Es gibt allerdings einen Bereich, der eine bedeutsame Scharnierstelle von Stiftungs– und Konzernhandeln darstellt, der also sowohl für die Bertelsmann Stiftung als auch für die Bertelsmann AG von größter operativer Bedeutung ist. Der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann AG, Hartmut Ostrowski, sagte be– reits im Juli 2008 in einem Gespräch mit dem Spiegel ganz offen:
»Bildung ist in unserer modernen Gesellschaft ein Megatrend. Wir wollen im Bereich Weiterbildung mehr machen. Wir haben ein Projekt für Online-Bildung gestartet und beschäftigen uns im angloamerikanischen Raum mit Anbietern, die Berufsausbildung etwa für Krankenschwestern oder Buchhalter anbieten.«Ein gigantischer Milliardenmarkt harrt der Eroberung! Die Gütersloher Strategen in Konzern und Stiftung erheben bereits die entsprechenden Forderungen, um den Fuß in die Tür des Bildungsmarktes zu bekommen.
Jochen Krautz, Professor für Bildungswissenschaft an der Bonner Alanus Hoch– schule für Kunst und Gesellschaft, nennt einige dieser Forderungen:
»Englisch bereits im Kindergarten; Lehrer sollen nur befristet eingestellt und leistungsbezogen bezahlt werden; nicht nur das Abitur, sondern fächerspezische Tests sollen die Eintrittskarte für die Hochschulen sein, mit dem besonderen Hinweis, daß diese Tests auch von privaten Testrmen angeboten werden könnten.Die Bertelsmann Stiftung kommt ihrer Rolle als Wegbereiterin des Medien– und Dienstleistungskonzerns Bertelsmann AG nach, in dem sie ein ökonomistisches Bildungsverständnis in der erziehungswissenschaftlichen Theorie und in der pädagogischen Praxis sowie in der bildungspolitischen Debatte gezielt an die Macht putscht. Bertelsmann macht Schule!
(…) Als weitere ›Rezepte‹ sind auch folgende Vorschläge be– kannt: Schulen und Hochschulen bräuchten mehr Wettbewerb und Efzienz, Eigenständigkeit und Selbstverantwortung, moderne Managementmethoden, Leistungsmessungen und Evaluationen, Bildungsstandards und zentrale Prüfungen, Sprachtests im Vor– schulalter, Entrümpelung der Lehrpläne, Verkürzung der Schul– zeit, Wirtschaftskenntnisse für alle, neue Lernformen und vor allem Laptops für jeden Schüler.«
Und dies auf zweierlei Weise:
Einmal ganz unverblümt und direkt, wenn sie sich – im Verbund mit anderen Stiftungen wie der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft und dem Bundesver– band der Banken – für die »ökonomische Bildung« stark macht. Der Erziehungs– wissenschaftler Reinhold Hedtke berichtet beispielsweise, daß die Bertelsmann Stiftung eine Unterrichtsreihe ausgerechnet zum Thema Urheberrecht finanziert hat. Hier arbeitet sie direkt der Bertelsmann AG zu, die mit dem Rechtehandel viel Geld verdient.
Weit bedrohlicher erscheint mir allerdings die Tatsache, daß es der Bertelsmann Stiftung gelungen ist, über die Promotion von Unterrichtstechniken »mit Methode« in den Schulunterricht vorzudringen. So wurde bereits im Jahre 1996 der kanadische Schulbezirk Durham in der Nähe von Toronto/Ontario mit dem Carl-Bertelsmann-Preis der Bertelsmann Stiftung ausgezeichnet als der »inno– vativste Schulbezirk der Welt«. Geehrt wurde vor allem »der Motor hinter die– sem ungeheuren Entwicklungsprozeß«, Norm Green.
Er strukturierte den Rahmen für ein umfassendes Ausbildungsprogramm aller Lehrer in diesem kanadischen Bezirk. Im »Schneeballsystem« implementierte Green in den folgenden Jahren das kooperative Arbeiten (Cooperative Learning) sowohl in den Klassenzimmern wie auch in den Lehrerzimmern der Region Dur– ham. 1996, nach der Verleihung des Carl-Bertelsmann-Preises, holte die Ber– telsmann Stiftung Green mit seinen kanadischen Mitstreitern zu Vorträgen und Lehrgängen nach Deutschland.
Seit dem Jahr 2000 gibt es wohl kein Studienseminar in diesem Land mehr, das den angehenden Junglehrern nicht die Segnungen des kooperativen Lernens preist. Rainer Dollase, Pädagogikprofessor aus Bielefeld, beobachtet seit lan– gem diese Entwicklung kritisch und merkt an:
»Auch im Lande NRW hat man hin und wieder den Eindruck, daß die Verbindung der Bertelsmann Stiftung mit dem Schulministe– rium (…) gegen kritische Bemerkungen inquisitorisch verteidigt werden und daß die Schulaufsicht hin und wieder renitenten Lehrkräften mit Konsequenzen droht, wenn sie sich nicht an den betreffenden Programmen beteiligen.«Und Renitenz ist angebracht.
Der »Witz« des »kooperativen Lernens« ist nämlich dieser – und wer weiß das schon? –, daß Green in den 80er und 90er Jahren die Management– und Team-bildungsmethoden des damals größten Arbeitgebers, General Motors, in die Schulen seines Distrikts hineinkopiert, sie gleichsam »pädagogisiert« hatte. Der Effekt für GM: »Humankapital« wurde an den Schulen herangebildet, das sich nahtlos in die Arbeitsstrukturen des Automobilbauers integrieren ließ.
Geflissentlich ausgeblendet werden von den Protagonisten des »kooperativen Lernens« die größten Lehrerstreiks der nordamerikanischen Geschichte, die sich in Ontario, Kanada, im Jahre 1997 gegen eben diese neoliberale Schulreform richteten.
Fazit: Der Bildungsbegriff à la Bertelsmann ist funktionalistisch und auf die Be– dürfnisse der modernen Industrie ausgerichtet. Daß ausgerechnet die GEW Handreichungen zum »kooperativen Lernen« herausgibt, ist dabei eine Pointe, über die zu lächeln ich mich weigere.
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