Dienstag, 24. Mai 2022

Steffen Roski: Aus der Praxis von Dialog in Deutsch


Auf den Internetseiten der Hamburger Bücherhallen beschreibt sich das interkulturelle Sprachangebot "Dialog in Deutsch" (DiD) selbst durch folgende Merkmale: Das Angebot ist  öffentlich, kostenlos, versteht sich als politisch und religiös-weltanschaulich neutral, bietet Bildungsinhalte, nutzt die vielfältigen Kompetenzen in den Bereichen Wissen, Sprache und Medien der Hamburger Bücherhallen sowie deren bibliothekarischen Fachpersonals. Jede DiD-Gruppenstunde ist eine Übung in Toleranz und Respekt gegenüber anderen Kulturen und Lebenswelten.


Der Rahmen der Gruppenstunden ist geschützt, die Teilnehmenden finden mit ihren jeweiligen Sprachniveaus Zugang, d. h. jede*r Ankommende wird angenommen. Im Kern geht es um einen lebensweltlich-praktischen Umgang mit Sprache in einem Kontext multi-ethnischer Vielfalt. Im Vordergrund steht, Raum und Möglichkeit für Gespräch, 

Austausch, Kontaktaufnahme und Informationen für diejenigen zu bieten, die ihre erlernten Deutschkenntnisse praktisch anwenden wollen. Die DiD-Gruppengespräche sollen dazu beitragen, dass Teilnehmende sich sicherer der alltäglichen Lebenspraxis und dem gesellschaftlichen Miteinander stellen können.


Getragen wird DiD von der engagierten Zusammenarbeit von hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen der Bücherhallen Hamburg. Seit vielen Jahren ist auch der Autor in den Räumen der Hamburger Zentralbibliothek am Hühnerposten für DiD als Gruppenleiter aktiv. Mir geht es im Folgenden darum, einen Einblick in den konkreten Ablauf von DiD-Gruppenstunden, also einen Blick in die DiD-Praxis aus der individuellen Perspektive eines Ehrenamtlichen zu geben.


Im Folgenden möchte ich zunächst die Sequenz einer DiD-Gruppenstunde skizzieren, so wie sich dies für mich Woche für Woche darstellt. Abschließend sollen einige wenige sozialtheoretische Überlegungen das Dialog-in-Deutsch-Projekt in einen wissenschaftlich-gesellschaftlichen Kontext rücken.


"Du" oder "Sie"


Nachdem die Teilnehmenden Platz genommen haben und somit angekommen sind, stellt sich zuerst die Frage, ob das "Du" oder die "Sie"-Form im Verlauf der Stunde verwendet werden sollen. Meist präferieren die Teilnehmenden das "Du", insbesondere dann, wenn vorwiegend junge Erwachsene in der Mehrzahl sind. Doch lohnt es sich, das Thema Nähe und Distanz in der Wahl der Anredeform zum Gegenstand des Dialogs zu machen, was insbesondere dann geboten ist, wenn es in der Stunde etwa darum geht, darüber zu reden, worauf es ankommt, wenn ein Termin in einer offiziellen Einrichtung (Behörde, Arbeitsagentur, Jobcenter etc.) wahrzunehmen ist. Auch thematisiert werden könnten die diversen Schattierungen des "Du": welcher Unterschied besteht etwa zwischen dieser Anrede in der DiD-Gruppenstunde und ihrer Verwendung in Freundschafts- oder Intimbeziehungen. Auf jeden Fall erscheint mir wichtig, diese Frage zu Beginn jeder Stunde zu erörtern.


Überblick über den Verlauf der DiD-Gruppenstunde


Nachdem die Anredeform besprochen und gemeinsam vereinbart worden ist, gebe ich in knapper Form einen Überblick über den Verlauf der DiD-Gruppenstunde: ["Wir beginnen die Stunde mit einer Vorstellungsrunde, überlegen dann, worüber wir heute miteinander sprechen wollen, treten dann in den Dialog ein und beenden die Stunde mit einer Abschluss- oder Feedbackrunde."] Diese Struktur der DiD-Gruppenstunde erscheint zudem visuell auf dem Smartboard, wobei ich auf Wunsch von Teilnehmenden mir angewöhnt habe, bei Nomen stets auch den Artikel hinzuzufügen, sodass folgender Text erscheint: ["Willkommen zu 'Dialog in Deutsch': (1) (die) Vorstellungsrunde, (2) Themen finden, (3) (der) Dialog, (4) (die) Abschluss- oder Feedbackrunde"] Die Vorgabe dieser Grundstruktur ist allgemein genug, um in allen vier Phasen den Teilnehmenden größtmögliche Partizipationsräume zu eröffnen, dabei ist sie zugleich so präzise, dass der Ablauf der DiD-Gruppenstunde klar und transparent gemacht werden kann.


Die Vorstellungsrunde


Ein wichtiger Anker jeder DiD-Gruppenstunde stellt die Vorstellungsrunde dar. Sie bietet gleich zum Einstieg in den Gruppenprozess den Teilnehmenden je individuell die Möglichkeit, sich selbst den anderen zu präsentieren. Als Gruppenleitung beginne ich oft damit, mich selbst den Teilnehmenden vorzustellen und damit ein Muster vorzuschlagen, auf das Teilnehmende zurückgreifen können, die sich möglicherweise sprachlich noch etwas unsicher fühlen: ["Mein Name ist Steffen, ich bin 56 Jahre alt, lebe seit 10 Jahren in Hamburg, bin geschieden und habe einen Sohn, der in Köln studiert."] Der Vorstellungsrunde sollte auf jeden Fall so viel Zeit eingeräumt werden, dass alle Teilnehmenden ohne Druck etwas Persönliches von sich preisgeben können und sei es nur der Vorname und das Alter. Zumeist jedoch erwähnen die Teilnehmenden auch das Land ihrer Herkunft, was natürlich etwas Zentrales über die je eigene Identität zum Ausdruck bringt. Selbstverständlich mag sich bereits aus der Vorstellungsrunde ein Thema für den folgenden Dialog ergeben, was insbesondere dann der Fall ist, wenn in die Selbstpräsentation etwa Hobbys oder sonstige Aktivitäten Eingang finden. 


Themen finden


Zuweilen kann die Themenfindung eine Hürde in der DiD-Gruppenstunde darstellen. Für mich gilt folgende Faustregel: Eigene Gesprächsimpulse werden denjenigen von Teilnehmenden nachgeordnet. Anders ausgedrückt: Je mehr Gesprächsofferten aus dem Kreis der Teilnehmenden, desto besser! Und natürlich gibt es eine große Vielfalt solcher Impulse: Teilnehmende mögen z.B. nach einem Wort oder eine ihnen im Alltag begegnende Äußerung fragen, dessen oder deren Bedeutung unklar ist. Durchaus nicht ungewöhnlich ist es, wenn auf die Frage nach einem Themenvorschlag - aus welchen Gründen auch immer - nicht sogleich eine Reaktion aus der DiD-Gruppe kommt. Das ist erst einmal gar nicht so schlimm, weil ja in einer solchen Schweigephase bei den meisten Teilnehmenden eine Reflexion zustande kommt. Pausen und Gesprächsunterbrechungen erzeugen oft unnötigerweise bei der Gruppenleitung eine innere Unruhe. Es lohnt sich aber, dies der Gruppe gegenüber offen zu artikulieren, weil damit dann möglicherweise schon ein Thema der DiD-Gruppenstunde gefunden worden ist: ["Wenn sich Menschen, die sich nicht gut kennen, treffen, wissen sie manchmal nicht, worüber sie reden sollen. Woran kann das liegen?"] 


Der Dialog


Um an die gerade gestellte Frage anzuknüpfen: vielleicht ergibt sich ja bei der Themenfindung, dass Leute bloß übers Wetter reden, um überhaupt ein Gespräch miteinander zustande zu bringen. Nun, dann redet die DiD-Gruppe eben übers Wetter, warum denn auch nicht? Leicht ließe sich da ein Hamburg-Bezug herstellen. Auf dem Smartboard könnte etwa erscheinen: ["Hamburger sagen in der Umgangssprache manchmal: 'Dieses Schietwetter kann ich nich ab'."] Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich daraufhin ganz zwanglos ein DiD-Gruppengespräch entspannen wird. Sollte sich das Thema ["Wetter"] inhaltlich erschöpft haben, lässt sich dessen sprachliches Potenzial im Weiteren nutzen: ["In formaler Sprache würde man sagen: 'Wenn das Wetter dauernd schlecht ist, dann mag ich das nicht.'"] Ich bin immer wieder überrascht, wie rasant eine DiD-Gruppenstunde vorüber geht. Das Einkuppeln einer sprachlichen Referenzebene - das kann, wie im Beispiel, eine formalsprachliche Übersetzung eines alltagssprachlichen Ausdrucks sein; denkbar wäre auch die Erläuterung einer grammatischen Struktur oder Grundregel etc. - erlaubt, das thematisch-inhaltlich Diskutierte im komplexen Gewebe der Sprache zu verankern. 


Die Abschluss- oder Feedbackrunde 


Je nach Teilnehmendenzahl räume ich zum Ende der DiD-Gruppenstunde genügend Zeit für eine Rückmeldung ein: ["Wie hat dir die heutige Stunde gefallen?"] Die Abschluss- oder Feedbackrunde gibt den Teilnehmenden die Möglichkeit, rückzumelden, was sie gegebenenfalls aus der Stunde mitgenommen haben. Gab es Kritisches anzumerken? Hat sich die Gruppenleitung klar und verständlich ausgedrückt? Somit ist für mich diese letzte Phase der DiD-Gruppenstunde zugleich der Einstieg in die Reflexion und Selbstevaluation. Beispielsweise habe ich aus einer solchen Abschluss- oder Feedbackrunde die Anregung mitgenommen, Nomen nicht isoliert anzuschreiben, sondern stets den ihnen zugehörigen bestimmten Artikel hinzuzufügen. Eine gute Anregung, wie ich finde!


Sozialtheorie und Dialog in Deutsch 


Gewiss, Dialog-in-Deutsch genügt sich so wie das Projekt konzipiert ist, völlig selbst. Dennoch mag es erhellend sein, die Praxis der DiD-Gruppenstunde in den Kontext gegenwärtiger sozialtheoretischer Debatten zu stellen. Als Ausgangspunkt dient mir dabei folgende Publikation: [Bruno Latour, An Inquiry into Modes of Existence. An Anthropology of the Moderns, Cambridge, Mass.: Harvard UP, 2013] 


Folgende Gesichtspunkte erscheinen mir dabei interessant:


  1. DiD ist ohne Anbindung an eine Organisation [ORG] gar nicht denkbar. Die Bücherhallen Hamburg bieten allein in der Zentralbibliothek über 28.000 Medien in über 27 Sprachen und halten mehr als 7.000 Zeitschriften und Zeitungen aus über 100 Ländern in mehr als 60 Sprachen vor. Dazu kommen vielfältige eLearning- und Online-Sprachkurse, Streaming-Angebote, eBooks, Lehrmaterialien für "Deutsch als Zweitsprache" etc. Die Welt des Wissens, der Bildung und der Wissenschaft [REF] ist entweder physisch oder via Doppelklick [DK] verfügbar. In der Zentralbibliothek steht darüber hinaus ein offenes WLAN zur Verfügung, das die Teilnehmenden der DiD-Gruppenstunden über ihre Smartphones [DK] gern nutzen. Ein Smartboard erlaubt der Gruppenleitung auf das Internet [DK] zuzugreifen und Ergebnisse von Recherchen zu visualisieren und gegebenenfalls weiter zu be- und verarbeiten. DiD stellt somit ein Interaktionsgeschehen im Rahmen eines organisierten Sozialsystems [ORG] dar. Die in diesem Kontext gemachten Erfahrungen fließen wiederum in verschiedenste gesellschaftliche Zusammenhänge ein, wofür der vorliegende Text selbst wiederum ein Beispiel darstellt. Und alles Gesellschaftliche wiederum kann Woche für Woche Thema der DiD-Gruppenstunden werden [Interaktion|Organisation|Gesellschaft; Niklas Luhmann]. Dialog in Deutsch veranschaulicht die Dualität von Handlung einerseits und Struktur andererseits auf sinnfällige Weise [Theorie der Strukturation; Anthony Giddens].

  2. Nicht vergessen werden sollte, dass ein Projekt wie DiD für Menschen, die eine öffentliche Bibliothek [ORG, REF] eher nicht oder sehr selten betreten, eine Art Türöffner darstellen kann. In der Sprache Latours: Der Strom der Gewohnheiten [GEW] wird mit dem Betreten der Bibliothek [ORG, REF], dem Eintritt in den DiD-Gruppenraum und der folgenden Teilnahme an der DiD-Gruppenstunde unterbrochen, was sich bei den Teilnehmenden bemerkbar macht ["Hiatus"]. Die DiD-Gruppenstunde wiederum stellt einen sinnhaften Handlungsverlauf dar, der über riskante Diskontinuitäten hinweg - als Beispiel sei das Finden eines geeigneten Gesprächsthemas (s.o.) genannt - eine wertorientierte Kontinuität erlangt ["Trajektorie"]. Eine DiD-Gruppenstunde ergibt idealerweise einen gerichteten Handlungsbogen (s.d. was oben über den Ablauf der DiD-Gruppenstunde gesagt worden ist), der anhand von spezifischen Maßstäben geprüft und bewertet wird. Dies geschieht am Ende einer jeden DiD-Gruppenstunde in der Abschluss- oder Feedbackrunde ["Gelingens- und Misslingensbedingungen"].

  3. Insgesamt stellt eine DiD-Gruppenstunde einen spezifischen Wertschöpfungsprozess dar und bringt im Erfolgsfall Entitäten ["zu instaurierende Wesen"] hervor, die von den Teilnehmenden und Gruppenleitungen in ihre jeweiligen Lebenswelten mitgenommen werden können und die ohne die Teilnahme an einer DiD-Gruppe so nicht zustande gekommen wären. Dies können z.B. neue Gewohnheiten [GEW], Informationen aus Politik [POL], Recht [LAW] und Religion [REL] sein. Auch ist denkbar, dass Attachments oder Bindungen [BIN] über die Teilnahme an Dialog in Deutsch entstehen und moralische Codes [MOR], Werte und Normen in Frage gestellt, vielleicht gar modifiziert werden. Jedenfalls ist nicht ausgeschlossen, dass die Teilnahme an einer DiD-Gruppenstunde die jeweiligen Lebenswelten auf eine bestimmte Weise verändern und ergänzen mögen ["Alterierung"], indem (1) Handlungen koordiniert werden, (2) Figuren erfunden [FIK] oder (3) Bindungen [BIN] hergestellt werden. [Beispiel für (1): Wie finde ich mich in Hamburgs ÖPNV zurecht?; Beispiel für (2): In der DiD-Gruppenstunde wurde über Aschenputtel gesprochen; Beispiel für (3): Ich habe über DiD eine*n Kunstinteressierte*n kennengelernt und es geht gemeinsam kommende Woche in die Sammlung Falckenberg]

  4. Insgesamt lässt sich am Projekt Dialog in Deutsch der Charakter eines Netzwerks [NET] auf sinnfällige Weise exemplifizieren: selbst ein Netzwerk [NET] im Kontext der Organisationsstruktur [ORG, REF] Bücherhallen trägt DiD Woche für Woche durch gerichtete Vernetzungsvorgänge (DiD-Gruppenstunden) zur Entfaltung vielfältiger Netzwerke [NET] in den diversen Lebenswelten der an DiD Teilnehmenden bei. Und diese Vielfalt an Netzwerken [NET] wiederum wirkt stets aufs Neue und in oft überraschender Weise zurück auf jede DiD-Gruppenstunde.









Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.

Samstag, 3. April 2021

Steffen Roski: Was jetzt für den BvB wichtig ist







Gerade steht es in der Halbzeitpause des wichtigen Spiels gegen Eintracht Frankfurt 1:1. Mats Hummels hat den psychologisch wichtigen Ausgleichstreffer kurz vor dem Pausenpfiff erzielt.

Ausnahmsweise einmal auf meinem Blog etwas zum Thema Fußball. Dass mein Herz Schwarz-Gelb schlägt, ist damit hier auch klargestellt!

Der Grund meiner kommentierenden Kurzintervention indes steht in Zusammenhang mit: Corona. 

Wahrscheinlich wird es im Sommer zum Transfer des norwegischen Goalgetters Erling Haaland kommen. Wohin auch immer, die Ablösesumme dürfte mehr als 150 Millionen Euro betragen.

Angesichts coronabedingt entgangener Zuschauereinnahmen wird dieser Transfer für den Verein wirtschaftlich notwendig werden. 

Für mich ist der entscheidende "Transfer" sowieso dieser: "Aki" Watzke bleibt in seiner Chef-Funktion dem BvB bis 2025 erhalten! 

Bitte nicht falsch verstehen: von der politischen Einstellung her trennen mich wahrlich Welten von Hans-Joachim Watzke. Jedoch bewundere ich eines an ihm: Die bedingungslose Hingabe an sein Lebenswerk Borussia Dortmund!

Der Blick ins westliche Herne lehrt: nichts ist jetzt wichtiger als Vereinstreue, wirtschaftlicher Sachverstand und die Bereitschaft, Opfer für die Nummer Eins im Revier zu bringen. All das vereint sich in der Person Aki Watzke.

Aus Fan-Sicht heißt das dann: ökonomisch notwendige Entscheidungen zu akzeptieren, den langen Weg des Aufbaus einer Meistermannschaft mitzugehen und nicht zu verzagen, wenn es zwischendurch mal nicht so laufen sollte!

Vom neuen Coach Marco Rose erhoffe ich mir Power-Fußball und eine aggressiv-offensive Spielweise mit jungen, hungrigen Angreifern.

Auf denn, Borussia, kämpfen und siegen!

Freitag, 27. November 2020

Steffen Roski: Digitalisierung, Digitalität, Digitalismus. Digitale Bildung in der Corona-Krise - ein Trend-Report



Schule und Bildung sind derzeit in den Brennpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Insgesamt stellt der Bund in den nächsten fünf Jahren 5 Mrd. Euro für die Digitalisierung von Schulen zur Verfügung. Die Länder tragen weitere 500 Millionen Euro bei. Der "Digitalpakt Schule" soll den Aufbau digitaler Lerninfrastrukturen fördern, Schulen sollen also mit leistungsfähigen Netzen und moderner Präsentationstechnik ausgestattet werden. Förderungsschwerpunkte sind dabei u.a. die Einrichtung von Lernplattformen, Cloud-Angeboten und WLAN-Netzen, die Anschaffung von interaktiven Tafeln und anderen digitalen Arbeitsgeräten, wie beispielsweise Laptops und Tablets, sowie die Kosten für die Administration und Wartung der Systeme. Für landesweite ebenso wie für länderübergreifende Vorhaben seien jeweils fünf Prozent der Fördermittel vorgesehen. Im Gegenzug haben die Länder sich verpflichtet, die Aus- und Fortbildung von Lehrerinnen und Lehrern, sowie ihre Lehrpläne weiterzuentwickeln. Besonders im Vordergrund stehen soll dabei auch das Verstehen der digitalen Welt. Auf Grundlage der Lehrpläne soll dann die entsprechende digitale Infrastruktur eingerichtet werden.


Die Corona-Krise hat jenen Auftrieb gegeben, die sich bereits seit vielen Jahren für eine "Digitalisierung" der Bildung aussprechen und einsetzen. Dass es in den Gemeinschaften professioneller Pädagogen über dies Thema eine ebenso lange Debatte über die Vor- und Nachteile dieses Prozesses gibt, liegt auf der Hand. Wirklich wahrheitsfähig sind Ergebnisse pädagogischer Forschung eher selten. So ist das Gesamtbild entsprechend uneinheitlich. Es gibt Schulen sowie Fachbereiche von Hochschulen, die auch unabhängig von den Entwicklungen in der Corona-Krise bereits seit Langem praktizieren, was geschulte Lehrkräfte mit dem Begriff "Digitalität" bezeichnen würden: eine eingeübte Unterrichtspraxis nämlich, die im Grunde bereits vorweggenommen hat, was die Bundesregierung mit dem "Digitalpakt Schule" nun flächendeckend anzustoßen gedenkt. 


Ich möchte vorschlagen, das Begriffspaar "Digitalisierung" / "Digitalität" zu einer Trias zu erweitern und mich für eine Anknüpfung dieser beiden Begriffe an Entwicklungen in der Ökonomie stark zu machen. Mit "Digitalismus" möchte ich die strukturelle Kopplung technologischer Entwicklungen an Profitinteressen von Unternehmen, die in der Digitalwirtschaft operieren, bezeichnen. Über Digitalisierung und Digitalität zu sprechen, heißt dann immer auch: diese strukturelle Kopplung mitzudenken. Vor diesem Hintergrund möchte ich im Folgenden aufzeigen, wie Digitalismus vorangetrieben wird, welche Organisationen und Netzwerke bestehen und die eine oder andere Überlegung darüber anfügen, welche gesellschaftlichen Folgen aus Digitalismusstrategien resultieren mögen.


US-Aktivitäten


Mit einem Volumen von fünf Billionen US-Dollar ist der Bildungssektor der zweitgrößte der Weltwirtschaft. Dies jedenfalls lehrt ein Blick auf die Seite der Bertelsmann Education Group (1). Mit dieser 2015 gegründeten Unternehmensgruppe nutzt Bertelsmann langjährige Branchenkenntnisse sowie stabile, weit gefächerte internationale Netzwerke und stellt Kapital dafür bereit, Bildungsunternehmen zu kreieren. Mit den vorwiegend im US-amerikanischen Markt aktiven Bildungsanbietern Udacity, Relias und HotChalk sind bislang derer drei Bestandteil der Education Group.


Das US-Engagement der Bertelsmann-Tochter ist vor dem Hintergrund des sehr ausgeprägt privatwirtschaftlichen Bildungssektors in den Vereinigten Staaten verständlich, wo sich, Kevin Carey (2) zufolge, eine schleichende Übernahme des Systems der höheren Bildung ereignet hat. Online erworbene Hochschulabschlüsse sind an vielen US-Hochschulen genauso teuer wie jene, die im Präsenzbetrieb erlangt werden können. So kosten beispielsweise die Online- als auch die Campus-Master-Abschlüsse im Bereich Soziale Arbeit an der University of Southern California jeweils exakt 107.484 Dollar. Carey beobachtet einen harten Konkurrenzkampf sogenannter Online Program Managers (OPMs), zu denen auch die Bertelsmann-Übernahme HotChalk zählt: "(P)ublishing giants such as Wiley, Pearson and Bertelsmann have snapped up OPMs for hundreds of millions of dollars. One analyst describes the current state of the industry as 'a scene out of "Mad Max," a chase through these dystopian hinterlands with obstacles in the way and people attacking each other.'" Der relativ offene, kaum regulierte US-Bildungsmarkt bietet OPMs lukrative Aussichten. Wer sich einmal durchgesetzt hat, steht vor profitablen Liaisons mit anerkannten, vertrauenswürdigen, reputierlichen akademischen Organisationen - und es wird dann zunehmend schwierig zu entscheiden, wo jeweils im Strange Loop akademisches Prestige und kapitalistischer Profit beginnt oder endet.


Der Bertelsmann-Konzern ist seit langem global aufgestellt: bereits zu Beginn der 2000er Jahre betrug der Auslandsanteil am Gesamtumsatz 69 Prozent (3). Die erst neu gegründete Education Group ist einer von heute acht Unternehmensbereichen. Für den Bildungsbereich bedeutsam sind darüber hinaus die RTL Group (Fernsehen und Radio), Gruner + Jahr (Zeitschriften) sowie Penguin Random House, der weltweit größte Publikumsverlag für Bücher. Bertelsmann kontrolliert damit mindestens ein Viertel der weltweiten Buchproduktion. Unter dem Vorsitz der Gruner + Jahr-CEO Julia Jäkel steuert die Bertelsmann Content Alliance seit Februar 2019 die Zusammenarbeit aller Inhaltegeschäfte von Bertelsmann. Somit ist z.B. für die Education Group der Zugriff auf alle bildungsbezogenen Contents aus der riesigen Schatzkammer des Medienriesens aus dem ost-westfälischen Gütersloh sichergestellt. 


Weltweit differieren Bildungssysteme enorm, dasjenige der USA unterscheidet sich etwa vom deutschen mit seinem Staatsbezug und der sprichwörtlichen Bildungshoheit der Länder in vielerlei Hinsichten, die "dystopian hinterlands" durch die die Bertelsmann Education Group in den Vereinigten Staaten Jagd auf Konkurrenten macht, sind für die gegenwärtige Bildungslandschaft der Bundesrepublik nicht bestimmend und typisch. So beklagt etwa der Leiter für Bildungsforschung am mmb-Institut, einer "Denkwerkstatt und Impulsgeber für die Innovation von Bildung und Lernen", Lutz Goertz (4), dass von einem Aufblühen der E-Learning-Branche in der Corona-Krise, auch angesichts des mit dem "Digitalpakt Schule" angestoßenen "Digital Turns" keine Rede sein könne: "Vielmehr spaltet die Krise die digitale Bildungswirtschaft in nahezu gleich viele Gewinner und Verlierer – wobei für die meisten derzeit noch keine nennenswerte Veränderung wahrnehmbar ist." 


Digitale Bildung - ein "Muss"!


Der Digitalisierungsprozess dürfte schwerlich in Gang kommen, wenn den meisten Kindern die notwendige Basisausstattung fehlt. In einem kürzlich gesendeten Interview mit dem Deutschlandfunk sieht der Direktor für Bildung bei der OECD, Andreas Schleicher (5), Deutschland schlecht aufgestellt: "Die Digitalisierung bietet uns ja Möglichkeiten, wirklich auch ganz anders zu lernen. Lernen ist kein Ort, Lernen ist eine Aktivität und die Digitalisierung kann das in vielerlei Hinsicht unterstützen, und ich denke, da ist noch sehr viel zu tun. Bei der technischen Ausstattung hat der Digitalpakt jetzt einen ersten Anfang gemacht, aber da braucht man wirklich gute Plattformen, da braucht man Unterrichtsmaterialien, die auch wirklich in die Lehrpläne voll integriert sind." Für Bundesbildungsministerin Anja Karliczek stellt sich kein Abwägungsproblem, ganz im Gegenteil: "Denn digitale Bildung sei 'kein Nice-to-have, sondern ein Must-have'." (6) Margaritis Schinas (EU-Kommissionsvize), Mariya Gabriel (Kommissarin für Innovation und Jugend) und die für Digitales zuständige EU-Kommissarin Margrethe Vestager lassen sich ganz ähnlich vernehmen und betonen, die Corona-Krise hätte den Fernunterricht über das Internet ins Zentrum der Bildungspraxis gerückt, es gebe daher den „dringenden Bedarf“, die digitale Bildung zu verbessern – auch in „strategischer und langfristiger“ Hinsicht. (7) Zivilgesellschaftliche Akteure haben den Ball längst aufgenommen. So fordert die Gründerin des Vereins Digitale Bildung für alle e.V., Verena Pausder (8), aktuell in einem Interview mit dem Deutschlandfunk Positivlisten für jene Lernplattformen, die an den Schulen im Fern- oder Hybridunterricht genutzt werden dürfen: "Jetzt zu sagen, was braucht jede Schule, und sie kriegt ein Budget, eine Art Corona-Budget, um jetzt mobile Hotspots, Geräte, Inhalte, Plattformen bezahlen zu können, die sie jetzt besonders in diesen nächsten Monaten braucht, das ist, glaube ich, der Weg nach vorne."


Im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM-Bildungsmonitor 2020) hat das Institut der deutschen Wirtschaft Köln im August 2020 eine Studie mit dem Titel "Schulische Bildung in Zeiten der Corona-Krise" (9) verfasst. Für die Digitalisierung der schulischen Bildung wird das Ingangsetzen eines "Change-Prozesses" gefordert: Erstens sei die Dringlichkeit des Wandels anzuerkennen, was konkret heißen würde, Bund, Länder und Kommunen davon zu überzeugen, künftig nicht einfach zur Präsenzlehre zurückzukehren, sondern über den "Digitalpakt Schule" hinaus die Digitalisierung der Bildung voranzutreiben. Dies bedeute im Weiteren, zweitens, Koalitionen zu schmieden sowie Visionen zu entwickeln und zu kommunizieren: "Wichtig ist es dabei, die Erwartungen und Zielsetzungen auch während der Pandemie­-Zeit durch Schulbehörden und Ministerien transparent und unterstützend zu kommunizieren." In einem dritten Schritt gelte es Hindernisse aus dem Weg zu räumen und retardierende Kräfte zu verringern. So wird in der Studie z.B. vorgeschlagen, die Lernmittelfreiheit auf digitale Endgeräte auszuweiten. Viertens sollten kurzfristige Erfolge im Change-Prozess durch Best-Practice-Beispiele sichtbar gemacht werden: "Beispiele finden sich bereits heute durch die Auszeichnungen von MINT­Schulen, MINT­EC­Schulen, smart schools oder digitale Schulen durch verschiedene zivilgesellschaftliche Akteure." In einem fünften Schritt seien weitere Veränderungen einzuleiten. Dies wird von den Autoren der Studie in einer klaren digitalwirtschaftlichen, eben digitalistischen Diktion dargestellt: "Wichtig ist es darüber hinaus, die Potenziale der Digitalisierung in einem nächsten Schritt zu nutzen. So ergeben sich bei einer mit hohen Fixkosten verbundenen Entwicklung von digitalen interaktiven Lerntools oder Lernplattformen gewaltige Potenziale der Skalierung, da die Grenzkosten der Einbeziehung eines weiteren Nutzers nahe Null sind." Schließlich gelte es, sechstens, die Kultur dauerhaft im Sinne gelebter und geübter Digitalität zu ändern. 


Die Bertelsmann Stiftung


"Der politische Wille ist erfreulich ... Die Umsetzung ist allerdings mangelhaft, denn Länderproporz schlägt einmal mehr Bedürftigkeit", rügt Jörg Dräger (10) in einem Gastbeitrag zum zwd-Politikmagazin, wiedergegeben auf der Projektseite "Digitalisierung der Bildung" der Bertelsmann Stiftung. Dräger, einst Senator für Wissenschaft und Forschung sowie zeitweise auch Senator für Gesundheit und Verbraucherschutz der Freien und Hansestadt Hamburg, ist Mitglied des Vorstands der Bertelsmann Stiftung sowie Geschäftsführer des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE), an dem die Bertelsmann Stiftung laut dem im Bundesanzeiger geführten Unternehmensregister 90 Prozent der Anteile hält. 


Laut Wikipedia (11) lässt sich summarisch über die Bertelsmann Stiftung festhalten: Die Bertelsmann Stiftung ist eine selbständige Stiftung des privaten Rechts mit Sitz in Gütersloh, hält seit 1993 die Mehrheit der Anteile des Bertelsmannkonzerns, untersteht der Aufsicht durch die Bezirksregierung Detmold und verfolgt ausschließlich und unmittelbar steuerbegünstigte Zwecke im Sinne der Abgabenordnung. Derzeit ist der Vorstand der Bertelsmann Stiftung mit Ralph Heck (Vorsitzender), Liz Mohn (stellvertretende Vorsitzende), Brigitte Mohn und Jörg Dräger besetzt. 


Seit ihrer Gründung 1977 hat die Bertelsmann Stiftung mehr als 1,5 Milliarden Euro für gemeinnützige Arbeit zur Verfügung gestellt. Im Geschäftsjahr 2019 beliefen sich die Ausgaben auf rund 90,5 Millionen Euro. Die Bertelsmann Stiftung arbeitet rein operativ und vergibt keine Stipendien. Sie investiert ihre Mittel in Projekte, die sie selbst initiiert, konzipiert und umsetzt. Beispielsweise erstellt die Bertelsmann Stiftung Studien und Rankings, organisiert Modellprojekte, vermittelt Wissen und Kompetenzen, veranstaltet Kongresse und vergibt Preise. Wichtige Arbeitsfelder sind die Bereiche Bildung, Demokratie, Europa, Gesundheit, Werte und Wirtschaft, sowie Megatrends wie beispielsweise der demografische Wandel. Aufmerksamkeit erregte die Gründung des Centrums für Hochschulentwicklung (CHE GmbH) durch die Bertelsmann Stiftung und die Stiftung zur Förderung der Hochschulrektorenkonferenz im Jahr 1994. Die Einrichtung versteht sich als „Reformwerkstatt“ für das deutsche Hochschulwesen. Die Bertelsmann Stiftung ist parteipolitisch neutral. Sie arbeitet regional, national und international. Auch digitales Lernen ist bis heute ein wichtiges Thema, da es als Lösung für verschiedene strukturelle Probleme im Bildungsbereich angesehen wird. Einen Überblick bietet ein gemeinsam mit dem CHE betriebenes Blog "Digitalisierung der Bildung", auf dem die Bertelsmann Stiftung die Aktivitäten von der Schule bis hin zum Lebenslangen Lernen bündelt. (12)


Im Jahr 2017, längst vor der Corona-Krise, beklagte der Verband der Bildungsmedien (VBM) (13), an dem alle in Deutschland einschlägigen Schulbuchverlage beteiligt sind, den Mangel einer konkreten, bedarfsgerechten Umsetzung der digitalen Bildung und bezog sich dabei auf dem im selben Jahr von der Bertelsmann Stiftung veröffentlichten "Forderungskatalog für ein digitales Deutschland". (14) Diese Forderungen richten sich nach außen - an eine interessierte Öffentlichkeit, die Zivilgesellschaft, Politik und Ministerialbürokratie. Zugleich fügen sie sich ein in die strategischen Planungen des Bertelsmann-Konzerns sowie in die Interessenkonstellationen der Digitalwirtschaft insgesamt. So verkündete 2015 Bertelsmann-Vorstand Thomas Rabe gegenüber der Wochenzeitung Freitag: "Wir wollen den Bildungsbereich zu einer tragenden Säule des 'neuen Bertelsmann' entwickeln." (15) Seitdem hat die Bertelsmann Stiftung ihre konkreten Forderungen vermittelt über weitere Projekte, vielerlei Projektpartnerschaften sowie Publikationen an Politik und Öffentlichkeit adressiert. 


Der gemeinsam mit dem Projektpartner mmb-Institut - Gesellschaft für Medien- und Kompetenzforschung entwickelte "Monitor Digitale Bildung" (16) soll der Bertelsmann Stiftung die "empirische Datenbasis über alle Bereiche des digitalen Lernens hinweg" liefern, von der Primarstufe, über die berufliche Bildung bis hin zu den Hochschulen. (17) Expertisen des unabhängigen und privaten mmb-Instituts werden beauftragt von öffentlichen Institutionen wie Ministerien, die NRW-Staatskanzlei, Kommunen oder Bundesinstitute, Verbände, Vereine und Stiftungen, darunter auch die Bertelsmann Stiftung und das CHE, Bildungseinrichtungen und Akademien sowie privatwirtschaftliche Unternehmen. Diese Projektpartnerschaft hält bereits über einen längeren Zeitraum: bereits 2014 beauftragte die Bertelsmann Stiftung mmb mit der Studie "Digitales Lernen adaptiv. Technische und didaktische Potenziale für die Weiterbildung der Zukunft". Als Mitherausgeberin tritt die Bertelsmann Stiftung zudem bei den jährlichen Lagebildern zur digitalen Gesellschaft, dem "Digital-Index" der Initiative D21, in Erscheinung, wo denn auch im aktuellen Bericht 2020 die versäumte Digitalisierung des Schulbetriebs beklagt wird. (18)


Leitkonferenz ist das "Forum Bildung Digitalisierung" mit seinen Jahrestreffen. Dabei handelt es sich um eine Initiative der Bertelsmann Stiftung, an der zudem mit der Deutsche Telekom Stiftung, Dieter Schwarz Stiftung, Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, Robert Bosch Stiftung, Siemens Stiftung, Stiftung Mercator und Joachim Herz Stiftung sieben weitere philanthropische Akteure beteiligt sind. Das Forum tritt zugleich als eingetragener Verein mit ca. 40 Mitgliedsschulen bundesweit in Erscheinung. Der auf den Seiten des Forums vorzufindende Appell lässt an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig: "Lasst uns Lehrkräfte durch eigene Kooperation, Risikobereitschaft, offene Fehlerkultur und Eigenverantwortung ein Vorbild sein in dieser Zeit, probieren wir Neues aus und vertrauen wir unseren Schülerinnen und Schülern! Dann sehen wir am Ende möglicherweise auf diese Zeit und die flächendeckenden Schulschließungen als eine Zeit des digitalen Wandels und der pragmatischen Innovation zurück." (19)


Während über Forderungskataloge und Projektpartnerschaften mit Bildungsinstituten politisch-administrative Entscheider beeinflusst werden sollen, geht die Bertelsmann Stiftung z.B. mit dem "Forum Bildung Digitalisierung" den Weg gleichsam "von unten" an und versucht, zivilgesellschaftliche Akteure, Einzelschulen sowie Lehrerinnen und Lehrer einzubinden. Dies erscheint vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen in der Corona-Krise viel versprechend, sind eben doch individuelle Bildungseinrichtungen von möglichen Schließungen konkret betroffen, muss doch an jeder einzelnen Schule ausgelotet werden, inwieweit Fern- und Hybridunterricht technisch und organisatorisch ermöglicht werden können. Auch nach den Erfahrungen des ersten, "harten" Lockdowns dürfte auch jetzt, im November 2020 gelten: Probleme und Unsicherheiten mit dem Thema Digitalisierung bestehen auch gegenwärtig an den Schulen weiter!


Die Bildung zivilgesellschaftlicher Netzwerke erscheint insbesondere vor dem Hintergrund der föderalen Struktur des bundesdeutschen Bildungssektors ein nachhaltiger strategischer Ansatz zu sein, denn es bedarf eines langen Atems. Die Bertelsmann Stiftung ist sich vollkommen darüber im Klaren, dass ein Top-Down-Ansatz allein nicht ausreichen wird, in jedem Bundesland aufs Neue Ministerien zu überzeugen und Ansätze wie eben jene zur Digitalisierung der Bildung jeweils immer wieder neu zu verhandeln. Mit dem aus den USA übernommenen Bildungsprogramm Teach First hat sich die Bertelsmann Stiftung "auf den Weg gemacht und erobert Bundesland für Bundesland". (20) Der Ansatz ist so einfach wie pragmatisch: "Das Programm schickt gut ausgebildete Uni-Absolventen an sogenannte Brennpunktschulen. Dort unterstützen sie die Lehrer im Unterricht, fördern individuell am Nachmittag, holen spannende Projekte an die Schulen." Wer sich einmal für Teach First Deutschland eingesetzt hat, erhält die Möglichkeit, sich in einem "Alumni-Netzwerk" für bessere Bildungschancen stark zu machen. Am Rande sei erwähnt, dass mit Elke Büdenbender die Frau des amtierenden Bundespräsidenten als "Schirmherrin" gewonnen werden konnte. Das deutsche Programm ist gleichzeitig Bestandteil des globalen Netzwerks "Teach For All" mit weltweit über 50 Länderorganisationen.


Digitalismus


Welche gesellschaftlichen Folgen lassen sich aus dieser Aufstellung ableiten? Zunächst einmal ist es wichtig festzuhalten, dass nicht allein der Bertelsmann Konzern und die Bertelsmann Stiftung bestrebt sind, Digitalisierungsprozesse im Bildungsbereich voranzutreiben. Als ein weiteres Beispiel wären etwa die Deutsche Telekom oder Vodafone anzufügen. Die Deutsche Telekom Stiftung und die Vodafone Stiftung beteiligen sich wie andere Konzerne und Plattformen der Digitalwirtschaft auch, Google und Facebook etwa, an diversen Foren, Konferenzen und Initiativen. Ich habe den Fokus deshalb auf Bertelsmann und die Bertelsmann Stiftung gerichtet, weil das Gütersloher Unternehmen seit langem bereits mit besonderer Ausdauer, Weitsicht und durch erheblichen Kapitaleinsatz sowohl gemeinnützige als auch kommerzielle Interessen verfolgt. Konzern (etwa über die Zeitschriftensparte Gruner + Jahr, die Fernsehkanäle der RTL Group wie RTL, Vox und n-tv) und Stiftung (Einbindung in vielfältige Netzwerke politisch-administrativer Entscheider und der Zivilgesellschaft, Publikation von Expertisen und wissenschaftlichen Studien und Empfehlungen) verfügen über ein beachtliches Potential der Beeinflussung der öffentlichen Meinung, was in dieser Konstellation in der Bundesrepublik seines Gleichen sucht. Es ist der sprichwörtliche lange Atem des Medienriesen, sich seit jeher in zuweilen mühevoller und zäher Detailarbeit dem Gebiet der digitalen Bildung gewidmet zu haben, der jetzt angesichts der aus der Corona-Krise abgeleiteten Notwendigkeiten heraus beginnt, sich für den Konzern sowie die Digitalwirtschaft insgesamt bezahlt zu machen. Eines ist gewiss nicht zu erwarten: ein Lockerlassen dieser Bemühungen nämlich!


Wohin die Entwicklung steuern könnte, ist zu erahnen, wenn man ein Interview liest, das die F.A.Z. mit dem Lehrer Gottfried Böhme (21) geführt hat. Böhme zitiert dort eine Forderung des Bertelsmann Stiftungsvorstands Jörg Dräger. Dieser propagiere in seinem Buch "Die digitale Bildungsrevolution" eine "School of one", "in der Lernprogramme auf den einzelnen Schüler zugeschnitten werden, was den Klassenverband zerstört." Das Poröswerden der Institution Schulklasse ist nun tatsächlich vor dem Hintergrund der Corona-Krise ein beobachtbares Phänomen. Julia Reda (22) berichtet von Überlegungen der Deutschen Telekom, einen speziellen niedrigen, von den Schulträgern zu übernehmenden Bildungstarif vorzusehen, um Schülern aus finanzarmen Haushalten die Teilnahme am Fernunterricht zu ermöglichen. Dabei soll der Zugang auf eine Handvoll vom Schulträger vorkonfigurierter Lernangebote limitiert sein. Reda befürchtet die Heraufkunft eines "Zwei-Klassen-Internets", sozusagen eines optional begrenzten Bildungs-Intranets für die weniger Begüterten. Ähnlich wie dies für den Nachhilfeunterricht in der Vergangenheit galt könnte sich künftig ein neuer Markt für entsprechend exklusive Online-Tools und -Plattformen entwickeln, der letztlich das Habenwollen von mehr und besserer Digitalbildung über das Medium Geld regelt. Sowohl Lehrer Böhme als auch Netzaktivistin Reda haben zudem erhebliche Datenschutzbedenken was Schulclouds (im F.A.Z.-Interview wird jene der Hasso-Plattner-Stiftung erwähnt) und Sonder-Bildungstarife angeht. So fasst Reda für das geplante Telekom-Angebot ihre Bedenken so zusammen: "Gerade bei Kindern und Jugendlichen ist der Datenschutz besonders wichtig, es ist also unvorstellbar, dass die Telekom mittels Deep Packet Inspection deren Surfverhalten überwachen können soll, nur um sicherzustellen, dass sie ausschließlich Bildungsangebote aufsuchen. Auch wenn ein Schulträger die Telekom anweist, welche Inhalte gesperrt und welche durchgeleitet werden sollen, wäre eine solche Überwachung des Datenverkehrs durch die Telekom ohne explizite Gesetzesgrundlage europarechtswidrig."


Wie die digitale Bildungslandschaft in zehn Jahren aussehen wird, lässt sich natürlich nicht sagen. Erste Konturen des Digitalismus jedenfalls sind bereits heute erkennbar!


(P.S. Mit dem Kauf der Verlagsgruppe Simon&Schuster verkauft Bertelsmann jetzt in den USA jedes dritte Buch!) (23)




  1. https://www.bertelsmann.de/bereiche/bertelsmann-education-group/#st-1, entnommen am: 16.11.2020, 13:18 Uhr MEZ

  2. https://www.huffpost.com/highline/article/capitalist-takeover-college/?guccounter=1&guce_referrer=aHR0cHM6Ly93d3cuZ29vZ2xlLmNvbS8&guce_referrer_sig=AQAAAKQRjN1dpVPoOKZuwxJx8cXASV2tnT-52knPa1MeaRQjtliZt0uF6m043KBmFTIkkmgbldqOZOl49VA7fOrgpIhiBekO5HyEhC1uHLiNvlLdojzYIzgmUS8OXKLh3pVauXOqXIEy6qJqLXqnvOV2KJDEPuItO9dsF-qpYtI2kQrg, entnommen am: 16.11.2020, 13:51 MEZ

  3. Insa Sjurts, "Think global, act local - Internationalisierungsstrategien deutscher Medienkonzerne", in: APuZ B 12-13/2004, S. 22-29 (S. 22)

  4. https://www.wb-web.de/aktuelles/die-digitale-bildungswirtschaft-in-zeiten-von-corona-profiteur-oder-opfer.html, entnommen am: 17.11.2020, 14:06 MEZ

  5. https://www.deutschlandfunk.de/schule-in-coronazeiten-fuer-den-hybriden-unterricht-ist.694.de.html?dram:article_id=487458, entnommen am: 17.11.2020, 18:01 MEZ10:29 MEZ

  6. https://www.bmbf.de/de/karliczek-mahnt-laender-zur-umsetzung-der-corona-schulkonzepte-12308.html, entnommen am: 18.11.2020, 10:39 MEZ

  7. https://www.stol.it/artikel/kultur/eu-kommission-will-digitale-bildung-nach-corona-krise-anschieben, entnommen am: 18.11.2020, 10:44 MEZ

  8. https://www.deutschlandfunk.de/digitaler-unterricht-in-der-coronakrise-bildungsexpertin.694.de.html?dram:article_id=487699, entnommen am: 18.11.2020, 12:06 MEZ

  9. Christina Anger & Axel Plünnecke: "INSM-Bildungsmonitor 2020. Schulische Bildung in Zeiten der Corona-Krise (Studie des Instituts für deutsche Wirtschaft Köln im Auftrag der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft)", PDF (Köln, 14.08.2020), S. 118-120

  10. https://www.digitalisierung-bildung.de/2020/10/26/chancengerechtigkeit-statt-foederaler-verteilungskaempfe/, entnommen am: 17.11.2020, 15:11 MEZ

  11. https://de.m.wikipedia.org/wiki/Bertelsmann_Stiftung, entnommen am: 17.11.2020, 15:37 MEZ

  12. https://www.digitalisierung-bildung.de/, entnommen am: 18.11.2020, 13:33 MEZ

  13. https://bildungsklick.de/schule/detail/professionelle-bildungsmedien-fuer-die-digitale-welt, entnommen am: 18.11.2020, 11:09 MEZ

  14. Bertelsmann Stiftung (Kirstin Witte & Carsten Große Starmann): "Smart Country - Vernetzt. Intelligent. Digital. Forderungskatalog für ein digitales Deutschland", PDF (Gütersloh, 2017)

  15. https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/vorsicht-stiftung, entnommen am: 18.11.2020, 11:39 MEZ

  16. https://www.mmb-institut.de/aktuelles/neuer-monitor-zur-digitalisierung-in-der-weiterbildung/, entnommen am: 18.11.2020, 13:03 MEZ

  17. https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/unsere-projekte/teilhabe-in-einer-digitalisierten-welt/projektthemen/projektthemen-monitor/, entnommen am: 18.11.2020, 12:25 MEZ

  18. https://initiatived21.de/bildung-in-zeiten-von-corona-zwischen-videokonferenz-und-brief/, entnommen am: 18.11.2020, 13:19 MEZ

  19. https://www.forumbd.de/blog/die-corona-krise-eine-chance-fuer-zeitgemaesses-lernen/, entnommen am: 18.11.2020, 13:05 MEZ

  20. https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/mediathek/medien/mid/teachfirst-ein-amerikanisches-bildungsprogramm-fuer-deutschland, entnommen am: 18.11.2020, 14:15 MEZ

  21. https://m.faz.net/aktuell/karriere-hochschule/klassenzimmer/corona-und-bildungsoffensive-diese-digitalisierung-macht-den-unterricht-nicht-besser-16924879.html, entnommen am: 18.11.2020, 15:18 MEZ

  22. https://www.heise.de/newsticker/meldung/Edit-Policy-Mit-dem-Bildungstarif-in-die-digitale-Zwei-Klassen-Gesellschaft-4882169.html?seite=all, entnommen am: 18.11.2020, 15:31 MEZ

  23. https://amp-n--tv-de.cdn.ampproject.org/v/s/amp.n-tv.de/wirtschaft/Bertelsmann-kauft-US-Verlagsgruppe-article22192993.html?amp_js_v=a6&amp_gsa=1&usqp=mq331AQFKAGwASA%3D#aoh=16063203882046&csi=1&referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com&amp_tf=Von%20%251%24s&ampshare=https%3A%2F%2Fwww.n-tv.de%2Fwirtschaft%2FBertelsmann-kauft-US-Verlagsgruppe-article22192993.html, entnommen am: 25.11.2020, 18:08 MEZ





Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.

Montag, 1. Juni 2020

Steffen Roski: Corona crisis and peer support work



This paper owes a lot to the weekly video conferences of UPSIDES peer support workers from Hamburg during the Corona crisis, which Rebecca Nixdorf initiated. I would like to expressly thank her for that!


The Corona crisis makes something fundamental clear: what individual life crises and risks represent for peer support workers and the people they accompany has collectivized and socialized in the shadow of the pandemic. Those affected know very well what terms such as stigma, exclusion, trauma, irritation, isolation, fear, depression or exclusion mean, because they have already perceived and experienced these conditions in their own everyday life, regardless of the pandemic. Just four months ago, it was unimaginable that society as a whole, whose self-image was expressed in the triad of growth, success and increasing options, could suddenly find itself in a fundamental crisis of this magnitude.


For me, recovery and empowerment are the core concepts from which I would like to view this fundamental crisis from the perspective of peer support. Recovery and empowerment are interdependent, recovery always includes empowerment, and the same applies: empowerment strengthens recovery. As I understand it, peer support work means: dealing with one's own life crisis in a way that is ready to learn and using this process of self-reflection to develop potential and capacities in order to be able to empower people who are in acute life crises. Anyone who has ever had a depressive episode - and I know what I'm talking about! - may have experienced the Corona crisis in perhaps two ways, an alternating mix of the two being possible.


First, it is obvious to assume that existing life crises will deepen. Restrictions on contacts and closed or only partially open psycho-social meeting places further thin out the already limited possibilities of social interaction. Cinemas, theaters, museums and public libraries are only slowly starting to reopen, but for example the opportunity to watch a film will only be granted to the few who can secure a ticket from the then very limited contingents. Anyone who does not want to move about in public space as a matter of course will have to overcome even more hurdles in order to enable a minimum level of social participation. The pandemic restrictions of everyday life reinforce the tendency to withdraw, which consequently means isolation - with the few exceptions to essential purchases and other errands. In extreme cases, this state of poor contact and loneliness can be life-threatening: no important doctor visits, the dependence on material and non-material addictive substances (alcohol, drugs, medication, social media, online gambling, etc.) increases, domestic violence, suicidal and self-destructive thoughts are circling in the head.


There is - secondly - a completely different experience of the Corona crisis. When I think about myself, I come to the following interim conclusion: Yes, I do miss some things from the pre-Corona period: simply going to a café, visiting cultural events, being able to meet people spontaneously - all of those things that I would seldom have given my thoughts to before the pandemic. But I was also able to see positive sides of the pandemic and come to terms with myself. In fact, social contacts have diminished, but I experience them all the more intensely when they come about. I inform myself thoroughly, read a lot, listen to music, give a lot of myself to people I love and at the same time receive at least as much good from them. This also includes the weekly video conferences with colleagues from UPSIDES, which I am always looking forward to. I would like to generalize the following context as a hypothesis: Precisely because people with crisis experiences prior to the pandemic must have painfully learned to somehow manage to cope with themselves and their life history, to value their individual potentials and not to raise efficiency and success as the sole maxim, it could be that from crisis experience something like a crisis resilience emerge. The requirement to keep your distance physically has not only negative sides: Sophrosyne in pandemic times.


I often read the request:》 Let us see the crisis as an opportunity!《It seems important to me to be precise here. The Corona crisis may actually offer opportunities for each and every one of us and for society as a whole. Still, I have to warn against such imperatives from the perspective of peer support. They can be overwhelming. Crisis-experienced people know very well how stressful it is to be accused of not having done one's own life what corresponds to conventional societal norms. An example: On Facebook, a good friend expressed her pride at having used the Corona time to clean up the apartment. I think that's good and I also wrote to her that I am delighted. At the same time, I know all too well about myself and my own intrinsic psychological intertwining, but also about people whom I accompany on their life paths, how difficult it is to implement what is apparently banal and necessary. My apartment is clearly different from that of my Facebook friend! Of course, I know too well that I will hardly be able to avoid cleaning up. At the same time, however, I am just as aware that it is harmful for me to want to force it. If someone advised me to see the crisis as an opportunity and to clean up the apartment during the lockdown, this would probably block me. The corona crisis may offer many individual small opportunities, but against the background of each individual experience, it is important to think carefully about which of these opportunities should be seized at what time and in what way!


The motive of the crisis as an opportunity brings me to another key concept of peer support work, namely empowerment. Just like recovery, empowerment is not so easy to translate into German. What is meant is something like strengths and potentials to be found and felt in the individual as well as in collectivities, to be developed and then used to attain meaningful goals. Empowerment ranges from the very concrete to the visionary and utopian. For me, the meaning of the empowerment concept is to be ready to cross the boundaries of the individual, to organize collectively and to fight for better social inclusion, integration and fair life chances in the political-institutional framework. For me, UPSIDES is one thing above all: an empowerment project!


The pandemic stimulates many considerations about the possible character of a post-coronal society. While some are optimistic about the future, others see the dark. I cannot make any predictions, but I can develop scenarios for empowerment in the light of a new, responsible and risky normalcy against the background of my knowledge. A caveat seems appropriate to me right at the beginning of my explanations. The author of this text is an active peer support worker and at the same time academically socialized. As a sociologist, I am used to operating with distinctions. To make a conceptual distinction does not mean to strictly separate terms and concepts from each other. In terms of rigidity, apparently clean terminological separations cannot be maintained in everyday life, they mix in many different ways and thus produce hybrid color transitions and gradients instead of strong contrasts. But at the same time I want to emphasize the heuristic value of distinctions. Although they cannot simply depict social reality, they nevertheless allow a certain mental structure to be brought into an event like the Corona crisis that appears complex, confusing and difficult to understand and whose endpoint is far from being foreseeable and cannot be described. I therefore expressly do not proclaim any truth, but simply want to make a modest contribution to reflection in these pandemic times.


I understand empowerment as the self-production of individual and collective action. In the face of the pandemic, one thing is particularly clear to me in a frightening way: pure helplessness, to be dependent on decisions over which no influence can be exerted. Shortly before the contact restrictions were imposed, peer support workers met at the Hamburg University Hospital in Eppendorf for UPSIDES training. Many ideas for peer support have been developed and followed up. At the same time, the first tentative contacts to those affected who had decided to take part in the project began. I was in good spirits: something started to move, recovery should become concrete, empowerment processes should be started. Then the incision: the pandemic.


I would like to differentiate between two phases of the Corona crisis. In the first phase, the so-called lockdown phase, the virus represented one thing above all from a sociological point of view: a danger! Social life almost came to a standstill, shocking pictures from Italy or New York City, for example, went through the media. The expertise of virologists and epidemiologists and their institutions formed the framework for political decisions and administrative measures. Time was used to correct the inability to adapt hospitals to unexpected illnesses. The mass media provided extensive information about the virus, the possibility of infection, the diseases that occurred and the expected mortality.


It does not seem presumptuous to me to speak of a sub-policy of the experts that knew how to claim the position of the political. From an empowerment perspective, this sub-political constellation creates a real dilemma: on the one hand, to adopt a rather skeptical attitude towards experts, but in the face of the pandemic, on the other hand to blindly trust them. In this phase, I was primarily concerned with arranging myself with the new circumstances: being careful, perceiving my own feelings, coping with everyday life, maintaining contact with people in my immediate vicinity, informing me, track media coverage - and with all of this: to find enough rest. Since I was mostly at home, I felt relatively protected in the face of the danger, which I could not influence.


A new phase in the corona crisis has only recently begun: The change from phase 1 to phase 2 in combating the pandemic is a change from describing a SARS_CoV_2 disease as a danger to describing the same disease as a risk. The short and medium-term danger of overwhelming the hospitals is averted. Time was used to correct the inability to adapt hospitals to unexpected illnesses. The most visible sign of the replacement of virological sub-politics by normal political decision-making was that the regular press briefings of the Robert Koch Institute, the government’s central scientific institution in the field of biomedicine, were suspended. At the same time, this process of re-normalization, which is now underway, means that, to a certain extent, everyone is now left to make decisions themselves instead of being dependent on decisions by third parties over which there is no influence. An example: The Hamburg UPSIDES peer support workers want to meet again on June 18, 2020 after a long time. Risk assessments have to be made: do you prefer to meet outside in a park? Are masks to be worn? If you do meet indoors: is physical distance guaranteed? Would the room be well ventilated?


When sociologists speak of a risk society, this theoretical description can be experienced very concretely in everyday life in the shadow of the pandemic. What are the prospects for empowerment and peer support in the normality of pandemic society? What was true before the Corona crisis now applies even more to it: scope for empowerment and peer support do not fall from the sky, they have to be fought for! In this context, too, the call to see the crisis as an opportunity proves to be double-faced. Whose life chances were limited before the crisis will now experience social inequality as even more depressing.


An example: even before the pandemic, state benefits in the area of ​​basic security (e.g. unemployment benefits, pensions, etc.) did not meet the minimum requirements, were too low to actually enable social participation. The corona crisis has further exacerbated the social situation of people affected by poverty. The Federal Government has so far rejected legitimate demands to raise these minimum government benefits, at least due to the crisis. The minister responsible for labor and social affairs argues as follows: The demand for an increase in state social benefits had already existed before the pandemic and the Federal Government was not willing to decide a topic that was controversial even before the Corona crisis, in favor of those who bring an old issue on the table again. This argument seems cynical to me. From the perspective of empowerment, I can only say that it is worthwhile right now to argue that long-standing social injustices will be put on the political agenda. Political restrictions have to be overcome: Those affected are entitled to participate and get full social inclusion!


How many times have I had to hear and read the sentence:》 All people and society as a whole are equally affected by the corona crisis.《This statement is only true insofar as the SARS_CoV_2 disease actually affects everyone, regardless of the individual socio-economic status. In the Corona crisis, however, it seems to me that social inequalities that have existed for a long time, like in a magnifying glass, appear to be more pronounced. Social participation and full inclusion - for all these progressive topics and demands you need strong and active voices!


The Corona crisis should be seen as an opportunity. This is a hope and at the same an activating appeal. In conclusion, I would like to formulate a few questions that could be important in view of the upcoming restart and the future of the UPSIDES research project:


  1. What needs to be done to make recovery and empowerment an integral part of professional mental health services for people in life crises?

  2. How can peer support be institutionalized in mental health services without losing the character of peer support work as a critical impulse in existing professional institutions?

  3. What role will social media play for peer support work in the future?

  4. What lessons can be learned from the Corona crisis for peer support work?

  5. How will physical closeness and distance be determined in the future?

  6. What does the Corona crisis mean for social and cultural participation? (Should it turn out that there will be further restrictions in participation: how would you work against it?)