Sonntag, 17. Juli 2016

Steffen Roski: DIE ZEIT - Leitmedium der Parallelgesellschaft


Harald Martenstein, leicht derangierter und durch und durch verspießter Kolumnist der Lifestyle-Beilage zur Hamburger Wochenzeitung DIE ZEIT, dem Zeitmagazin, berichtete vor einigen Wochen darüber, wie er am Frankfurter Hauptbahnhof von bandenmäßig organisierten Kleinkriminellen abgezogen worden ist. Ich erspare mir die Nacherzählung seiner Schilderung. ZEIT-Leser, die sich an dessen Geschreibsel aufgeilen und dort ihre kleinbürgerlichen Vorurteile Woche für Woche zu bestätigen suchen, werden sich erinnern. Allen anderen sei nur so viel gesagt: Ausgangspunkt des Martensteinschen Erlebnisses war eine junge Frau dunklen Typs, die dem alten notgeilen Sack sofort irgendwie sympathisch erschien. In dieser kleinen Martenstein-Geschichte spiegelt sich vieles, was für die ZEIT-Redaktion insgesamt gilt: eine völlig verzerrte Sicht auf die Gesellschaft nämlich, auf die Giovanni di Lorenzo und Konsorten aus den Butzenscheiben ihrer behaglichen Designer-Behausungen in Eppendorf, Ottensen oder wo es sich sonst noch teuer und edel wohnen lässt, blicken.
Mir liegt hier gerade der Politikteil vom 30. Juni 2016 vor. Mustereuropäer Giovanni di Lorenzo, für den das One-Man-One-Vote-Prinzip keine Gültigkeit besitzt, gab doch der deutsch-italienische Stimmbürger bei der letzten Wahl zum Europaparlament selbstverständlich zwei Wahlzettel in die Urne, stellt dort die selten dämliche Frage: “Wie viel Volk darf’s denn sein?“ Dem schnöseligen Leitartikler gelingt dort eine hübsche Selbstcharakterisierung. Schauen wir einmal genauer hin, wie sich der haargelgeglättete Hamburger Schönschreibling sieht: Als “Welterklärer“ nämlich, der sich der “europäischen Idee verbunden fühlt“. Der ZEIT-Chefredakteur ist stets im Kreise der “Richtigen“, hält sich für einen “aufgeklärten und politisch interessierten, weltläufig und liberal gesinnten Menschen“. Dass er sich selbst zum Kreis der “politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Eliten“ zählt, ist nichts als eine bare Selbstverständlichkeit. Er und seine ZEIT-Mischpoke haben “über Jahrzehnte“ alles mögliche “an Gutem und Bewahrenswertem aufgebaut“, “im September 2015“ spontan und großzügig “Hilfe für Menschen, die Krieg und Tod entflohen sind“ geleistet. Hier von Gutmenschen zu reden, trifft es nicht, Schönling di Lorenzo ist ein Edelmensch, eigentlich kaum Mensch mehr, sondern sich selbst gebärender Geist.
Ich schlage in derselben Ausgabe ein paar Seiten weiter und finde einen possierlichen Besinnungsaufsatz von Heinrich Wefing, in dem der Autor seine verspießten Scheiß-Alltagserlebnisse einfließen lässt. Wefing gibt mit seinen beiden Plagen, “fast 16 und 13 Jahre alt“, an. Sie wachsen “behütet auf, aber sie bekommen vieles mit. Sie sehen abends die Nachrichten, sie sind im Netz unterwegs. Hören von Putin, von Trump, von Erdogan. Und manchmal fragen sie mich, in letzter Zeit häufiger: Spinnen die eigentlich alle?“
Väter wie ZEIT-Autor Wefing definieren ihren beschissenen Alltag inklusive Kindererziehung als “Großprojekt schlechthin“. Doch in letzter Zeit wird das Weichspülprogramm gestört: “Man hat so seine Gedanken, man hat so seine Sorgen. Und in den letzten Monaten beschleicht mich immer häufiger ein mulmiges Gefühl. Das Gefühl, dass sich gerade etwas ziemlich Grundlegendes verändert. Für mich, aber auch für meine Kinder. In was für einer Welt werden sie eigentlich erwachsen?“ Tja, Wefing, so eine verfickte Scheiße auch. Nichts wird’s für dich und deinen Kindern mit einem entspannten Verhältnis “zu diesem Deutschland, heiter und selbstbewusst, so wie man es auch aus anderen Ländern kennt, in denen die Menschen unbefangen ihre Flagge schwenken.“ Wefings Idealwelt ist die des “Mehr“: “Mehr Sicherheit, mehr Toleranz, mehr Reichtum, mehr Freiheit“, eine Welt, “die voller Optionen ist und fast frei von Widerständen“. Schon kacke, denn seit einiger Zeit sind “die Fundamente plötzlich wieder in Gefahr. Was selbstverständlich schien, ist nicht mehr selbstverständlich. Das ist für meine Generation eine ziemlich verstörende Erkenntnis.“ So what? Bei Pappa Wefing im Kuschelwohnquartier ist die Welt ja ganz OK, seine Designer-Kids lernen Sprachen “und Klavier und Volleyball“. Und das Beste: “Als letztes Jahr die Flüchtlinge kamen, da sind sie losgezogen mit ihren Freunden und haben geholfen, in Kleiderkammern und Unterkünften, einfach so. Wir haben sie nicht dazu gedrängt, sie haben es von sich aus getan, es schien ihnen richtig, und wir, die Eltern, waren ziemlich stolz darauf.“
Drei ZEIT-Eindrücke - der naive Onkel Martenstein, Eliten-Giovanni und Projektpappa Wefing, drei Eindrücke, die m.E. für sich selbst sprechen, um deutlich zu machen, in welchem Paralleluniversum die Schreiberlinge des Hamburger Wochenblättchens schweben. Für Martenstein besteht die Welt nur aus ihm sympathischen Menschen. Wird er von einer solchen Person angekobert, blendet der sich ansonsten so weltkundig gebende Lifestyle-Kolumnist die Tatsache total aus, dass es zum Wesen bandenförmig organisierter Kriminalität gehört, die Naivität dieser Kindchenschemasicht auf andere Menschen für sich nutzbar zu machen. Di Lorenzo, ganz der glatt lackierte Edel-Stilist, sieht sich im Pantheon des Journalismus aus dessen ätherischen Sphären er den Weltenlauf betrachtet und sich zunehmend ob der sich stetig vergrößernden Zahl an Kretins und Idioten am Boden angeekelt abwendet. Und dann ist da noch Wefing, ganz Hipster-Pappa, der beim Soja-Latte mit seinen schwerstbegabten Plagen über Putin, Trump und Edogan parliert. Währenddessen besorgt dann eine wahlweise portugiesische oder polnische Putze den Haushalt, damit die Kiddies mit frisch gebügeltem Hoodie in der Flüchtlingsunterkunft aufschlagen können.
DIE ZEIT ist ein Organ für eine Parallelgesellschaft, für Studienräte, die außerhalb von Bildungseinrichtungen die Welt bloß als Teilnehmer von Bildungsreisen in den Sommerferien kennen, für abgebrühte Hipster aus der Kreativszene, die sich ihr Surrogat von Welt und Gesellschaft aus dem wöchentlichen Weichspülprogramm von DIE ZEIT und Zeitmagazin ziehen, für neureiche Erben, Galeristen und Kunsthändler, überhaupt für sogenannte Schaffende in Kunst, Kultur und Wissenschaft.
Witzig, dass di Lorenzo & Co. sich in ihrem Schickimicki-Echoraum selbstverständlich als Vertreter eines “Leitmediums“ betrachten. Blöd nur, dass sich außerhalb der ZEIT-Bubble niemand um die Meinungen der Hamburger Edelgazette mehr schert.

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