Derzeit ist ein heftiger, bundesweit mit großer Lautstärke geführter Streit um
einige Landeshochschulgesetznovellen entbrannt. Diese Novellen sind vom
verbalen politischen Anspruch getragen, alternative Entwicklungswege zur
»unternehmerischen Hochschule«, die sich etappenweise seit Ende der 90er Jahre
als hochschulpolitisches Leitbild in den meisten Bundesländern durchgesetzt hat,
zumindest zu erproben. Die Gegner dieser Initiativen bestimmen derzeit die
mediale Öffentlichkeit in ihren Versuchen, dieses der Betriebswirtschaftslehre
entstammende Leitbild verbissen zu verteidigen. Das Ganze hat Formen eines
Glaubenskrieges angenommen. Zugleich zeigen die Inkonsequenzen der vorliegenden
Novellen auch: Die unternehmerische Hochschule lässt sich nicht halb
abschaffen, sondern nur vollständig. Das gelingt nicht, wenn man ihre zentralen
autokratischen Strukturen weitgehend unangetastet lässt, indem man ihnen
lediglich etwas staatlichen Dirigismus beimengt sowie ein wenig Mitbestimmung
zulässt, ohne die akademische Selbstverwaltung und Gruppenvertretung gegenüber
Hochschulleitung und Hochschulrat substantiell zu stärken. Das sind die
wesentlichen Mängel etwa des Referentenentwurfes zum Hochschulzukunftsgesetz
(HZG) in Nordrhein-Westfalen.
Auseinandersetzungen wie diese prägen derzeit eine ganze Reihe von
Bundesländern. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass die hegemoniale
Vormachtstellung des Prinzips unternehmerische Hochschule ideologisch erschöpft
ist, in einer spezifischen politischen Gemengelage, dessen Grundlagen aber
weiterhin die praktische Gestaltung von Hochschulgesetzentwürfen bestimmen können.
Will man das Leitbild der unternehmerischen Hochschule wirklich überwinden, muss
einer gänzlich anderen Logik wissenschaftlicher Autonomie und akademischer
Zusammenarbeit Raum gegeben werden. Träger dieser Autonomie sind nicht die
Hochschulleitungen, sondern die Subjekte des Wissenschaftsprozesses,
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ebenso wie Studierende, auch das
administrative Personal. Sie sind die eigentlichen Leistungserbringer der
Institution Hochschule. Nur ihre weitgehend gleichberechtigte Kooperation in den
Gremien der akademischen Selbstverwaltung, die produktiven Streit und
Interessenausgleich nicht ausschließt, ermöglicht die Verbindung von
wissenschaftlichem Erkenntnisfortschritt - unbeeinflusst von gesellschaftlichen
Partikularinteressen – mit gesellschaftlicher Verantwortung. Insbesondere die
Entscheidungsbefugnisse der Senate sind daher zu stärken. Dazu gehören die Wahl
der Hochschulleitung, die grundlegenden akademischen Angelegenheiten,
Haushalts- und Strukturfragen.
Ungeachtet der Inkonsequenzen des vorliegenden Gesetzentwurfes läuft derzeit
eine aggressive bundesweit koordinierte Kampagne gegen das HZG, in der sich
Rektoren, Präsidenten, Kanzler, Hochschulräte und ›Wirtschaftsvertreter‹
verbündet haben. Durch das HZG seien die »Freiheit der Wissenschaft« und die
»Autonomie der Hochschulen« gefährdet, tönt es allenthalben überregional. Die
Wissenschaftsfreiheit ist in der Tat ein verfassungsmäßig geschütztes Gut, die
operative Entscheidungsfreiheit der Hochschulleitungen, die in Wirklichkeit
gemeint ist, ist dies nicht. Die beschworene institutionelle Autonomie der
Hochschule wiederum wurzelt in der Wissenschaftsfreiheit und hat mit der
eigentlich gemeinten unternehmerischen exekutiven ›Autonomie‹ der
Hochschulleitungen gegenüber den Hochschulmitgliedern nicht das Geringste zu
tun. Die Kampagnentreiber könnten zwar mit dem neuen Gesetzentwurf ganz gut
leben, es geht ihnen aber offenbar um etwas ganz anderes: jeder Gedanke, es
könnte Alternativen zur unternehmerischen Hochschule geben, auch nur jede
Debatte darüber, wie Gesellschaft und Politik auf ein steuerfinanziertes
öffentliches Wissenschaftssystem legitimerweise Einfluss nehmen können, soll
offenbar im Keim erstickt werden. Man fürchtet offenbar die Einleitung eines
politischen Prozesses, an dessen Ende weitaus konsequentere Lösungen stehen
könnten als die aktuelle HZG-Fassung. Die bundesweite Auseinandersetzung um die
unternehmerische Hochschule wird daher stellvertretend in NRW ausgetragen.
Aber gerade in diesem Bundesland zeigt sich auch: Die Arbeitsbedingungen der
überwiegenden Mehrheit der Hochschulmitglieder in NRW – und damit auch der
Mehrheit der eigentlichen wissenschaftlichen Leistungserbringer – haben sich
seit Inkrafttreten des ›Hochschulfreiheitsgesetzes‹ (2007) auf Initiative des
damaligen FDP-geführten Wissenschaftsministeriums in engster Kooperation mit dem
Bertelsmann-Centrum für Hochschulentwicklung (CHE) erheblich verschlechtert. Sie
haben folglich vom sturen Festhalten an der wissenschaftsfremden
›unternehmerischen‹ Hochschulkonstruktion, die bisher nirgendwo funktioniert
hat, nichts, von einer Stärkung ihrer Mitglieder- und Selbstverwaltungsrechte
hingegen viel zu gewinnen. Daher kommt es in nächster Zeit darauf an, diese
Mehrheit auch stärker politisch sichtbar zu machen und mit dieser
gesellschaftlichen Unterstützung einen wirklichen Reformprozess einzuleiten, der
weit über die vorliegenden Gesetzentwürfe hinausgeht.
Bonn und Marburg, den 17. Februar 2014
Mein Blog befasst sich in einem umfassenden Sinn mit dem Verhältnis von Wissen, Wissenschaft und Gesellschaft. Ein besonderes Augenmerk richte ich dabei auf die Aktivitäten des Medien- und Dienstleistungskonzern Bertelsmann und der Bertelsmann Stiftung.
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