Donnerstag, 5. Dezember 2013

BdWi: Erklärung des BdWi-Vorstandes zur Kooperation deutscher Wissenschaftseinrichtungen mit dem Pentagon

Keine Forschung für globale Kriegsführungsfähigkeit

Recherchen des Norddeutschen Rundfunks (NDR) und der Süddeutschen Zeitung (SZ)
deckten auf, dass vom US-Verteidigungsministerium in den letzten 13 Jahren für
etwa 10 Millionen Dollar Forschungsprojekte an deutschen Hochschulen und für
etwa 1 Millionen Dollar an hochschulfreien, staatlich finanzierten
Forschungseinrichtungen wie die Max Planck Gesellschaft oder das
Frauenhofer-Institut für Kurzzeitdynamik gefördert wurden. Vier der geförderten
Hochschulen haben sich mit einer Zivilklausel in der Grundordnung zu einer
Forschung ausschließlich für zivile Zwecke verpflichtet. Die Palette der
Vorhaben setzt sich zusammen aus direkter Wehrforschung (etwa an Munition und
Sprengstoffen), aus Projekten, die in einem zivil-militärischen Graubereich
(›dual use‹) stattfinden und solchen, die – offenkundig mit dem Zweck der
Verharmlosung – als ›reine Grundlagenforschung‹ (Universität Bremen, Universität
des Saarlandes) deklariert werden. Diese Enthüllungen bekräftigen politische
Bestrebungen zu einer flächendeckenden Einführung von Zivilklauseln, die der
BdWi aktiv unterstützt. An der aktuellen Situation ist einiges bemerkenswert:

1. Es bedarf offenbar aufwendiger journalistischer Recherchen von außen, damit
die BürgerInnen dieses Landes erfahren, was an öffentlich finanzierten
Wissenschaftseinrichtungen eigentlich passiert. Die Hochschulen müssen
nachdrücklicher verpflichtet werden, sämtliche Projekte, Kooperationen und
entsprechende Verträge offen zu legen.

2. Der Hinweis auf angebliche Grundlagenforschung als Entlastungsargument. Die
Wissenschaftsforschung weist seit langem darauf hin, dass Grundlagen- und
Anwendungsbezug immer enger verzahnt sind und die Weichen für praktische Nutzung
von Ergebnissen häufig schon im Grundlagenbereich gestellt werden. Niemand wird
sich wohl den Bären aufbinden lassen, dass ausgerechnet das Pentagon als
selbstloser Förderer zweckfreier Erkenntnis um ihrer selbst willen in
Erscheinung tritt. Auch wenn die geförderten Projekte vordergründig harmlos
wirken, dienen solche Anschubfinanzierungen auch immer der Anbahnung
langfristiger Kooperationen. Das Interesse dabei ist allemal ein militärisches.
Daher ist auch der Hinweis auf die Geringfügigkeit der Fördersummen (bei
jährlich über 5 Mrd. Euro Drittmittel insgesamt) nicht beruhigend.

3. Schließlich die Instrumentalisierung des ›dual-use‹-Argumentes (zivile und
militärische Nutzbarkeit von Forschungsergebnissen), um Warnungen vor
militärischem Missbrauch der Wissenschaft abzufedern oder gar Zivilklauseln für
überflüssig und wirkungslos zu erklären. Erstens fördern wie in den aktuell
enthüllten Fällen militärische Institutionen Wissenschaft immer in einem
militärischen Interesse. Folglich ist auch der Anwendungsbezug der Ergebnisse
nicht offen, nicht neutral und nicht verhandelbar. Zweitens ist die
›dual-use‹-Problematik gerade ein starkes Argument für Zivilklauseln, auch weil
sich die gesellschaftliche Verantwortung der Wissenschaft ebenso auf die
gesellschaftliche Anwendung ihrer Ergebnisse erstreckt. Zivilklauseln fördern
gerade die öffentliche Reflexion von Forschungsinhalten, ggf. die Darstellung
ihrer Ambivalenz und die Warnung vor militärischem Missbrauch ihrer Ergebnisse.

Der BdWi setzt sich folglich auch weiterhin für die Einführung von
Zivilklauseln an Hochschulen ein und dafür, dass dieser Prozess zusätzlich durch
landesgesetzliche Regelungen unterstützt wird.. 14 Hochschulen haben bereits
eine Zivilklausel eingeführt. Das ist zwar eine Aufwärtsdynamik, aber es müssen
noch mehr werden. Die Zivilklausel hat nicht nur eine negative (Verhinderungs-)
Komponente, sondern bedeutet in letzter Konsequenz die Selbstverpflichtung für
eine Forschung, die zu humanen Lösungen globaler Krisen und Konflikte und zu
einer gerechten globalen Verteilung von Lebenschancen und Ressourcen beiträgt,
kurz: Frieden fördert. Last not least weisen die aktuellen Ereignisse auf die
Notwendigkeit hin, dass an den einzelnen Hochschulen zwischen den akademischen
Gruppen stärker Regeln und Verfahrensweisen der Handhabung von Zivilklauseln
vereinbart werden, damit diese nicht nur ein pathetisch-symbolisches Etikett
bleiben.

Schließlich ist die Forderung der GEW zu unterstützen, dass die Enthüllungen der
Pentagon-Kooperationen auch ein Anlass sein sollten, grundsätzlicher über die
dominanten Muster einer ›wettbewerblichen‹ Hochschulfinanzierung entsprechend
dem Leitbild der „unternehmerischen Hochschule“ zu diskutieren, in der
angesichts einer seit drei Jahrzehnten eingefrorenen Grundfinanzierung um jeden
Preis Drittmittel – egal woher – eingeworben werden müssen allein um den
laufenden Betrieb abzusichern. Dies fördert gerade eine strukturelle
Gleichgültigkeit gegenüber der Verantwortung, den Zielen und Zwecken der
Wissenschaft.


Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.

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