Montag, 17. August 2015

Steffen Roski: Antikapitalistische Plakatkunst am Bremer Hauptbahnhof

In Bremen soll eine weitere Shoppingmall im Innenstadtbereich am Hauptbahnhof entstehen. Auch anderenorts greift der hässliche Konsumismus um sich. Innenstädte sollen kein Lebensraum sein, sie werden ausgetrocknet und sind zu rein merkantilen Zonen umgestaltet worden. Auch die noch verbliebenen Restbereiche öffentlichen Lebens werden nach und nach getilgt. Von 10 bis 20 Uhr bevölkern frohgelaunte Konsumenten die verglasten Hallen des Begehrens. Davor und danach sorgt eine private Security dafür, dass jeder noch so kümmerliche Ansatz spontanen Ausdrucks unterdrückt wird. Gegen diese Tendenzen haben Künstler in Form von Plakaten, die an einem Bauzaun vor dem Bremer Hauptbahnhof angebracht sind, auf ihre Weise Widerspruch eingelegt. Vielleicht eine Anregung für andere derartige Vorhaben in der Republik?

https://plus.google.com/u/0/collection/wlhC2

Donnerstag, 13. August 2015

Steffen Roski: Gedanken zum Alltagsrassismus

Gute Karikaturen treffen den Punkt. So diese: Ein Kapitalist macht einen Armen darauf aufmerksam, dass ein um Asyl nachsuchender Mensch diesem etwas wegnähme.

Es gibt zwei prinzipielle Arten von rassistischer Diskriminierung. Die eine ist negativer Natur und wird in der Karikatur veranschaulicht. Menschen, die objektiv depraviert sind und sich auch selbst als chronisch benachteiligt erleben, greifen diejenigen an, die aus ihrer Sicht ihre ohnehin Lebenschancen minimen Lebenschancen weiter vermindern. Sie nehmen Refugees als unmittelbare Konkurrenten um knappe Ressourcen - Bildung, Gesundheit, Teilhabe etc. - wahr.

Die andere Art rassistischer Diskriminierung ist positiver Natur und ist ohne ihre negative Kehrseite nicht denkbar. Ein konstruiertes Beispiel: Beate J. lebt mit ihren zwei Kindern Antonia und Jakob in einem Berliner Szenestadtteil. Sie arbeitet in der Kreativbranche, ist gut gebucht, Geld ist vorhanden. Aufmerksam verfolgt Beate das Tagesgeschehen und ist angeekelt von einem immer demonstrativer werdenden Rassiswmus in diesem Land. Mit Refugees hat sie nicht direkt zu tun. Diese leben irgendwo in einem Teil der Vorstadt, den sie allenfalls vom Hörensagen kennt. Am Wochenende besucht sie mir ihren beiden Kindern, die das örtliche Gymnasium besuchen, eine Kulturveranstaltung, auf der eine Gruppe afrikanischer Menschen musizieren und die heimische Küche vorstellen. Schnell freundet sie sich mit einem Refugee an, den sie für die kommende Woche zum Essen einlädt. Man ist geneigt zu sagen: vorbildlich. Eine zwischenmenschliche Beziehung ist gestiftet worden.

Beate J. fühlt sich wohl, ein Musterbeispiel vorurteilsfreien Handelns. Stimmt dies? Zweifel sind angebracht. Als Werberin ist Beate J. oft geistig ausgelaugt, braucht zur Aufrechterhaltung ihres kreativen Potenzials immer wieder äußere Inputs. Und da kommt eine kulturell und menschlich interessante Begegnung gerade recht. Das alles bleibt letztlich folgenlos, denn ihren Alltag bestimmen weiterhin die Kreativ- und Lifestyle-Hipster, mit denen sie Clubs, Kinos, Vernissagen, Theater besucht sowie die Freizeit für ihre Kinder organisiert. Ihr diskriminierendes Handeln liegt in Folgendem: Refugees sind auf Grund ihres kulturellen Mehrwerts für Beate J. interessant. Letztendlich verhält sie sich nicht anders als jene, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhunderts afrikanische Menschen in Zoos aus Sensationsgier beglotzten.

Um auf die Karikatur zurückzukommen: Eine von Rassismus freie Gesellschaft werden wir nur dann erreichen, wenn es die Kluft zwischen Armen Und Reichen, zwischen Privilegierten und Ausgeschlossenen nicht mehr gibt. Rassismus ist eine soziale Frage. Solange wir das nicht begriffen haben, haben wir nichts verstanden.


Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.

Freitag, 26. Juni 2015

Claudia Aebersold Szalay: Klagen über tiefe Zinsen. Was macht die deutschen Sparer wirklich arm?

"Nun hat die Notenbank den Vorwurf in einem wissenschaftlichen Papier untersucht und ist zum Schluss gekommen, dass nicht ihre Politik für die Unzufriedenheit deutscher Sparer verantwortlich ist. Skepsis ist natürlich angebracht, wenn die Forschung ausgerechnet von der Angeklagten selbst kommt, doch die Argumentation der EZB-Ökonomen ist so simpel wie überzeugend. Sie erinnern daran, dass die Notenbank lediglich die kurzfristigen nominalen Zinssätze direkt steuern kann. Auf die langfristigen Nominalsätze kann sie lediglich indirekt, über die Inflationserwartungen, Einfluss nehmen. In der langen Frist - die Perspektive, die Sparer interessiert - hängt die Verzinsung aber primär vom Realzins ab. Dieser wird von mehreren Faktoren bestimmt, vor allem von den verfügbaren Arbeitskräften in einem Land und deren Produktivität. Was den Realzins somit erhöht, sind eine kluge Arbeitsmarktpolitik, Infrastruktur-Investitionen sowie gute Rahmenbedingungen für technischen Fortschritt. Für all das ist nicht die Notenbank zuständig. Im Gegenteil, sie ist gegenüber den Kräften, die den langfristigen Realzinssatz bestimmen, nahezu machtlos. Die 'Bild' beklagt den 'Zins-Klau', doch der Dieb ist nicht die EZB."

Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/reflexe/wer-macht-die-deutschen-sparer-wirklich-arm-1.18567911

Mittwoch, 24. Juni 2015

JasminTeam: Spiegel schützt Lobbyisten Elmar Brok in „Kasachen-Affäre“

"Dafür organisierte der Wiener Anwalt Gabriel Lansky mit Geld aus Astana einen „Berater-Kreis“ unter dem Namen „Independent International Advisory Council“ (IIAC), dem Ex-Staatschefs und Top-Politiker angehörten: Neben Gerhard Schröder auch Ex-Kurzzeit-Bundespräsident Horst Köhler, Ex-Bundeskanzler Alfred Gusenbauer, Romano Prodi, Aleksander Kwasniewski, Marcelino Oreja; als „Team Operation“ sollen weitere EU-Mächtige noch tiefer verstrickt sein: Peter Gauweiler, Otto Schily, Max-Peter Ratzel (Europol-Exchef), Jürgen Kapplinghaus (EU-Justiz) -sie alle sollen im Auftrag Nasarbajews dessen Feind Alijew gejagt haben. Nur vergisst der „Spiegel“ in dieser Darstellung die Schlüsselrolle Elmar Broks bei Alijews Inhaftierung genauer zu betrachten."

Quelle: https://jasminrevolution.wordpress.com/2015/06/21/spiegel-schutzt-lobbyisten-elmar-brok-in-kasachen-affare/

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Dienstag, 23. Juni 2015

Jenni Roth im Interview mit Wolfram Meyerhöfer: "Der Pisa-Test gehört abgeschafft". Wolfram Meyerhöfer, Spezialist für Mathematikunterricht, erklärt, warum er den Pisa-Test für einen schlechten Test hält

"Jenni Roth: Warum sind die Aufgaben dann so konstruiert?

Wolfram Meyerhöfer: Als Organisation für wirtschaftliche Entwicklung interessiert die OECD die ökonomische Rolle der öffentlichen Schulen. Die Tests orientieren sich also an der Brauchbarkeit von Schülern als Arbeitskräften. Aber das kann nicht das einzige Ziel öffentlicher Bildung und Erziehung sein! In anderthalb Minuten zu entscheiden und bei einem Sachproblem lediglich ein Kreuz zu setzen, das folgt einem ökonomischen Konzept, welches für ein Land mit einer Wirtschaftsstruktur wie Deutschland fatal ist. Für Pisa ist die OECD auch Allianzen mit multinationalen und profitorientierten Unternehmen eingegangen, die versuchen, von jedem von Pisa behaupteten Bildungsproblem zu profitieren. Die internationalen Bildungskonzerne benötigen Tests wie Pisa, um eigene Bildungsprogramme zu legitimieren, laufen mit ihren Bildungsinhalten aber in eine völlig falsche Richtung."

Quelle: http://www.nzz.ch/wissenschaft/bildung/miese-noten-fuer-den-pisa-test-1.18566596

Joachim Güntner: Auf Diät. Wider die Verkürzung eines Begriffs

"Von Ludwig Wittgenstein ist das Bekenntnis überliefert, es sei ihm gleich, was er esse, es müsse 'nur immer dasselbe sein'. Das ist kurios, denn dieser Philosoph kannte dort, wo die Diätik der leiblichen Ernährung endet und die geistige beginnt, sehr wohl die Gefahren der Einseitigkeit. In Paragraf 593 seiner 'Phlosophischen Untersuchungen' notierte er: 'Eine Hauptursache philosphischer Krankheiten - einseitige Diät: man nährt sein Denken nur mit einer Art von Beispielen.' Theoriebildung tendiert dazu, Hypothesen durch passende Belege zu stützen und die störenden auszublenden. Man muss kein Philosoph sein, um dieser Denkform zu frönen. Wann immer wir strikt für eine Sache argumentieren, lassen wir fort, was nicht ins gewünschte Bild passt. Das Schöne an Wittgenstein ist, dass er den Diät-Begriff auch auf Geistiges bezieht statt bloss auf Speisepläne. Das macht ihn zum Gewährsmann gegen den üblichen Reduktionismus."

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/auf-diaet-1.18562693

Montag, 1. Juni 2015

Eduard Kaeser: Sind wir alle Experten? Die Wissensgesellschaft und die "Bürgerwissenschaft" der vermeintlichen Laien

"Vor fünfunddreissig Jahren sprach Ivan Illich von der 'Entmündigung durch Experten'. Er warnte vor der 'behaglichen Gleichgültigkeit der Bürger, die sich als Klientel dieser Experten einer vielgestaltigen Sklaverei unterwerfen'. Und er sah damals bereits eine Position zwischen Expertenhörigkeit und Expertenfeindschaft voraus, die er das 'postprofessionelle Ethos' nannte. Man könnte sagen: Im Zeitalter des Post-Expertismus lässt sich ein neues altes Expertentum wiederbeleben oder wieder schätzen lernen. Wer zählt zu seinem Bekanntenkreis nicht Liebhaber und Kenner von Pilzen, Käfern, Lokalgeschichte, alternativen Energieformen oder extraterrestrischem Leben?"

Quelle: http://www.nzz.ch/feuilleton/sind-wir-alle-experten-1.18551867

Milosz Matuschek: Ich liebe mich, pardon dich!

"Doch wer sich verlieben will, muss den kleinen Narzissten in sich zum Schweigen bringen oder zumindest dessen Handlungshorizont beschränken. Wer im starren Glauben an die eigenen Werte weiter nach oben strebt, bleibt ziemlich sicher allein. So gehört man vielleicht bald zu den 'Anspruchsvollen', die doch eigentlich Verblendete sind. Für den Narzissten ist Liebe eine Belohnungskategorie, eine Art Zertifikat über den eigenen Statuswert. Der Partner ist hier nur sie Verlängerung des eigenen Ichs, eine Art Prothese oder Selfie-Stick für die Widerspiegelung der eigenen Grossartigkeit. Eine Umfrage unter 10 000 Mitgliedern einer Online-Partnervermittlung für 'Akademiker und Singles mit Niveau' förderte als häufigsten Grund fürs Alleinsein die Antwort zutage: 'Weil ich so anspruchsvoll bin.'"

Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/kolumnen/ich-liebe-mich-pardon-dich-ld.422

Rainer Stadler: Rekordmutter nur bei RTL

"Die Hintergründe des Informationspakts sind nicht bekannt. Abgesehen von allenfalls finanziellen Vorteilen bietet eine exklusive Vereinbarung der nun 17-fachen Mutter die Möglichkeit, mediale Erregungen zu kanalisieren. Aufmerksamkeit hätte sie, die bereits vor zehn Jahren mit der Geburt eines weiteren Kinds als 55-Jährige im Rampenlicht stand, ohnehin auf sich gezogen. Da nun RTL über sie wacht, kann sie sich Mediensprecher, Rechtsanwälte oder sonstige Agenten zur Vertreibung aufdringlicher Späher ersparen. Der Ausschluss von Konkurrenz bringt zudem etwas Ruhe in den Informationsverwertungsprozess. Es herrscht weniger Druck, die Geschichte zu überdrehen, um zusätzliche Aufmerksamkeit zu erregen. Entsprechend zivil verlief denn auch der Hausbesuch, über den RTL vor einem Monat berichtete. Die Rekordmutter tritt recht abgeklärt auf. Sie pocht aufs Recht auf Selbstbestimmung; sie fordert, man solle andern bei ihren Entscheidungen nicht dreinreden, und nimmt die Fortschritte der Medizin für sich in Anspruch. Ihren Kritikern macht sie es gar nicht so einfach. Präsentiert wird sie - wie üblich - zwischen Werbespots. Klar, Medien müssen Geld verdienen. Dennoch irritiert diese Kommunikationspraxis bei speziellen Ereignissen immer noch. Aber inzwischen werden selbst Hinrichtungs-Videos des IS mit Werbespots versehen.

Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/blogs/medienblog/546/2015/05/26/rekord-mutter-nur-bei-rtl

Freitag, 15. Mai 2015

Jan Süselbeck: Irren ist menschlich. Akademiker wie Silvio Vietta und Peter Trawny sehen in Heideggers Philosophie eine respektable Fortschrittskritik. Dabei handelt es sich aber um die zentrale antisemitische Chiffre in Heideggers Werk.

"Weit schlimmer als die Judenvernichtung erscheint Heidegger nach Kriegsende, dass dem deutschen Volk nicht erlaubt wurde, sein 'Eigenes', sein 'Wesen' und sein 'Seyn' zu finden. Schuld daran sei der 'Terror des endgültigen Nihilismus', der 'noch unheimlicher' wirke als 'alle Massivität der Henkerknechte und der KZ'. Heidegger attackiert die 'planetarische Plattheit des Meinens und Redens und Schreibens', das internationale 'Literatentum' und die 'Weltpresse'. Das deutsche 'ratlose Kriechen im Schatten' vor der 'Weltöffentlichkeit' als 'Organisation der Seynsvergessenheit' kann für ihn schließlich nur eines heißen: 'Ahnt <man>, daß jetzt schon das deutsche Volk und Land ein einziges Kz ist -  wie es <die Welt> allerdings noch nie <gesehen> hat'? Der Denker höhnt über die Situation nach 1945: 'Daß die jetzt in Deutschland, im besetzten wohlgemerkt, in Gang gebrachte Tötungsmaschinerie etwas anderes leisten soll als die vollständige Vernichtung, das können nur noch liberale Demokraten und sogenannte Christen glauben machen wollen.'"

Quelle: Jungle World, 13. Mai 2015 (Nr. 20, 19. Jg.), S. 18.

Andreas Kappeler: Putin ist kein Stalin. Ohne Aggressionen verharmlosen zu wollen: Es gibt auch das andere Russland.

"Wenn man sozialpsychologische Erklärungen schätzt, kann man von einer 'Bedrohungsneurose' Russlands sprechen. Diese war indes nicht ganz unbegründet. Abgesehen von der Unterwerfung und Zerstörung durch die Mongolen war Russland mehrfach durch Angriffe aus dem Westen existenziell bedroht. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts besetzten polnische Truppen Moskau und setzten einen polnischen Zaren ein, im Jahr 1812 war es Napoleon, der Russland unterwerfen wollte, im 20. Jahrhundert folgte Hitlers Vernichtungskrieg. Russlands Geschichte war nicht nur eine der Expansion, sondern auch eine der Abwehr äusserer Aggressionen."

Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/debatte/putin-ist-kein-stalin-1.18542357

Daniel Steinvorth: Gefährliche Geschäfte. Waffenexporte in die Gelfstaaten sind derzeit kein Beitrag zur Stabilisierung der Region. Sie stabilisieren allein die absolutistischen Regime.

"Wären also die Respektierung von Menschenrechten und eine Aussenpolitik, die nicht zu regionaler Instabilität beiträgt, tatsächlich Kriterien, an denen sich Waffenexporte messen lassen müssen, so müsste ein Staat wie Saudiarabien im Grunde geschnitten werden. Eingesetzt werden können die Militärgüter auch zur inneren Repression. Man kann nur vermuten, wozu das Herrscherhaus imstande gewesen wäre, wenn der Arabische Frühling Riad, Jidda und Dammam erreicht hätte. Eine Idee dazu liefern die Niederschlagung des Aufstandes in Bahrain 2011 mithilfe saudischer Truppen oder auch das Vorgehen gegen Angehörige der schiitischen Minderheit im Osten Saudiarabiens. Und es gibt aktuell noch weitere Vorbehalte gegen Rüstungslieferungen an einen Staat, der nicht nur in seinem 'Hinterhof' Jemen, sondern auch in Syrien militärisch indirekt agiert, wo er längst nicht nur 'moderate' Rebellen unterstützt. In vielen Fällen ist der Endverbleib der Waffen nicht gesichert."

Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/kommentare/gefaehrliche-geschaefte-1.18540554

Ulrich Schmid: Islamischer Staat fordert die Hamas heraus. Nach Jahren relativer Ruhe bekämpfen sich in Gaza die herrschende Terrorgruppe und Salafisten, die mit dem IS affiliiert sind

"Dem Islamischen Staat, seinen Affiliierten und Adepten ist jegliches Denken in Kategorien der Nationalstaatlichkeit zutiefst zuwider. Sie sehen sich als Kämpfer für den Islam und versuchen, die 'Ungläubigen' zu treffen, wo immer sie können, in Europa ebenso wie in den USA. Sie haben nicht die geringsten Skrupel, Zivilisten zu töten, und sie greifen auch Araber an, die ihnen als nationalistisch erscheinen, selbst so konservative wie die Muslimbrüder, denen die Hamas entsprungen ist. Die Hamas ist aber national gesinnt, und ihr Kampfstil ist vergleichsweise traditionell. Ihr Führer im katarischen Exil, Khalid Mashal, hat stets klargemacht, dass sich die Operationen seiner Gruppe auf Palästina beschränken und dass Israel der grosse Gegner ist, den es zu bekämpfen gilt. Dass die Hamas mit dieser Strategie übermässig erfolgreich war, lässt sich nicht behaupten. Der IS aber hat überall dort schnellen Erfolg gehabt, wo arabische Staatlichkeit versagte, und es ist nicht auszuschliessen, dass man es nach dem Irak, Syrien und Lybien nun auch im noch gar nicht geborenen Palästina versuchen will."

Quelle: http://www.nzz.ch/international/naher-osten-und-nordafrika/is-fordert-die-hamas-heraus-1.18540469

Donnerstag, 7. Mai 2015

Christian Schmidt: Die richtigen Fragen stellen. Heideggers antisemitische Äußerungen lassen es an Deutlichkeit nicht fehlen. Und dennoch war er ein Denker der Revolution, des Umbruchs und sogar der Freiheit.

"Die praktische Fundierung unserer Welterfahrung birgt aber noch ein größeres Problem, auf das Heidegger hinweist. Da das menschliche Leben in seinem täglichen Ablauf davon abhängt, dass die praktischen Bezüge zu anderen Menschen und zu den Dingen funktionieren, wird es zu einer Notwendigkeit, die Dinge auch tatsächlich so zu machen, wie 'man' es eben macht. Die Wirklichkeit reproduziert sich so beständig selbst. Politische Revolutionen, die etwa die Kapitalisten enteignen, stehen damit in der Gefahr, am Kern der praktischen Verhältnisse gar nichts zu ändern. Statt der kapitalistischen Bürokratie herrscht dann eine staatliche, aber die Struktur der Ausbeutung und Unterdrückung ist substantiell die gleiche geblieben."

Quelle: Jungle World, 7. Mai 2015 (Nr. 19, 19. Jg.), S. 18.

Anja Krüger: Die Deutsche Bad Bank. In München hat der Prozess gegen drei Führungsgenerationen der Deutschen Bank begonnen.

"Interessante Details kamen ans Licht: Wenige Tage vor dem Interview hatte sich Breuer mit dem damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Middelhoff, der zu dieser Zeit Vorstandsvorsitzender von Bertelsmann war, getroffen. Dabei ging es nach Auffassung der Richter des Münchner Oberlandesgerichts um die Zukunft des Kirch-Imperiums - der Komkurrenz von Bertelsmann. Die Bank hatte bereits Pläne für die Zerschlagung des Kirch-Besitzes geschmiedet. Kirch starb 2011, seine Erben setzten den Rechtsstreit fort - mit Erfolg. Das Oberlandesgericht München erkannte 2012 einen Schadenersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung an. Die Deutsche Bank und die Erben schlossen im Februar 2014 einen Vergleich, die Deutsche Bank zahlte 925 Millionen Euro. Für die nun angeklagten Manager hat dieses Verfahren ein Nachspiel, weil sie sich nach Auffassung der Staatsanwaltschaft abgesprochen haben, um mit falschen Angaben in diesem Prozess die Forderung nach Schadenersatz abzuwehren. Weil das Gericht ihnen damals nicht glaubte, werden sie nur wegen versuchten gemeinschaftlichen Prozessbetrugs in einem besonders schweren Fall angeklagt."

Quelle: Jungle World, 7. Mai 2015 (Nr. 19, 19. Jg.), S. 6.

Zafer Senocak: Wahrnehmen und Wahrhaben. Wie kam es zum Völkermord in Armenien? Türken und Armenier waren einander nicht fremd in Anatolien. Wie aber wurden sie einander feind? Das ist die Frage, die uns beschäftigen muss. Es hat mit der Etablierung von Nationalstaaten zu tun.

"Zu Recht werden heute Vertreibungen und Verfolgungen von Menschen wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Ethnie oder einem Glauben als Verbrechen gegen die Menschlichkeit geahndet. Doch wie es zu diesen Verbrechen gekommen ist, wo sie stattfanden, wird nach wie vor kaum thematisiert. Die weisse Weste scheint die Uniform vieler Staaten zu sein, die sich freiheitlicher Demokratie verpflichtet fühlen. Doch ist die Weste wirklich so weiss? In der Wirklichkeit will man die Schlachthäuser nicht wahrnehmen, wahrhaben. Auch nicht in Europa, in den USA, in Japan. Es ist den Arbeiten einzelner mutiger Forscher zu verdanken, dass hier und da die Verbrechen der Kolonialzeit aufgedeckt werden, ganz zu schweigen von der Beinahe-Ausrottung der einheimischen Völker Amerikas und Australiens durch die weissen Siedler. Der Humus des Nationalstaats bleibt unangetastet."

Quelle: http://www.nzz.ch/meinung/debatte/wahrnehmen-und-wahrhaben-1.18535442

Mittwoch, 6. Mai 2015

Andreas Schnauder: Griechenland - Schuldenschnitt überfällig

"Denn Unternehmen, Konsumenten, internationale Investoren und Geldgeber sehen sich die ökonomischen Rahmenbedingungen genau an, bevor sie wirtschaftliche Aktivitäten entfalten. Und die legen nahe, dass Athen unter Schuldenlast und Zahlungsverpflichtungen kollabieren wird.

Das hat bereits dramatische Folgen. Die Konjunktur bricht nach einem kurzen Aufschwung wieder ein und zieht die Haushaltsdaten mit in den Abgrund. Verantwortlich dafür sind nicht nur die Athener Regierungsvertreter, sondern mindestens ebenso die Eurokutscher in Berlin und Brüssel. Die Zuchtmeister haben verkannt, dass sie den Bogen längst überspannt haben. Jetzt hilft nur noch das Eingeständnis, dass die an Griechenland geflossenen Steuergelder längst verloren sind. Das erforderte allerdings weit mehr Mut als das ständige Säbelrasseln gegenüber Athen."

Quelle: http://mobil.derstandard.at/2000015330351/Griechenland-Schuldenschnitt-ueberfaellig

Montag, 4. Mai 2015

Wolfgang Streeck: Wie wird der Kapitalismus enden? Teil II

"Ohne (Max; SR) Weber zu nahe treten zu wollen: Betrug und Korruption haben den Kapitalismus seit je begleitet. Es gibt allerdings gute Gründe anzunehmen, dass sie mit dem Aufstieg des Finanzsektors zur Vorherrschaft über die Ökonomie so allgegenwärtig geworden sind, dass Webers ethische Rechtfertigung des Kapitalismus sich heute anhört, als sei sie von einer gänzlich anderen Welt. Das Finanzwesen ist eine 'Industrie', in der es schwerfällt, Innovationen von der Beugung oder dem Bruch von Regeln zu unterscheiden; in der sich mit halblegalen oder illegalen Aktivitäten besonders hohe Gewinne erzielen lassen; wo das Gefälle zwischen Unternehmen und Regulierungsbehörden hinsichtlich Expertenwissen und Bezahlung extrem ist; wo die Drehtüren zwischen beiden unbegrenzte Möglichkeiten für subtile und weniger subtile Korruption eröffnen; wo die größten Firmen nicht nur too big to fail sind, sondern auch too big to jail - zu groß, als dass man sie angesichts ihrer Bedeutung für die Wirtschaftspolitik und das Steueraufkommen des jeweiligen Landes zur  Rechenschaft ziehen könnte; und wo die Grenzen zwischen Privatunternehmen und Staat mehr als irgendwo sonst verschwimmen, wie der Bailout von 2008 oder auch die unglaubliche Zahl ehemaliger und künftiger Beschäftigter von Finanzfirmen in der Regierung der Vereinigten Staaten illustrieren. Nach den Affären um Enron und World-Com hieß es, Korruption und Betrug hätten in der US-Wirtschaft ein Allzeithoch erreicht. Doch was dann nach 2008 ans Licht kam, übertraf alles bislang Dagewesene: die Bezahlung von Rating-Agenturen durch die Produzenten toxischer Papiere zwecks Erlangung von Spitzenbewertungen; Offshore-Schattenbanking, Geldwäsche und Beihilfe zur Steuerflucht großen Stils als normales Geschäftsmodell der größten Banken mit den besten Adressen; der Verkauf von Wertpapieren an arglose Kunden, die so konstruiert waren, dass andere Kunden gegen sie spekulieren konnten; das betrügerische Fixing von Zinssätzen und Goldpreis durch die führenden Banken der Welt und so weiter und so weiter. In den vergangenen Jahren mussten mehrere Großbanken für solche Aktivitäten Strafzahlungen in Milliarden-Dollar-Höhe leisten, und weitere Fälle dieser Art scheinen bevorzustehen. Was jedoch auf den ersten Blick wie schmerzhafte Sanktionen aussehen mag, erscheint im Vergleich zu den Bilanzen eher lächerlich - ganz abgesehen von der Tatsache, dass es sich in all diesen Fällen um außergerichtliche Regelungen handelte, weil die Regierungen strafrechtliche Regelungen nicht unternehmen wollten oder zu unternehmen wagten."

Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik 4/2015, S. 109-120, Zitat: S. 118.

Wolfgang Streeck: Wie wird der Kapitalismus enden?

"Darüber hinaus steigerten die Regierungen die Ungleichheit noch, als sie Steuereinnahmen durch Staatsverschuldung ersetzten: Denen, deren Geld sie nicht länger konfiszieren konnten oder wollten, si dass sie es stattdessen leihen mussten, boten sie damit sichere Anlagemöglichkeiten. Im Unterschied zum Steuerzahler gehört dem Käufer von Staatsanleihen das, was er dem Staat überlässt, auch weiterhin. Er erhält sogar Zinsen darauf, die in der Regel aus einer immer weniger progressiven Besteuerung aufgebracht werden; zudem kann er es seinen Kindern vererben. Im Übrigen lässt steigende Staatsverschuldung sich, wie es ja tatsächlich geschieht, politisch instrumentalisieren, nämlich als Argument zugunsten staatlicher Ausgabenkürzungen und der Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen. So werden die Möglichkeiten umverteilender demokratischer Intervention in die kapitalistische Ökonomie weiter beschnitten."

Quelle: Blätter für deutsche und internationale Politik 3/2015, S. 99-111, Zitat: S. 104.

Samstag, 2. Mai 2015

Paulette Gensler: Sehnsucht nach etwas Festem. Die Kritik an Heidegger entbindet nicht von der Auseinandersetzung mit seinen aktuellen Adepten und ihrem Jargon.

"Dabei ist die Kritik des 'Jargons der Eigentlichkeit' in erster Linie tatsächlich Sprachkritik. Ihre selbst gestellte Aufgabe besteht darin, wie es in der angehängten Notiz Adornos heißt, die 'implizite Philosophie', das heißt den unwahren Gehalt, welche die Form der Sprache selbst setzt, zu kritisieren. 'Die zeitgemäße deutsche Ideologie hütet sich vor faßbaren Lehren (...). Sie ist in die Sprache gerutscht.' (Hrvb. PG) Adornos Kritik verweilt keineswegs bei dem Ausdruck Rilkes, Jaspers' und Heideggers, sondern zeigt ihre Dringlichkeit vor allem durch den Verweis auf die immense gesellschaftliche Verbreitung des Jargons. So zeigt sich auch die heutige 'Heideggerisierung der Linken' in einem starken Ausmaß im sprachlichen Ausdruck: Neologismen, Unterstrich-Wörter, eine spezielle Sprache als Normsprache der Gesinnung, Adverbisierung beziehungsweise Partizip-Bildung ('frauisiert', 'illegalisiert'), Isolation der Worte von ihrem geschichtlichen oder grammatikalischen Kontext. All diese formalen Aspekte finden sich bei Hedegger, wenn auch teilweise im direkten Gegenteil. Und vielleicht ist es gerade diese formelle und inhaltliche Verkehrung ins Gegenteil - von der schon Freud erkannte, dass sie keineswegs eine Abkehr vom Ursprünglichen darstellt -, in der die bewusstlose Vermittlung, die sich als Radikalität geriert, zu erkennen ist. Das ist der späte poststrukturalistische Heideggerismus, welcher zunehmend auch in die Sprache mancher Autoren der Jungle World rutscht. Der dermaßen durch die Form gesetzte Gehalt müsste bestimmt statt behauptet, entwickelt statt identifiziert werden. Man kann sich hierbei nicht auf Adorno ausruhen, da Kritische Theorie immer eher als gestellte Aufgabe denn als Leitfaden zu betrachten ist."

Quelle: Jungle World, 30. April 2015 (Nr. 18, 19. Jg.), S. 18.