Geisteswissenschaften ihren Namen zu Recht. Niemand erweckt dort den Eindruck, dass es um etwas geht. Ein Potpourri aus Pop, Gender, Medien und Theoriescharmützeln bestimmt gegenwärtig die Agenda in den Kulturwissenschaften, und wenn man in die philosophischen Seminare blickt, dann sitzen dort die einstigen Verwalter des Logos auf dem Schoss der Neurowissenschafter und hoffen, mit der Übersetzung philosophischer Begriffe wie Geist und Bewusstsein in Neuro-Speech an den prall gefüllten Geldtöpfen der Hirnforscher lecken zu dürfen. Man gewinnt den Eindruck, dass unsere Welt, die an vielen Ecken in Flammen steht und bedroht ist, den Geist der Geisteswissenschaften nicht berührt. Den Geisteswissenschaften ist nicht der Geist ausgetrieben, wie vor Jahrzehnten Friedrich Kittler meinte, sondern das Agonale, nämlich der Sinn dafür, dass auch in diesen Wissenschaften etwas auf dem Spiele steht."
Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/debatte/der-geist-wird-zunehmend-weiblich-1.18526250
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