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Freitag, 30. Januar 2015

David Signer: Judenhass, wieder und wieder. Siebzig Jahre nach Auschwitz sind die Antisemiten nicht verschwunden. Begründungen für ihr diffuses Unbehagen finden sie immer.

"Der Antisemitismus nimmt nicht nur in Frankreich, sondern weltweit wieder zu. Warum besteht er auch siebzig Jahre nach Auschwitz fort? Zur Ursache des Judenhasses gibt es unzählige Theorien. Zum Beispiel: Man habe den Juden die 'Erfindung' des Monotheismus übelgenommen, der uns mit seiner Strenge überfordert. Aber auch dass 'die Juden' Jesus umgebracht hätten, wird seit Jahrhunderten beklagt. Manche verachteten die Juden wegen ihrer Armut und Traditionalität, andere beneideten sie wegen ihres Reichtums, ihrer Intelligenz und Modernität. Manche hegten Aversionen gegen sie, weil sie staatenlos waren, andere gerade wegen des Staates Israel. Manche misstrauten ihnen, weil sie sich nicht anpassten, andere, weil sie sich assimilierten. Die Rechten sahen Marx in ihnen, die Linken Rothschild. Verschwörungstheorien zum jüdischen Einfluss im 'internationalen Kapital', in der amerikanischen Politik, in den Medien und in Hollywood sind ein Evergreen. Sogar Auschwitz bringt manche gegen die Juden auf. Denn: Müssen wir Armen wegen des Holocaust nicht permanent Gewissensbisse haben? Auch Lob kann leicht in Ressentiment umschlagen, wenn etwa einer raunt, es sei doch seltsam, wie viele Juden es unter den Nobelpreisträgern gebe."

Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/antisemitismus-wieder-und-wieder-1.18471224

Donnerstag, 29. Januar 2015

Sarah Birke: How ISIS Rules

"The leaders have constructed a hierarchical, disciplined organization. According to Abu Hamza, a Syrian defector from the group's intelligence services whom I talked to in southern Turkey this fall, at the top is some group of twenty men, who have made a division between
ISIS's military and civilian arms. Specific leaders are responsible for ISIS's military and security forces; there are civilian ministries run by ministers, although they appear not to have physical central locations. Each Syrian province that ISIS controls, Abu Hamza told me, has an emir with military and civilian deputies; they oversee organizing the local administration. The group has set up new courts, local police forces, and an extensive economic administration, while taking over the existing education, health, telecom, and electricity systems (with some utilities still run by the Syrian government)."

Quelle: http://www.nybooks.com/articles/archives/2015/feb/05/how-isis-rules/?utm_medium=email&utm_campaign=NYR%20Citizens%20United%20Alice%20Munro&utm_content=NYR%20Citizens%20United%20Alice%20Munro+CID_1f0756ea5f61852ca8ce50d26bc6e898&utm_source=Email%20marketing%20software&utm_term=How%20ISIS%20Rules

Ranj Alaaldin: Isis has finally defeated in Kobani - but what happens next? There's so much to learn from the victory of a small but determined group of Kurds

"Syria's Kurds have succeeded because of their organisation, proper control structure, and professionalised fighting force. This is important, because they managed to repel Isis with far fewer resources than their Arab counterparts fighting Isis and Assad elsewhere in the country, as well as their Kurdish counterparts in Iraqui Kurdistan."

Quelle: http://www.independent.co.uk/voices/comment/isis-has-finally-been-defeated-in-kobani--but-what-happens-next-10006048.html

Stefan Betschon: "Spy vs. Spy" gegen alle

"Qwerty wurde durch einen Artikel im 'Spiegel' Mitte Januar bekannt gemacht. Der Hinweis auf diese offensichtlich im Rahmen der 'Five Eyes' entwickelte Malware stammt aus Dokumenten, die Edward Snowden dem 'Spiegel' zugänglich gemacht hat. 'Die Geheimdienste wollen die Herrschaft im Intetnet und beteiten einen digitalen Krieg vor', schrieb das deutsche Nachrichtenmagazin. Laut Snowden haben die 'Five Eyes' einen Warriorpride genannten Baukasten für die Konstruktion von Schadsoftware entwickelt. Qwerty ist ein Warriorpride-Baustein, der dazu dient, auf einem infizierten Computer Tastatureingaben abzufangen. So lassen sich auch Passwörter stehlen."

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 29. Januar 2015 (Nr. 23, 236. Jg.), S. 34

Marc Zitzmann: Verantwortungslose in der Verantwortung. Frankteich diskutiert über das unlösbare Dilemma, vor dem satirische Zeichner stehen

"Das Dilemma scheint unlösbar. Einerseits hat 'Charlie Hebdo' das Recht, Mohammed und die Exponenten anderer Religionen zu verspotten - sowohl juristisch (ein entsprechender Prozess wurde 2007 gewonnen) als auch politisch. Wer trotz Tidesdrohungen sein Recht auf Ausdrucksfreiheit ausübt, verdient als Streiter für die Demokratie Lob und Beistand. Andererseits kann jede Ausübung dieses Rechts Menschen im In- und Ausland das Leben kosten. Das ist gewiss nicht das Ziel der Satiriker, aber eine inzwischen vorhersehbare Folge ihres Tuns. Jede Veröffentlichung von 'Mohammed-Karikaturen' hat blutige Konsequenzen."

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/verantwortungslose-muessen-verantwortung-schultern-1.18470907

Jürg Bischoff: Was plant der "Kalif" nach Kobane? Kurzer Krieg zwischen den Kurden und dem Regime in Hasaka bietet den Jihadisten einen Ansatzpunkt

"Für den IS wäre diese Lage ein gefundenes Fressen. Die Taktik, lokale arabische Stämme in den Kampf einzubinden, hatte im vergangenen Jahr viel zum Erfolg seiner Feldzüge gegen die Kurden im Nordirak beigetragen. Bricht der Pakt zwischen dem Regime und den Kurden zusammen und laufen die Araber in Hasaka zu der Terrormiliz über, verliert Damaskus eine seiner letzten Positionen im Nordosten des Landes. Die Jihadisten hingegen gewännen mit Hasaka eine strategische Stellung an der Hauptverbindung zwischen ihren syrischen und irakischen 'Hauptstädten', Rakka und Mosul, sowie eine ideale Ausgangsposition für einen Feldzug gegen das grösste kurdische Siedlungsgebiet im Nordosten Syriens."

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 29. Januar 2015 (Nr. 23, 236. Jg.), S. 4

Andres Wysling: Berlusconi hat gut lachen. Eine Reform pro Jahr in Italien

"Die Wahlreform gelingt mit gütiger Unterstützung des früheren Regierungschefs Berlusconi. Der verurteilte Betrüger ist der wichtigste Regierungspartner Renzis, er steht in regelmässigem Austausch mit diesem. Aus dem Sozialdienst heraus, den er statt einer Gefängnisstrafe ableisten muss, bestimmt der Sträfling weiterhin massgeblich die Geschicke Italiens. Einen halben Tag pro Woche kümmert er sich in einem Pflegeheim um demente Patienten, die restliche Zeit kann er in Rom und Mailand die Fäden ziehen. Man kann nur staunen über seine Zähigkeit und seine Fähigkeit zum Multitasking - und man muss sich wundern, dass so etwas überhaupt möglich ist."

Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/berlusconi-grinst-1.18470081

Mittwoch, 28. Januar 2015

Neue Zürcher Zeitung (kam.): Ein Mann mit vielen Gesichtern. Der Wahlsieger Alexis Tsipras

"Kritiker charakterisieren Tsipras als wendigen Populisten, dem es, getrieben vom Machtwillen, an Prinzipienfestigkeit mangle. Zu Beginn seiner Karriere schwebte ihm noch die Verstaatlichung der Produktionsmittel vor. Auf dem Höhepunkt der Wirtschaftskrise drohte er damit, die Vereinbarungen mit den Kreditgebern in Stücke zu reissen. In den vergangenen Wochen mässigte Tsipras seine Rhetorik. Er sicherte Brüssel und Berlin zu, keine unilateralen Entscheide in der Schuldenfrage zu treffen. Auf dem innenpolitischen Parkett streckte Tsipras nach links und rechts die Hand aus. Der jüngste Ministsrpräsident in Griechenlands jüngerer Geschichte scheint zu ahnen, dass er unweigerlich einen Teil seiner Anhänger enttäuschen wird. Am Ende des Wahlkampfs räumte er plötzlich ein, es werde nicht einfach werden. Der zweifache Vater, der nicht verheiratet ist, bezeichnet sich selbst als kompromissbereiten Realisten. In den bevorstehenden Verhandlungen mit der Troika aus EU-Kommission, Währungsfonds und Europäischer Zentralbank werden diese Eigenschaften gefordert sein."

Quelle: http://www.nzz.ch/international/europa/ein-mann-mit-vielen-gesichtern-1.18469145

Dienstag, 27. Januar 2015

David McWilliams: Oiling the EU's economic engine

"If debts - both national and personal - aren't dealt with, people will have too much debt and won't be prepared to borrow and the banks will have too much bad debt and they won't be willing to lend.

Some form of debt relief would make quantitative easing (QE) much more likely to be successful. This exactly what Syriza wants in Greece and it is an entirely logical move. This is not an extreme position but is straight out of the most orthodox economic textbook."

Quelle: http://www.davidmcwilliams.ie/2015/01/26/oiling-the-eus-economic-engine

Frank Nordhausen: Historischer Sieg der Kurden

"Tatsächlich haben die syrischen Kurden in Kobane nicht nur für sich, sondern stellvertretend auch für den Westen gekämpft und einen hohen Blutzoll dafür gezahlt. Es ist nicht nur recht und billig, dass sie nun endlich die Hilfe bekommen, die sie verdienen. Der Wiederaufbau Kobanes kostet viele Millionen. Die Kurden brauchen zudem Lebensmittel, Medikamente, und ja, auch Waffen, um sich gegen zu erwartende weitere IS-Angriffe zu wehren. Sie müssen mit an den Verhandlungstisch, wenn über die Zukunft Syriens gesprochen wird."

Quelle: http://www.berliner-zeitung.de/meinung/kommentar-zu-kobane-historischer-sieg-der-kurden,10808020,29668680.html

Montag, 26. Januar 2015

Reinhard Göweil: Haltet den Dieb! Ob Tsipras eine absolute Mehrheit knapp hat oder nicht, spielt keine Rolle. Seine Partei wird den griechischen Regierungschef stellen.

"Denn der Wahlsieg Tsipras - mit seiner durchaus gestaltbaren Formulierungen nach einem Schuldenschnitt - ist nicht nur der Aufschrei eines gequälten Landes. Es ist eine Zäsur für Europa. Italiens sozialdemokratischer Regierungschef Renzi sagt ebenfalls, dass die Sparpolitik ein Ende haben müsse. Und die europäische Sozialdemokratie wird sich das Wahlergebnis in Griechenland genau anschauen. Gianni Pitella, Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europa-Parlament hat als erste Reaktion zwei Worte gesagt: Stop Austerity."

Quelle: http://www.wienerzeitung.at/meinungen/leitartikel/730329_Haltet-den-Dieb.html

Michael Brenner: Hoffnungen und Enttäuschungen. Frankreich, seine Juden und der Antisemitismus.

"Die Unterschiede lassen sich knapp so formulieren: In Deutschland wollte man die Juden erst zu guten Staatsbürgern erziehen und ihnen dann, sozusagen als Belohnung, die gleichen Rechte verleihen, die die anderen Deutschen bereits hatten. In Frankreich dagegen erhielten die Juden die staatsbürgerlichen Rechte als Ergebnis der Revolution mit ihrem Schlachtruf 'liberté, égalité, fraternité', mussten sich in den Augen der Mehrheit dieser Rechte aber immer wieder als würdig erweisen. So rief Napoleon 1806 und 1807 zwei Versammlungen mit Repräsentanten der jüdischen Bürger ein und legte ihnen einen Fragenkatalog vor, mit dessen Beantwortung sie zu bezeugen hatten, dass sie sich nur im Glauben von ihren christlichen Mitbürgern unterschieden. 1808 folgte dann der von jüdischer Seite als 'décret infâme' verdammte Erlass, der die Juden mit Gewalt aus ihren alten Berufen herausbringen und in neue hinrinzwängen wollte."

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/hoffnungen-und-enttaeuschungen-1.18468528

Carlo Strenger: Optimismus ist im Nahen Osten schwer zu verkaufen

"Jenseits der komplizierten Koalitionsarithmetik, die letztlich entscheiden wird, wer Israels nächste Regierung bilden wird, spielt sich ein Kampf der Weltanschauungen ab. Netanyahu ist als Person äusserst misstrauisch, was zu seinem enormen politischen Erfolg beigetragen hat: Er ist wohl eines der besten Beispiele für die Effektivität des Slogans 'Nur die Paranoiden überleben', welchen Andy Grove, der legendäre Intel-Geschäftsführer, geprägt hat. Für Netanyahu ist Misstrauen aber nicht nur eine politische Taktik, sondern eine Weltanschauung: Seit vielen Jahren versucht er die Welt davon zu überzeugen, dass der Islam eine dunkle Macht ist, welche die Welt ins Chaos zu stürzen versucht. Er ist zutiefst davon überzeugt, dass die Palästinenser Israels Existenz nie akzeptiert haben und dass ein Rückzug auf die Grenzen von 1967 für Israel Selbstmord bedeutet. Netanyahus manipulative Taktiken haben ihn in westlichen Regierungskreisen höchst unbeliebt gemacht und zu Israels Isolierung sehr beigetragen. Eine weitere rechtsnationale Regierungskadenz unter Netanyahu wird Israels Isolierung vertiefen und möglicherweise die Hoffnung auf eine Zweistaatenlösung des Israel-Palästina-Konflikts endgültig begraben."

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 26. Januar 2015 (Nr. 20, 236. Jg.), S. 18

Marcel Fratzscher: Ein notwendiger Schritt zu einem gemeinsamen Ziel

"Investitionen sind der Schlüssel für mehr Beschäftigung, ein Absinken der Arbeitslosigkeit, und mehr Wachstum und Stabilität. Die schwache Kreditvergabe und der Einbruch der Einbruch der Nachfrage haben dazu geführt, dass die EZB ihrem Mandat der Preisstabilität nicht mehr gerecht wird. Die EZB hat ein einziges Mandat, und das heisst Preisstabilität. Die EZB hat daher keine andere Wahl, als zu handeln. Sie kann die Hände nicht in den Schoss legen und hoffen, dass jemand anders ihren Job erledigt und für einen stabilen Euro sorgt."

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 26. Januar 2015 (Nr. 20, 236. Jg.), S. 17

Stefan Kooths: Ein geldpolitisches Experiment mit ungewissem Ausgang

"In weiten Teilen des Euro-Raums ist die Wirtschaftslage unbefriedigend, aber die Ursache liegt nicht in einer zu geringen Liquiditätsversorgung. Zentralbankgeld ist (über)reichlich vorhanden.Grund für die nur zähe Erholung sind hartnäckige Überschuldungspositionen als Folge der übermässigen Kreditexpansion im Vorfeld der Finanzkrise. Hieran ändert die abermalige Liquiditätsflut nichts. Das neue EZB-Programm wird die Kreditvergabe kaum stimulieren, sondern neue Vermögenspreisblasen provozieren. Die EZB erklärt, dies sei nicht beabsichtigt. Entscheidend sind aber ökonomische Wirkungen, nicht die Absichten."

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 26. Januar 2015 (Nr. 20, 236. Jg.), S. 17

Samstag, 24. Januar 2015

Uwe Justus Wenzel: Der Schimmer des Marmors. Ein Raumschiff, eine Göttin, eine Zauberin und das Erdzeutalter namens "Anthropozän".

"Angenommen, der Rückkehrer wäre längere Zeit unterwegs gewesen: Nach der glücklichen Landung und der Befreiung aus seiner Einsamkeit würde er bemerken, dass unterdessen eine wachsende Zahl seiner Gattungsgenossen den latenten Selbstekel, den sie mit ihm geteilt haben mochten, in eine manifeste Selbstermunterung verwandelt haben. Das erwachende Umweltbewusstsein von einst hat sich zu einem veritablen Erdbewusstsein geweitet. Der 'Unrat', an den Blumenberg erinnerte, wird, so gut es geht, wegzuräumen versucht. Das 'Untier' wird (lässt man die sich fortsetzende Gewaltgeschichte beiseite) anscheinend wieder zum Menschen. Was den Rückkehrer noch mehr verblüfft: Dieser neue Mensch hat ein neues Erdzeitalter eingeläutet und ihm seinen eigenen (zwar alten) Namen gegeben - 'Anthropozän'. Es wäre dies die erdgeschichtliche Epoche, die die neueste ist (griechisch: 'kainos') und die vom Mrnschen ('anthropos') ihr Gepräge erhält."

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/der-schimmer-des-marmors-1.18467777

Robert Jungwirth: "Geräuschloser Kampf im Herzen der Gesellschaft." Houston Stewart Chamberlain, Richard Wagner und das Rassendenken

"Chamberlain folgt in seinen rassistischen Texten den antisemitischen Argumentationsmustern Wagners. Auch Wagner behauptet, Juden seien nicht schöpferisch, seien materialistisch und nur an der Vermehrung des Geldes interessiert. Um ihr Ziel - die Weltherrschaft - zu erreichen, unterwanderten sie nach und nach die germanischen Völker und infizierten deren 'Rasseblut' wie eine Krankheit. Der amerikanische Musikwissenschafter David Clay Large hat darauf hingewiesen, dass Chamberlain vor der Beschäftigung mit Wagner weder Rassist noch Antisemit gewesen sei. Das ist umso bemerkenswerter, als es noch immer zahlreiche Wagner-Exegeten gibt, die Wagner vor allem als 'Missbrauchsopfer' der Nationalsozialisten sehen. Dabei trug Wagners antisemitisches Gedankengut in vielerlei Hinsicht zur rassistischen Geisteshaltung der Nazis bei. Ein wichtiges Bindeglied dabei war Houston Stewart Chamberlain, der 1909 in zweiter Ehe Eva Wagner heiratete, die zweite Tochter Richard Wagners, und seitdem in Bayreuth im Kreis der Wagner-Familie lebte."

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/houston-stewart-chamberlain-und-richard-wagner-1.18467536

Daniel Steinvorth: Fatwa gegen Schneemänner

"Islamqa.info ist eine bekannte salafistische Website. Man findet dort eine Fatwa-Datenbank, die tausende von religiösen Gutachten speichert - freilich nach der ultrakonservativen Lehre des wahhabitischen Islams. Ihr Betreiber ist der Prediger Mahammed Salih al-Munajid; ein Mann, zu dessen Ansichten zählt, dass Mickey Mouse eine 'satanische Figur' und der Tsunami von 2004 eine Strafe Gottes für die Partys der Touristen gewesen sei. Es sind Leute wie Munajid, die aufgeklärte Muslime verzweifeln lassen. Muslime hätten andere Sorgen, als sich von absurden Fatwas ärgern zu lassen, klagt eine Bloggerin. Es nerve sie, dass entsprechende Meldungen von westlichen Medien aufgebauscht würden."

Quelle: http://www.nzz.ch/international/aufgefallen/fatwa-gegen-schneemaenner-1.18466921

Freitag, 23. Januar 2015

Zita Affentranger: Kiew droht alles zu verlieren. Analyse. Die ukrainische Führung glaubt noch immer an eine militärische Lösung in den Gebieten Donezk und Luhansk, obwohl die prorussischen Rebellen wieder vorrücken. Das hat verheerende Folgen.

"Doch für die Ukraine sind die Konsequenzen noch weit katatrophaler als für Russland. Präsident Poroschenko hat grosse Pläne mit seinem Land: Innert zwei Jahren will er unabhängig werden von russischen Energielieferungen, in fünf Jahren Mitglied der EU sein. Das mag an sich schon unrealistisch klingen; klar ist, dass das Land überhaupt keine Zukunft hat, wenn der Krieg weitergeht. Die Ukraine läuft Gefahr, ihre demokratische Entwicklung zu opfern für diesen Kampf. Die letzten wirtschaftlichen Ressourcen werden verschlungen vom Militär, und die westlichen Kreditgeber könnten sich plötzlich in der unangenehmen Situation wiederfinden, einen Krieg zu finanzieren. Kiew droht nicht nur Territorium zu verlieren, sondern auch die Herzen der Ostukrainer, auf deren Buckel die Schlacht geschlagen wird."

Quelle: http://www.tagesanzeiger.ch/ausland/europa/Kiew-droht-alles-zu-verlieren/story/22181449

Donnerstag, 22. Januar 2015

Stefan Betschon: Goodbye, Google Glass

"Auch die Besitzer der Google-Datenbrille haben unterschiedlich auf die Ankündigung eines 'Übergangs' reagiert. Von den vielen Kommentaren auf Google+ lautet einer: 'Excellent news!! We're thrilled to see what's next for Glass!', ein anderer: 'Never, has so much, been promised, to so many, with so little delivered, for so much. GIVE ME MY MONEY BACK!'"

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 22. Januar 2015 (Nr. 17, 236. Jg.), S. 38

Mittwoch, 21. Januar 2015

Hans-Albrecht Koch: Bildung in der Krise. Der "Akademisierungswahn" und andere Phänomene - neue Bücher über Schule, Universität und Beruf

"Liessmann enttarnt die zur Begründung des Kompetenz-Konzepts vorgetragenen Gesichtspunkte als 'Orientierung an den vermeintlichen Bedürfnissen der jungen Menschen, an den Wünschen der Arbeitgeber oder an den Herazsforderungen der Zukunft, die niemand kennt' - in summa: als bewusste Abkehr von der anstrengenden Zumutung, junge Menschen mit so 'nutzlosen' Aufgaben zu konfrontieren wie der Lektüre bedeutender Texte aus Literatur oder Philosophie. Nach den eher niederschmetternden Bemerkungen über die 'Käuflichkeit des Geistes', die man noch um die Frage ergänzen mag, wieso der Unterricht immer mehr vom Vertrieb irgendwelcher Produkte der Power-Point-Industrie bestimmt sein muss statt vom zugewandten Gespräch, lenkt der Autor seinen Leser zum Schluss mit der Frage nach der 'Schönheit des Nutzlosen' so strikt wie geschickt auf das grosse anthropologische Thema aller Philosophie: Wessen bedarf es zu einem gelingenden, zu einem glücklichen Leben?"

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 21. Januar 2015 (Nr. 16, 236. Jg.), S. 23

Joachim Güntner: Ohne Verantwortung schreibt es sich am besten. Michel Houllebecq las in Köln aus seinem Roman "Unterwerfung" - es war sein einziger öffentlicher Auftritt zur Zeit

"'Unterwerfung' ist ein Werk voller Spott auf mittelmässige Literaturwissenschafter und Universitäten. Nicht islamophob, sondern 'sorbonnophob' sei es, meinte Minkmar. Houllebecq fand, die Politik komme darin noch viel schlechter weg. Die Parteien ständen für nichts mehr, die Menschen seien so politisch 'wie ein Handtuch', politische Diskussionen sehe er sich zwar gern an, aber ihre Unterhaltsamkeit beruhe bloss auf Spektakel. Dass die Furcht vor dem wachsenden Antisemitismus in Frankreich Rufe nach Auswanderung oder im Gegenteil das Verlangen nach Dableiben auf jeden Fall provoziert hat, nannte er gleichermassen 'übertrieben'. Ein Dazwischen sei auch lebbar, man müsse keine extremen Alternativen wählen. Den gegen ihn kursierenden Vorwurf, er habe Marie Le Pen und dem Front national mit der Vision einer islamischen Republik auf französischem Boden eine Steilvorlage geliefert oder gar den Rechtsextremismus befeuert, wies er ab. Noch nie habe ein Leser wegen eines Romans seine Weltanschauung geändert. Ob's stimmt?"

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 21. Januar 2015 (Nr. 16, 236. Jg.), S. 21

Peter Glaser: Die Uhr, die keine ist

"Nun steht der nächste Angriff an. Die gross präsentierte Apple Watch, die demnächst auf den Markt kommt, solle zur Verbreitung nonverbaler Kommunikationsformen beitragen. Anstatt Textnachrichten abzufeuern, können Benutzer mit anderen Watch-Inhabern in Verbindung treten, indem sie ihnen kleine Skizzen oder Emojis senden - die grossen Brüder der altgedienten Smileys. Man kann sogar seinen Herzschlag verschicken, den die Biosensoren der Uhr wahrnehmen. Droht ein Sprachverfall? Die Bezeichnung 'Uhr' für das Gerät, das beiläufig auch die Zeit anzeigen kann und am Handgelenk getragen wird, ist übrigens eher irreführend, so wie ein iPhone - und mit ihm die ganze Gattung der Smartphones - kein Telefon ist, wie man ursprünglich angenommen hatte, sondern eine Art Universalfernbedienung für unser Leben. Menschen, die man fragt, ob sie damit denn auch telefonieren, sagen immer öfter: immer seltener. Wieder andere vertreten die Theorie, dass Apple mit der angeblichen Uhr nicht die Zeit neu erfinden will, sondern das Geld. NFC heisst das Zauberwort - Near Field Communication. Und wer da im Nahfeld kommuniziert, das sind die Apple Watch und die Registrierkassen dieser Welt. Sie tauschen Bezahldaten aus, früher nannte man diesen Vorgang schlicht 'Geld ausgeben'."

Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/kolumnen/die-uhr-die-keine-ist-1.18465059

Dienstag, 20. Januar 2015

Milosz Matuschek: Die verheerende Entdeckung der Schweigsamkeit. "Charlie Hebdo" und die stille Preisgabe der Medienfreiheit

"Die Charlie-Sympathie ist zu einem nicht unerheblichen Teil eine blosse Freiheitsfolklore. Ein Maskenball der Aufgeklärten. Der Rauch der Anschläge hatte sich kaum verzogen, da erklärten die ersten deutschsprachigen Satiremagazine bereits, auf den Abdruck von Mohammed-Karikaturen verzichten zu wollen. Amerikanische und britische Zeitungen winkten ebenfalls ab und weigerten sich sogar, das jüngste Titelblatt von 'Charlie Hebdo' zu drucken."

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 20. Januar 2015 (Nr. 15, 236. Jg.), S. 36

Mona Sarkis: "Ach Gott, erschießen Sie mich doch gleich". Arabische Parodien auf den Islamischen Staat schürfen nur an der Oberfläche

"In der irakischen Fernsehshow 'Dawlat al-Khurafa' (Staat der Fabeln) befiehlt ein IS-Kämpfer einem Gemüsehändler, Obstsorten mit männlichen und weiblichen Namen nicht miteinander zu vermengen. Es gehe schliesslich um die Ehre. In einem in Palästina produzierten TV-Sketch hält ein IS-Kämpfer einen Passanten an und fragt diesen, wie oft der Buchstabe A im Koran vorkomme. Die Antwort des Mannes: 'Ach Gott, erschießen Sie mich doch gleich.' In der libanesischen TV-Satireshow 'Ktir Salbe' (Sehr übel) befiehlt ein IS-Kämpfer einem Taxifahrer, sein Radio auszuschalten, da dergleichen zu Zeiten des Propheten Mohammed nicht existiert habe. Daraufhin der Taxifahrer: 'Haben zu Zeiten Mohammeds Taxis existiert?' Der IS-Kämpfer verneint, und der Fahrer hält an: 'Dann steig aus und warte auf das nächste Kamel.'"

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/medien/oberflaechliche-kritik-am-fanatismus-1.18464273

Angela Schader: Bismillah? Folterstrafe für einen saudischen Blogger

"Verurteilt wurde Raif Badawi, der auf seinem Blog 'Free Saudi Liberals' klar und bedingungslos für eine Säkularisierung des saudischen Staatswesens, für Gedankenfreiheit und gegen die Borniertheit und Selbstgetechtifkeit des wahhabitischen Klerus plädiert hatte, wegen 'Beleidigung des Islams'. In seinen Einträgen hatte er etwa - mit berechtigter Sorge - die Tatsache angeprangert, dass der Rigorismus der Glaubenswächter die besten Köpfe aus den muslimischen Ländern vertreibt, und er warf religiös geprägten Staatswesen vor, sie verbreiteten 'eine Kultur des Todes und der Ignoranz unter ihren Bürgern, wo doch Modernisierung und Hoffnung Not tun. Staaten, die sich azf religiöse Ideen gründen (...)', so fährt Badawi fort, 'haben nichts ausser der Furcht vor Gott und seiner Unfähigkeit, sich dem Leben zu stellen. Schauen wir, was geschah, nachdem es den Völkern Europas gelungen war, den Klerus aus dem öffentlichen Leben zu verbannen und ihn auf die Kirche zu beschränken. Wahre Menschen konnten heranwachsen, es gab Aufklärung, Kreativität und Widerstand. Religiös geprägte Staaten halten ihre Bürger in einem Bannkreis aus Glauben und Angst gefangen.'"

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/bismillah-1.18464310

Montag, 19. Januar 2015

Jenni Roth im Gespräch mit Norbert Bolz: "Nachhaltigkeit ist zum positiven Tabu geworden". Der Philosoph Norbert Bolz erklärt, wie aus dem Begriff " Nachhaltigkeit" ein quasireligiöses Heilsversprechen geworden ist

Frage: "Schon vor knapp 20 Jahren sollten sie an der Universität Essen einen Vortrag über " Sustainability" halten - und hielten ihn über "Unsustainability". Gibt es keine Nachhaltigkeit?

Antwort: "Die wundervolle Balance-Idee widerspricht diametral der Logik moderner dynamischer Systeme: Die Systemtheorie der Gesellschaft schildert unsere Welt als Welt von komplexen Systemen - mit einer eigenen Dybamik. Wir taumeln gewissermaßen von Katastrophe zu Katastrophe, so wie sie der Mathematiker René Thom in seiner 'Katastrophentheorie' beschrieben hat: Dabei geht es nicht um spektakuläre Katastrophen wie Kriege oder Naturkatastrophen, sondern eine extreme Form von Unordnung. Wenn dynamische Systeme wie unsere Gesellschaft von Unordnung zu Unordnung stürzen, dann ist das ganz normal.:

Quelle: http://www.nzz.ch/wissenschaft/bildung/nachhaltigkeit-ist-ein-positives-tabu-geworden-1.18463818

Jenni Roth: Nachhaltig leben ist nicht schwer - oder doch? Über die inflationäre Verwendung eines zeitgeistigen Begriffes

"Gleich am Morgen geht's los: Das Shampoo entfernt Schuppen 'nachhaltig'. Den Kaffee trinkt man dann mit seinem Partner, dem man in einer 'nachhaltigen Lebensgemeinschaft' verbunden ist. Dann fährt man zur Arbeit in seine Firma, die für eine 'nachhaltige Unternehmensphilosophie' steht, und kümmert sich in der Mittagspause um sein 'nachhaltig' angelegtes Geld. Auf der Heimfahrt schluesslich hört man im Radio eine Sendung über die 'Nachhaltigkeit des Kulturerbes', bevor man sich, wieder zu Hause, eine Thunfischpizza in den Ofen schiebt. Aus - laut Verpackung - 'nachhaltiger Erzeugung', versteht sich."

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 19. Januar 2015 (Nr. 14, 236. Jg.), S. 36

Joachim Güntner: Reflexe einer verunsicherten Mittelschicht. Pegida hat die Montagsdemonstrationen gekapert - das DDR-Erbe zeigt dabei unerfreuliche Seiten

"Erwünscht ist, dass man sich anpasst. Differenz erscheint schnell als Obstruktion. Seit sieben Jahren lebe ich in Sachsen, und ich kenne kein Bundesland, wo die Lust am Massregeln so ausgeprägt wäre. Dass mir einer der Leipziger Wortführer im Vieraugengespräch über Bildung und Erziehung bekannte, er 'wolle ja kein Kind prügeln, aber es in die Ecke zu stellen', wenn es etwas falsch gemacht habe, sei geboten, passt nur zu gut ins Bild. In den Schulen ist diese Praxis keineswegs ausgestorben. Belehrung durch Beschämung, Zurechtweisung als Demütigung. Strenge reimt sich hier auf Enge - Enge des Herzens, Mangel an Empathie, Freude am Gehorsam. Nur scheinbar steht diese Haltung quer zur Opposition gegenüber staatlicher Bevormundung. Sie verteägt sich durchaus mit dem Verlangen nach Plebisziten oder der Wahl von Richtern durch das Volk (beides sind Programmpunkte in Leipzig). Geht es um die Wahrung eigener Interessen, ist Anti-Etatismus kein Problem. Ordnungsliebe, die nach dem Staat ruft, indessen ebenso wenig. Die 'Patriotischen Europäer' sind vehement für mehr Polizei."

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/reflexe-einer-verunsicherten-mittelschicht-1.18463714

Christoph Eisenring: Deutsche Städte verspekulieren sich. Gemeinden in Nordrhein-Westfalen haben Risiken von Franken-Krediten unterschätzt

"Der Fall Essen sticht dabei hervor. Die Stadt hat 2001 und 2004 Kredite über 450 Mio. Fr. aufgenommen. Dadurch konnte die hochverschuldete Gemeinde bisher zwar 32 Mio. € an Zinsen sparen. Doch diese Entlastung wird durch die Währungsverluste längst in den Schatten gestellt. Die Stadt muss nämlich für die Rückzahlung immer mehr Euro audwenden, wel der Franken seit der Finanzkrise stark aufgewertet wurde. Bis Ende 2014 summierten sich die Verluste bereits auf 93 Mio. €. Da lag der Kurs noch bei Fr. 1.20 je Euro. Stichtag ist zwar Ende Jahr. Doch kostet der Euro wie im Moment nur einen Franken, müsste Essen noch einmal eine Wertkorrektur von 76 Mio. Euro verbuchen. Es gebe nichts zu beschönigen, sagte der Stadtkämmerer Lars Martin Klieve am Freitag. Dies sei ein schwarzer Tag für die Stadtfinanzen."

Quelle: http://www.nzz.ch/wirtschaft/deutsche-staedte-verspekulieren-sich-1.18462944

Samstag, 17. Januar 2015

Andrea Köhler: Amerika ist nicht Charlie. Im Land der Political Correctness ist politische Satire nicht salonfähig

"Obama ist nicht Charlie. Die Abwesenheit des amerikanischen Präsidenten beim Solidaritätsmarsch von rund 40 Staatsoberhäuptern am letzten Sonntag in Paris hat in der amerikanischen Öffentlichkeit breites Unverständnis ausgelöst. Dass nicht ein einziger höherer Repräsetant der USA an der Demonstration teilnahm - ein Versäumnis, das nach dem Sturm der Kritik auch vom Weissen Haus eingeräumt wurde -, war auch für den Satiriker der 'Daily Show', Jon Stewart, ein gefundenes Fressen: 'Wie konnten die USA fehlen, wo doch die Repräsentanten solcher Symbole der Pressefreiheit wie Russland da waren? Die Türkei, die Journalisten ins Gefängnis wirft, war da! Ägypten ... genug. Israel, das palästinensische Cartoonisten einlocht, war da! Und vor allem unser engster Verbündeter, Saudiarabien - wenn auch noch etwas ausser Atem von der öffentlichen Auspeitschung eines Bloggers.'"

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/verpixelte-cartoons-und-doppelte-standards-1.18462763

Andreas Breitenstein im Gespräch mit dem Politik-Strategen Francois Heisbourg: "Der Zweck von Terror ist es zu terrorisieren". Was wollten uns die " Charlie Hebdo"-Attentäter mit ihrer Tat sagen?

Frage: "Was halten Sie von der Forderung, dass der Islam sich reformieren müsse? Würde dies dem Terrorismus den Wind aus den Segeln nehmen?

"Was wir sehen, ist ein Konflikt innerhalb des Islam, die Attentate im Westen sind eher Ausreisser. Das Hauptkampfgebiet liegt in den muslimischen Ländern selbst, im Irak, in Syrien, Pakistan, Afghanistan, da gibt es auch am meisten Opfer. Die Muslime müssen das selber lösen. Die Situation ist zu komplex, als dass wir sie mit unserem Feindbild vom mittelalterlichen Islam erfassen könnten. Der IS lässt die Stammesgesellschaft hinter sich, er ist international und integrativ. Er ist eine hochmoderne Organisation, hinter der teilweise brillante Hochschulabgänger stehen. Der IS ist nicht einfach eine Terrororganisation, sondern so etwas wie ein Protostaat. Man muss ihn anders bekämpfen."

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 17. Januar 2015 (Nr. 13, 236. Jg.), S. 23

Martin Meyer: Religiöser Faschismus - und die Folgen. Gedanken zu den Attentaten von Paris

"Es war - wie man nachholend feststellen dürfte - ein schlimmes Erwachen aus dem Traum der Fortschrittseuphorie, als es im Jahr 1979
einem finsteren Ayatollah praktisch über Nacht gelang, den Gang der Dinge zu wenden und in Iran den Prozess der Säkularisierung rückwärts zu drehen. Henning Ritter hat auf dieses Datum hingewiesen und es in seiner Initialzündung erkannt: Was Khomeiny, ein übler Geselle von stattlichem Ausmass, der Welt vorführen wollte, ging weit über eine Bereinigung 'innerer Angelegengeiten' hinaus. Zur Botschaft wurde: Modernisierung ist kein Schicksal, das einfach hinzunehmen wäre."

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/religioeser-faschismus--und-die-folgen-1.18462686

Freitag, 16. Januar 2015

The Guardian: The Guardian view on the public flogging of a Saudi liberal

"The first is a much-needed reminder of their bare-faced hypocrisy. Saudi is, so far as its rulers can make it, closed to all foreign ideas. They equate atheism with terrorism, and propose to apply the same punishments for both. At the same time it is a fountain of islamist poison, of antisemitism, of narrow-minded and fanatical preachers, and of young men who leave to fight in other people's countries and help to destroy them in the cause of Wahhabist Islam. Let us not forget that 15 of the 19 9/11 hijackers were Saudis and that Saudi money has funded cruel and pointless wars all over the Middle East. If the kingdom now draws back in horror at the spectacle of Islamic State rampaging through the river valleys of Iraq and Syria, it is the horror of Dr Frankenstein seeing its monster walking."

Quelle: http://www.theguardian.com/commentisfree/2015/jan/15/guardian-view-public-flogging-saudi-liberal

Donnerstag, 15. Januar 2015

Stefan Betschon: Google als Gaukler

"Wir wissen allerdings gar nicht genau, was die Suchmaschine macht, wenn sie angibt, das Internet zu durchsuchen, wir haben keine Vorstellung von der Gesamtheit der Dokumente, die analysiert werden, um unsere Suchanfrage zu beantworten. Vielleicht gibt es gar nicht Millionen von Websites, vielleicht gaukelt uns Google das nur vor?

Bereits René Descartes hat sich mit dieser Frage beschäftigt, und sie beschäftigt uns noch heute: Wie können wir die Maschinenhaftigkeit von maschineller Intelligenz erkennen? Wo endet die Maschinenhaftigkeit, wo beginnt die Intelligenz, die, losgelöst von Mechanismen und Algorithmen, auf unvorhersehbare Weise neues Wissen schafft?"

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 15. Januar 2015 (Nr. 11, 236. Jg.), S. 34

Abdelkader Benali: Zweifel und Zorn. Über die Schwierigkeit, als Muslim in einer Welt aufzuwachsen, in der alles möglich und nichts heilig ist

"Nach dem 11. Spetember haben viele europäische Muslime an ihrer Herkunft gezweifelt. Gehören sie in das Paris von Voltaire und Rousseau oder in Mohammeds Mekka? Aber das ist die falsche Frage. Muslime gehören zu Europa wie die Roma, die Schwulen, die Intellektuellen, die Bauern oder die Fabrikarbeiter. Wir sind seit Jahrhunderten in Europa, und darum sollten Politiker und Presse die Muslime nicht länger so behandeln, als seien sie gerade eben erst angekommen."

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/zweifel-und-zorn-1.18461165

Alfred Brendel: Waches Hören. Ein neues Buch des Dirigenten und Komponisten Hans Zender

"Hans Zender hat die Distinktion, ein Musiker zu sein, der als Komponist, Dirigent, Pädagoge, Musiktheoretiker und weithin belesener Literat eine Sonderstellung einnimmt. Mystik und Religionsphilosophie, Zen und C.G. Jung lenken in einem Raum des 'Denkens als Nichtdenkens', 'eines Nichtdenkens bei grösster geistiger Wachheit'. Inmitten der Turbulenz des musikalisch Vorhandenen sucht Zender eine 'Spiritualität', wie er sie zum Beispiel in der Zen-Kalligrafie findet, eine Art von Konzentration, die nicht auf die Produktion von Kunst und die Selbstvollendung des Malers gerichtet ist. Er spricht von 'vollkommener Zweckfreiheit der Kunst' und einem 'Sich-selbst-fremd-Werden des Geistes' (Richard von Sankt-Viktor), also einer Verbindung von buddhistischem Denken mit der mystischen Tradition Europas. In diesem 'bild- und begriffslosen Bereich' begegnet er Cage, Scelsi, Schnebel, Feldman oder Klaus Huber auf ähnlicher Suche."

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/musik/waches-hoeren-1.18461164

Jürg Bischoff: Der Marsch der Scheinheiligen

"Ein flagrantes Beispuel liefert Saudiarabien, wo zwei Tage nach dem Überfall auf 'Charlie Hebdo' der Blogger Raif Badawi öffentlich 50 Peitschenhiebe wegen 'Beleidigung des Islams' und anderer Vergehen erhielt. Das Urteil gegen Badawi lautet auf zehn Jahre Gefängnis und 1000 Peitschenhiebe - das heisst, dass er jeden Freitag der nächsten 19 Wochen dieselbe Prozedur über sich ergehen lassen muss."

Quelle:  http://www.nzz.ch/international/aufgefallen/der-marsch-der-scheinheiligen-1.18460589

Mittwoch, 14. Januar 2015

Mohammed Hanif: Pakistans verdrängter Krieg. Der Kindetmord von Peshawar - die Gründe und die Folgen

"Pakistans Krieg hat uns in den letzten zehn Jahren über fünfzigtausend Menschenleben gekostet. Aber es bedurfte des Todes von hundettdreissig Schulkindern, bis wir begriffen, dass wir ein Problem haben. Die liberale Intelligenzia vertrat immer den Standpunkt, dass die mächtige Armee und ihre Sicherheitsdienste für die Zunahme der Gewalt im Land verantwortlich seien. Generationen pakistanischer Generäle haben in den Afghanistan-Kriegen der vergangenrn Dekaden mitgemischt, indem sie militante Gruppierungen unterstützten und sie als ihre Stellvertreter antreten liessen. Diese Kämpfer, die lediglich Pakustans Interessen in Afghanistan und im indischen Teil von Kaschmir hätten vertreten sollen, richten ihre Gewehre nun gegen ihre Herren und Meister. Sie haben sich zudem mit religiös-militanten Gruppierungen verbunden, die keineswegs nur von den Bergen im Norden aus operieren, sondern mitten in unseren Städten."

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 14. Januar 2015 (Nr. 10, 236. Jg.), S. 21

Dienstag, 13. Januar 2015

Christoph Eisenring: Berlin gefährdet das "Jobwunder". Deutschland verzeichnet Rekorde am Arbeitsmarkt - und wird übermütig

"Für den Ökonomen Michael Burda ist das nur die halbe Wahrheit. Der Amerikaner, der seit über 20 Jahren an der Humboldt-Universität in Berlin lehrt, sagt im Gespräch, die Lohnzurückhaltung der Tarifpartner reiche als Etklärung für das Beschäftigungswunder nicht. Man müsse auch Arbeitnehmer finden, die zu diesen Konditionen arbeiten wollten. Und hier kommen wieder die Hartz-Gesetze ins Spiel. Dank diesen Reformen seien Arbeitslose bereit gewesen, niedrigere Löhne zu akzeptieren. Für diese These spricht, dass seit 2005 eine grössere Spreizung der Löhne zu beobachten ist."

Quelle: http://www.nzz.ch/wirtschaft/berlin-gefaehrdet-das-jobwunder-1.18459005

David McWilluams: Just like the 80s, only different

"Immigration affects different parts of society differently. For wealthy people, immigration means cheaper workers. Immigration is win-win option for the rich. In contrast, for poorer people, immigration means direct competition for jobs, for houses, for welfare, for schools, for hospitals, for transport and ultimately for a stake in their society."

Quelle: http://www.davidmcwilliams.ie/2015/01/12/just-like-the-80s-only-different

Montag, 12. Januar 2015

Denis Staunton: Why Ireland should support Greek plan to write down euro-zone public debt

"Greece is not Germany and post-war Germany's debt amounted to a much smaller proportion of its gross domestic product than Greece's does today. Germany was, however, regarded internationally as a deadbeat debtor, having welched on various debt repayment deals between the two world wars. And the creditor nations' forbearance in 1953 is all the more remarkable given how recently Germany has led Europe into a catastrophic war that also plunged its antagonists into debt.

Syriza's proposal to deal with Europe's collective debt problem multilaterally recognises that souvereign debt within the euro zone can no longer simply be viewed as a national issue. It also reflects the view of many mainstream economist's that much of Europes public debt is unsustainable and that austerity policies are not only causing hardship but damaging the economy."

Quelle: http://www.irishtimes.com/opinion/why-ireland-should-support-greek-plan-to-write-down-euro-zone-public-debt-1.2060653?page=2

Sonntag, 11. Januar 2015

Geoffrey O’Brien: Pynchon’s Blue Shadow

"The words in Anderson’s film are mostly Pynchon’s; the plot elements too, however freely they have been culled and transposed; the free-associative multiplicity and ricocheting mood changes are carried over with a miraculous lightness of touch. Yet Inherent Vice the movie is utterly its own thing, as thoroughly a piece of Anderson’s imaginative universe as of Pynchon’s. If Pynchon’s Doc Sportello could stare at a movie and feel puzzled by what he’s seeing, here it’s as if the movie stared back, infusing the materials of the novel with further ambiguities of emotion and association, pervading it with the actual California sunlight that feels like the movie’s binding force. People glide through it or are trapped or exposed by it. It offers promises of innocent happiness or flattens everything with an overlay of blinding impersonal brightness."

Quelle: http://www.nybooks.com/blogs/nyrblog/2015/jan/03/pynchon-blue-shadow-inherent-vice/?utm_medium=email&utm_campaign=NYR+Charlie+Hebdo+new+films+Obama+and+rights&utm_content=NYR+Charlie+Hebdo+new+films+Obama+and+rights+CID_2199a7465927ef2901730f39807bead6&utm_source=Email%20marketing%20software&utm_term=Pynchons%20Blue%20Shadow

Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.

Blätter für deutsche und internationale Politik: Die Ungleichheitsmaschine: Markt, Kapital und Herrschaft (Auszüge aus der Berliner Debatte zwischen Thomas Piketty und Susan Neiman, Hans-Jürgen Urban (IG-Metall) und Joseph Vogl, moderiert von Mathias Greffrath
 aus Blätter für deutsche und internationale Politik 12/2014)

"Eigentlich hätte die Krise von 2008 den Finanzkapitalismus und die finanzielle Deregulierung grundsätzlich in Frage stellen müssen. Stattdessen wurde sie durch die Unfähigkeit unserer europäischen Institutionen in eine Anklage gegen den Staat verkehrt, in eine Infragestellung der Staatstätigkeit und der öffentlichen Hand. Man hat diese Krise, die aus dem privaten Finanzsektor kam, in eine Staatsschuldenkrise verwandelt. Das liegt an der Herabwürdigung der öffentlichen Hand und dem schweren Fehler, den die Europäische Zentralbank (EZB) beging, als sie Anfang 2010 ankündigte, bei einer weiteren Herabstufung Griechenlands durch die Ratingagenturen würde sie keine griechischen Schatzanweisungen mehr akzeptieren. Ein schrecklicher Fehler, denn so erhielten die Ratingagenturen mit einem Schlag das Recht, über Leben oder Tod unserer Gemeinschaftswährung zu entscheiden – die gleichen Ratingagenturen, die die Situation privater Finanzunternehmen und sogar der griechischen Staatsfinanzen geschönt hatten." (Thomas Piketty)

Quelle: http://sandimgetriebe.attac.at/11150.html

Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.

Samstag, 10. Januar 2015

Immanuel Wallerstein: Die NATO: Eine Gefahr für den Weltfrieden

"Der Ukraine-Konflikt verdeutlicht die Gefahr, die die NATO darstellt. Die USA haben sich bemüht, neue militärische Strukturen aufzubauen, die sich offensichtlich gegen Russland richten, und sie als Maßnahme gegen eine hypothetische Bedrohung durch den Iran darzustellen. Im Verlauf des Ukrainekonflikts kam die Sprache des Kalten Krieges wieder in Gebrauch. Die USA verwenden die NATO, um Druck auf europäische Länder auszuüben, damit diese antirussischen Aktionen zustimmen. Und innerhalb der USA steht Präsident Obama unter großem Druck, 'schlagkräftig' gegen die sogenannte Bedrohung der Ukraine durch Russland vorzugehen. Dazu kommt die sehr feindselige Einstellung des amerikanischen Kongresses zu jeder Art Übereinkunft mit dem Iran zum Thema nukleare Entwicklung."

Quelle: http://sandimgetriebe.attac.at/11138.html

Edu Haubensak: Musik ohne Gewicht. Der amerikanische Komponist Morton Feldman und sein radikales Denken

"Mit seinen radikalen Positionen ist Morton Feldman, in den begrenzten Zirkeln der zeitgenössischen Musik, ein Star. Die Kombination von übermässiger Dauer und äusserst leiser Musik ist eine Herausforderung für unser Gedächtnis. Es werden andere Dimensionen der Wahrnehmung erreicht, und wir befinden uns in einem ständigen Hin und Her von Vergangenheit und Gegenwart. Wir erleben eine seltsame Verwischung des Zeitgefühls, eine Mischung aus Erinnern und Vergessen. Das Hören dieser Musik ist wie ein Taumel in langsam vergehender Zeit. Morton Feldman sprach oft von der Amnesie des eben Komponierten und dem Versuch, die musikalischen Patterns aus dem Gedächtnis zu rekonstruieren. So setzt sich diese Musik von Muster zu Muster fort; wir begleiten hörend diesen Prozess im Zustand einer langsamen Ekstase - und empfinden dabei ein Stück Ewigkeit."

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/musik/musik-ohne-gewicht-1.18457880

Anton Holzer: Verbotene Bilder. Die Faszination entblösster Körper - eine Geschichte der erotischen und pornografischen Fotografie

"Wir sollten uns also hüten, das normative Regelwerk, das über Zulassung und Verbot wacht, als eherne, unverrückbare Grenze zu sehen. Vielmehr ist der Umgang mit Erotik und Pornografie immer von Mehrdeutigkeiten und Paradoxien geprägt. Je nach Land, Publikum, sozialer Schicht, medialer Öffentlichkeit und gesellschaftlichen Gebrauch der Bilder kann die Trennungslinie zwischen erlaubt und unerlaubt anders und oft sehr widersprüchlich verlaufen. Zudem ist die Unterscheidung zwischen akzeptierter Erotik und geächteter Pornografie, zwischen Zeigbaren und Unzeigbaren fliessend. Pornografisch ist eine Foto zumeist nicht per se, sondern nur dann, wenn sie durch explizite oder implizite Normen, Gesetze oder kollektive Zuschreibungen in eine gesellschaftliche Tabuzone gerückt wird. Michel Foucault hat diesen Zusammenhang Mitte der 1970er Jahre folgendermassen ausgedrückt: 'Die Geschichte der Pornografie ist eine Geschichte der Zensur. Pornografie wird gewissermassen durch die Zensur konstituiert.'"

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 10. Januar 2015 (Nr. 7, 236. Jg.), S. 23

Hartwig Isernhagen: Jonathan Swift, "Charlie Hebdo" und wir. Über Satire und Gewalt

"Der Ekel vor dem Menschen, der den eigenen Ansprüchen ans Humane nicht oder nicht mehr entspricht, produziert eine gewaltsame Zurückweisung. Der da spricht, ist der Satiriker in seiner härtesten Erscheinungsform. Sein Text ist eine Satire, die ihre Quelle in der Aggression gegen das Andere, das als schlecht erfahren wird, nicht verleugnen kann. Man muss froh sein, dass er dieses Andere nicht gleich auslöscht, totschlägt, vernichtet. Das ist aber genau der Punkt der Satire: Sie bleibt Sprache, und so lange sie Sprache bleibt, kommt es eben nicht zum Totschlag. Satire bietet der Gewalt eine Ausdrucksform und fängt sie damit ein, bevor sie Handlung werden kann. Die Karikaturen in 'Charlie Hebdo' sind ebenso wie die dänischen Mohammed-Karikaturen Versuche, eine wahrgenommene Gefährdung durch Kräfte innerhalb des Islam in aller Härte zu beantworten, ohne zu handeln."

Quelle:  http://www.nzz.ch/feuilleton/ueber-satire-und-gewalt-1.18458079

Andrew Heslop: Im Namen der Freiheit. Der Anschlag von Paris zielt auf das Fundament unserer Demokratie

"So schockierend es ist: Der Anschlag auf die Redaktion des wichtigsten wöchentlichen Satiremagazins ist kein Einzelfall, sondern ein weiteres schreckliches Beispiel der gewalttätigen Realität, der tausende von Journalisten rund um den Erdball ausgesetzt sind. Spricht man mit Journalisten und Journalistinnen in Jemen, Syrien, im Irak, in Pakistan, Mexiko und unzähligen anderen Ländern, erkennt man, dass sie mit dem Schock und der Angst, die nun auch Frankreich erschüttert haben, vertraut sind."

Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/debatte/im-namen-der-freiheit-1.18458077

Andres Wysling: Guillotine gegen Krummsäbel. Durch die Terrorwelle in Frankreich werden die Spannungen einer gespaltenen Gesellschaft verstärkt. Es droht die Gefahr, dass ein autoritäres Gesellschaftsmodell das freiheitliche verdrängt

"Die Bevölkerung Frankreichs ist geteilt in Einheimische und Zugewanderte aus Afrika beziehungsweise Nordafrika, aus den ehemaligen Kolonien - wobei die meisten 'Zugewanderten' in Frankreich aufgewachsen oder geboren und somit französische Staatsbürger sind. Sie machen über zehn Prozent der Bevölkerung aus, viele von ihnen sind Muslime, viele leben in den Sozialbau-Ghettos an den Stadträndern. Und allzu viele haben wenig Aussichten, aus diesen Ghettos herauszukommen, denn sie sind nachweislich benachteiligt bei der Stellensuche und bei der Wohnungssuche, sitzen also in einer Armutsfalle, seit dem Ausbruch der Wirtschaftskrise noch mehr als früher. 'Egalité', Chancengleichheit, gibt es in Frankreich eindeutig nicht. Die Bevölkerung in den Ghettos verzichtet zum Teil darauf, sich in die allgemeine französische Gesellschaft zu integrieren. Manche junge Leute wollen sich aus Trotz ganz bewusst nicht integrieren."

Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/guillotine-gegen-krummsaebel-1.18457987

Freitag, 9. Januar 2015

Amol Rajan: "Jailing" of asylum seekers is a stain on Britain's moral character

"After all, it is wrong to keep asylum seekers locked up for, in some cases, going on for five years before we decide if they can stay because of the pace of bureaucracy in Britain. It is hard not to feel that this is allowed to happen because of a general public hysteria about foreigners invading our island nation. But for the sake of our country's moral fibre, let alone those foreigners, we ought to put an end to this cruel practice."

Quelle: http://www.standard.co.uk/comment/comment/amol-rajan-jailing-of-asylum-seekers-is-a-stain-on-britains-moral-character-9965025.html

Donnerstag, 8. Januar 2015

Jürgen Ritte: Im Spiegel der Dekadenz. "Unterwerfung" - Michel Houllebecqs brisante Parabel auf Frankreichs Zukunft sorgt für mediale Erregung

"Es handelt sich bei Houllebecqs Zukunftsvision um - angesichts der gegenwärtigen Hysterie vielleicht ratsam daran zu erinnern - Literatur. Um eine politische Parabel, die von Überzeichnungen lebt. Houllebecq entwirft die Islamisierung des Landes nicht als finsteres Bedrohungsszenario. Sein Mohammed Ben Abbes ist kein Gotteskrieger, kein Jihadist, nicht einmal ein grimmiger Islamist. Mit dem neuen Präsidenten gelingt die EU-Erweiterung auf die Türkei und die nordafrikanischen Staaten, und dank dieser mediterranen Ausrichtung besetzt Frankreich wieder wieder ein geopolitisches Zentrum in der weltweiten Machtbalance. Auch wirtschaftspolitisch renkt sich langsam wieder alles ein: Die Frauen verschwinden aus dem Betufsleben, das schafft Arbeitsplätze. Selbst die marode Sorbonne blüht, dank den Petrodollars aus der saudischen Ölmonarchie, wieder auf. Dafür ist sie jetzt eine islamische Universität."

Quelle:  http://www.nzz.ch/aktuell/startseite/im-spiegel-der-dekadenz-1.18456403

Mittwoch, 7. Januar 2015

Milosz Matuschek: Wird's besser? Wird's schlimmer?

"Philip E. Tetlock hat Prognostiker auf den Prüfstand gestellt. Der Professor für Psychologie wertete 28 000 Aussagen von Experten aus unterschiedlichen Disziplinen über einen Zeitraum von fast zwei Jahrzehnten aus. Ergebnis: Die Experten schnitten nur knapp besser ab als der Zufall. Ebenso gut hätte man einen Schimpansen mit Dartpfeilen auf eine Scheibe mit Zukunftsszenarien werfen lassen können."

Quelle:  http://www.nzz.ch/meinung/kolumnen/wirds-besser-wirds-schlimmer-1.18455627

Elisa Hübel: "Grexit" ist in aller Munde. Griechenlands Austritt aus der Euro-Zone als Gespenst

"Auch der Syriza-Vorsitzende Alexis Tsipras äusserte sich zum Thema. Sowohl dem Regierungschef als auch dem Establishment warf er Rücksichtslosigkeit vor. Bewusst werde die Angst vor einem Verlassen der Euro-Zone geschürt und ein Staatsbanrott herbeigeredet, um die Wähler zu beeindrucken. Richtig sei, dass man nach einer Regierungsübernahme vieles verändern werde. Tsipras will Entlassungen im öffentlichen Sektor rückgängig machen und den Mindestlohn auf das Vorkrisenniveau von 751 Euro erhöhen. Nicht besteuern will er Einkommen, die unter einer Grenze von 12 000 Euro liegen, und 30 000 armen Familien verspricht er eine kostenlose Stromversorgung. Nach seinem Wahlsieg müssten die Reichen erklären, woher sie ihren Reichtum hätten."

Quelle: Neue Zürcher Zeitung, 7. Januar 2015 (Nr. 4, 236. Jg.), S. 1

Markus Bernardt: Griechen brauchen neue Europäer. Wirtschaftshilfe statt Dauerschuldendienst, Realusmus statt Grexit-Gespenster

"Zwei Drittel der Rekordfinanzhilfe von 240 Milliarden Euro werden am Ende für die Bedienung von Zinsen und die Rückzahlung von Anleihem verwendet worden sein. Nicht etwa für den Aufbau einer griechischen Wirtschaft, die dann selbst in der Lage wäre, eine Staatsschuld zu bedienen, wie andere Staaten es eben auch tun. Dies war eine bewusste Entscheidung der Kreditgeber der Troika. Es ist das Recht der politischen Linken, den Bruch mit dieser Sparpolitik zu fordern. Ob sie damit auch nur halbwegs Erfolg bei den Gläubigern hat, ist eine andere Sache."

Quelle:  http://mobil.derstandard.at/2000010052728/Griechen-brauchen-neue-Europaeer

Natalie Nougayrède: Amnesia, not immigration, is Europe's problem

"Things were never stable, nor populations fixed in stone. Europe is after all the appendix of a great and contrasted landmass - it was always meant to be a crossroads. We ma be baffled by changes, but there were times when we lived with much more diversity in our midst."

Quelle: http://www.theguardian.com/commentisfree/2015/jan/06/amnesia-immigration-europe-lesson-grim-history-future-multicultural

The Guardian: The Guardian view on the euro: running out of road. Editorial

, "The potential for flexibility in Frankfurt was, in truth, always one of three planks in an unstated grand bargain, the others being the north's acceptance of effective forebearance, and the south's swallowing of austerity. But after years of this mix, the economy ramains stagnant. The north sees no prospect of early repayment, and appalling numbers of citizens in the south are condemned to idleness. Patience is running out on all sides. The euro is no longer up against some passing financial storm but the force of European democracy.

Quelle: http://www.theguardian.com/commentisfree/2015/jan/05/guardian-view-on-the-euro-running-out-of-road

Dienstag, 6. Januar 2015

Urs Hafner: Signifikant wahr. Der Wissenschaftsbetrieb bekämpft den Betrug und fördert den Bluff

"Doch so oder so neigen die Forschenden dazu, die erhobenen Daten so lange durchzurechnen, bis sie eine signifikante Aussage erhalten. Dann gilt also zum Beispiel in der Psychologie folgender Lehrsatz: Je umsichtiger der Raucher seinen Rauchstopp plant, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass dieser gelingt. Oder: Rosenduft steigert die Gedächtnisleistung. Oder: Curry erhöht die kognitive Leistung des Gehirns bei älteren Menschen. Oder: Eltern von Töchtern haben ein höheres Scheidungsrisiko als Eltern von Söhnen. Oder ist es gerade umgekehrt?
Man merkt: Bei dieser Art von Forschung macht es zwar für den jungen Forscher und das ihn bewertende Forschungssystem einen Unterschied, ob er das erhoffte Resultat erzielt oder nicht. Wenn nicht, sitzt er ohne Ausbeute da und muss von vorn beginnen. Wenn ja, kann er sein Experiment vielleicht sogar in einem 'Top-Journal' veröffentlichten, was für seine Karriere unabdingbar ist. Die Publikation nämlich erhöht seine Chance, weitere Gelder zu erhalten. Eventuell avanciert er zu einem als 'exzellent' gelabelten Forscher, dessen Karriere weiter nach oben führt, sofern er weiterhin fleissig in dem tonangebenden Journals publiziert.
Doch im Grunde, nüchtern besehen, ist es völlig unerheblich, ob nun der Rosen- oder halt ein anderer Blumenduft welche Leistung auch immer steigert oder ob man nun eine vermüllte oder aufgeräumte Gegend was für Gedanken auch immer hervorruft. Man braucht nur einen Moment nachzudenken: Diese Forschung ist so inhasltsleer und realitätsfern, dass es gar nicht darauf ankommt, ob sie gefälscht ist oder nicht oder ob der p-Wert  erreicht worden ist oder nicht. Es kommt in dieser Forschung auf gar nichts mehr an.
Da braucht man sich dann auch nicht zu wundern, dass hier Arbeiten manipuliert werden. Die Forschenden glauben wohl selbst nicht daran, dass ihre Resultate ausserhalb des wissenschaftlichen Qualifikationssystems irgendeine Relevanz haben. Sie liefern dem Wissenschaftsbetrieb, was sie ihm liefern müssen, um neue Gelder zu erhalten, mit denen sie neue Experimente durchführen und neue Papers fabrizieren können, die kaum jemand lesen mag. Der Konkurrenzdruck, der vor allem ein Publikationsdruck ist, erlaubt kein Innehalten. Möglichst viel muss der aufstrebende Forscher publizieren, möglichst schlagende Resultate - und all dies ohne Selbstzweifel."

Quelle: http://www.nzz.ch/wissenschaft/bildung/die-wissenschaft-bekaempft-den-betrug-und-foerdert-den-bluff-1.18454508

Montag, 5. Januar 2015

Jan-Christoph Kitzler: Flüchtlingspolitik. Ein sicherer Weg nach Europa ist nicht gewollt

Frontex, die Grenzschutzagentur, die nun in Warschau Krokodilstränen vetgießt, schafft es nicht, Europas Grenzen dicht zu halten. Wie auch - angesichts von Millionen Menschen auf der Flucht direkt vor unserer Haustür. Die Abschottung Europas, sie funktioniert nicht. Und die international vernetzten und hoch professionellen Schlepperbanden haben sich damit bestens arrangiert. Sie sind Teil einer Abschiebungsindustrie, eines Systems, bei dem auch Europa gerne mal wegschaut.

Quelle: http://www.deutschlandfunk.de/fluechtlingspolitik-ein-sicherer-weg-nach-europa-ist-nicht.720.de.mhtml?dram:article_id=307732